Seewölfe Paket 30. Roy Palmer
drang ein dumpfer Laut durch das Schott, dann rutschte der eiserne Riegel quietschend aus der Halterung.
Felipe stand blitzschnell auf, das dünne Taustück, das er sich zurechtgelegt hatte, hielt er hinter seinem Rücken versteckt. Er hatte lange genug nachgedacht, jetzt war er fest entschlossen, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit etwas zu unternehmen.
Wenn er eine Waffe hatte und womöglich eine Kutte, dann würde es ihm vielleicht gelingen, sich bis zum Kapitän durchzuschlagen. Mit dem Oberschnapphahn als Geisel würde er die Kerle zwingen, nach Santa Maria zurückzusegeln und ihn und die Mädchen freizulassen.
Natürlich war er sich darüber im klaren, daß seine Chancen nur sehr gering waren, aber er würde es versuchen – allein schon Margarida zuliebe.
Das Schott schwang auf und eine dunkle Mönchsgestalt erschien in der Öffnung. Das spärliche Licht einer Tranlampe, die irgendwo draußen im Gang brannte, ließ Felipe erkennen, daß der Besucher in der einen Hand einen Tonkrug hielt, in der anderen eine Steinschloßpistole.
„Wo steckst du, Freundchen?“ rief der Pirat spöttisch. „Es ist Zeit zum Backen und Banken. Komm her und hol dir dein Festmahl ab. Bruder Antonio hat dir ’nen ganzen Krug Wasser spendiert.“ Es folgte ein höhnisches Lachen. „Die fetten Sardinen sind nämlich den Weibern vorbehalten“, fuhr er fort, „damit sie schön rund und drall werden.“
Felipe verharrte still in der dunklen Segellast, eine Antwort gab er nicht. Das aber erschien dem Kuttenmann, der wohl mit einigen wilden Flüchen gerechnet hatte, merkwürdig. Er beschloß, doch lieber den Hahn der Pistole zu spannen.
Aber das schaffte er nicht mehr.
Das dünne Tau, das Felipe abwartend hinter dem Rücken verborgen hatte, flog blitzschnell durch die Luft und schlang sich um den Nacken des Mannes. Im selben Augenblick fühlte sich dieser wie von einer unsichtbaren Kraft nach vorn gerissen – direkt in die Segellast hinein.
Aus seinem Mund drang ein Ächzen, dann stürzte der Schnapphahn der Länge nach auf die Planken. Die Pistole entglitt seiner Hand, und der Tonkrug zerbarst mit lautem Splittern. Während sich die Scherben über die kleine Kammer verteilten, floß das Wasser über den Boden.
Felipe stürzte sich sofort auf den Piraten und schlug mit den Fäusten zu. Noch bevor der Bursche an Gegenwehr denken konnte, wurde es bereits schwarz vor seinen Augen.
Der junge Fischer triumphierte. Die Pistole! zuckte es ihm durch den Kopf. Ich muß sofort die Pistole finden, bevor ich mir seine Kutte ausleihe. Noch auf den Knien tastete er sich über die Planken, das schwache Licht, das vom Gang hereindrang, bot ihm keine große Unterstützung.
Felipe entdeckte die Pistole neben einer Taurolle. Doch bevor er danach greifen konnte, fühlte er sich plötzlich von hinten gepackt und hochgerissen. Fast gleichzeitig bohrte sich ihm der Lauf einer Waffe in den Rücken.
„Sieh an, unser liebestoller Sardinenfischer ist in seiner gemütlichen Kammer wohl ein bißchen wild geworden“, sagte eine Stimme hinter ihm. Sie gehörte Miguel Fernandez, der rechten Hand des Kapitäns.
Der spindeldürre Kerl, der neben ihm stand, schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht zu einem schadenfrohen Grinsen.
„Sag ich’s doch immer“, tönte er. „Müßiggang ist aller Laster Anfang. Es wird Zeit, daß unser junger Freund bald was vernünftiges zu tun kriegt. Vorerst aber werden wir wohl nicht umhin können, ihm die Wildheit ein wenig auszutreiben, meinst du nicht auch, Miguel?“
„Du hast völlig recht, mein lieber Bruder im Herrn“, erwiderte der kleine, stämmige Fernandez. „Schließlich dürfen wir sein Seelenheil nicht aus den Augen verlieren.“
Felipe ballte in ohnmächtiger Wut die Hände zu Fäusten. „Der Teufel soll euch holen!“
Die Schnapphähne lachten nur.
„Hört, hört, welch ein unchristlicher Wunsch“, spottete Rodrigo, der „Sensenmann“. „Vielleicht solltest du doch den Zeigefinger krümmen, Miguel. Dann weiß unser junger Freund gleich, wie das ist, wenn man vom Teufel geholt wird.“
„Ja, man sollte es wirklich tun“, sagte Fernandez. „Aber du kennst ja mein weiches, mitfühlendes Herz. Ich bin dafür, daß wir dieses Mal noch Barmherzigkeit walten lassen.“
„Hähä!“ lachte der Dürre. „Na, los denn – lassen wir sie walten!“
Felipe wurde herumgerissen, und noch bevor er sich zur Wehr setzen konnte, krachte der erste Hieb gegen sein Kinn. Er begann zu torkeln, blieb aber auf den Beinen.
„Das zahle ich euch heim!“ versprach er keuchend.
Aber die Piraten ließen ihm keine Chance. Ihre Fausthiebe prasselten wie eine Sturmflut auf ihn ein. Von einem Schwinger in die Magengrube getroffen, wurde er zurückgeschleudert, stolperte dabei über den noch immer besinnungslos auf den Planken liegenden Kuttenmann, und stürzte rücklings auf den Haufen von Tauen, der ihm vor kurzem noch als Sitzgelegenheit gedient hatte.
Sein Hinterkopf prallte dabei gegen die Holzwand der Segellast. Er sah zuckende Blitze vor seinen Augen, die sich im Kreis zu drehen begannen, dann glaubte er in ein finsteres, endlos tiefes Loch zu stürzen.
Fernandez und der „Sensenmann“ schleiften ihren Komplicen aus der Kammer, schlugen das Schott zu und schoben den Eisenriegel wieder vor. Doch das kriegte Felipe nicht mehr mit.
Das erste, was er nach langer Zeit totaler Dunkelheit wahrnahm, war das Poltern des Ankerspills. Es dauerte jedoch eine Weile, bis sein vollständiges Erinnerungsvermögen zurückgekehrt war. Mühsam und mit schmerzverzerrtem Gesicht richtete er sich auf. Hinter seinen Schläfen begann es zu hämmern und zu dröhnen, und als er sein Gesicht betastete, fühlte er an seinen Fingern klebrige Feuchtigkeit.
Felipe ärgerte sich über sich selber. Warum nur war er davon ausgegangen, daß der Kerl mit dem Tonkrug allein erschienen war? Wenn er gewußt hätte, daß sich zwei seiner Komplicen auf dem Gang aufhielten, hätte er sich einiges ersparen können.
Doch zum Nachdenken blieb ihm diesmal nicht viel Zeit.
Allem Anschein nach war die Karavelle vor Anker gegangen. Bald hörte er laute Stimmen vor dem Schott, gleich darauf wurde wiederum der Riegel zurückgeschoben.
Diesmal waren es mehrere Kapuzenmänner, die vor dem offenen Schott standen. Sie waren mit Messern und Pistolen bewaffnet, einer von ihnen hielt eine Tranlampe in der Hand, deren Licht die Segellast erhellte.
„Oh, unser feuriger Liebhaber hat ja schon ausgeschlafen“, sagte Miguel Fernandez. „Wie es scheint, benimmt er sich diesmal ganz manierlich.“
Felipe konnte nicht verhindern, daß ihm die Hände auf den Rücken gebunden wurden. Danach wurde er jedoch nicht wieder in die Segellast gesperrt, sondern unter Bewachung die Niedergänge hinaufgestoßen. Das grelle Licht der Sonne stach ihm schmerzhaft in die Augen, als er das Deck der „São Pedro“ betrat.
Dort herrschte allgemeine Aufbruchsstimmung. Die Piraten waren offensichtlich in ihrem Schlupfwinkel eingetroffen und schickten sich an, die Karavelle zu verlassen.
Felipe warf einen raschen Blick in seine nähere Umgebung. Das Schiff lag in einer kleinen, etwas versteckt gelegenen Bucht, die mehr einem Seitenarm des Rio Tejo glich, vor Anker. Ja, der Fluß war ihm nicht unbekannt, er hatte ihn zusammen mit anderen Fischern seines Dorfes bereits bis weit nach Norden hoch befahren.
Das nahe Ufer der Bucht bestand aus Sand und Geröll und wurde stellenweise von schroffen Felsen gesäumt. Die dahinter beginnende, leicht ansteigende Böschung war von üppigem Strauchwerk bewachsen, das fast übergangslos in einen niedrigen Buschwald mündete.
Was dem jungen Fischer aus Santa Maria jedoch hauptsächlich ins Auge fiel, war das alte, verwitterte Gemäuer, das höchstens zweihundert Schritte vom Ufer entfernt lag und in den dichten Buschwald eingebettet war. Zwei kleine Türmchen und einige halbzerfallene Mauerreste deuteten darauf hin, daß es sich um die uralte Ruine eines kleinen Klosters handelte.