Seewölfe Paket 7. Roy Palmer
doch erst mal mit deinem Holzbein“, riet Gary Andrews grinsend. „Wenn ihnen das nicht schmeckt, lassen sie dich ganz sicher in Ruhe.“
„Ich werde dir das Holzbein gleich übers Kreuz tanzen lassen, du junger Hüpfer“, sagte Old O’Flynn drohend. „Zu meiner Zeit, auf der ‚Empress of Sea‘, da hatten die jungen Kerle noch Respekt vor dem Alter, und es setzte jeden Tag Prügel, wenn sie nur das Maul öffneten, ohne gefragt zu sein.“
„Das würde dir so gefallen, was? Mann, was sind wir heilfroh, daß du nicht der Kapitän bist, Donegal!“
„Ha! Ich würde euch Rotznasen jeden Tag ein paar Stunden zum Trocknen in die Wanten hängen, wenn ihr nicht pariert. Aber heutzutage lobt euch sogar der Kapitän noch, wenn ihr ausnahmsweise mal etwas Richtiges bei der Arbeit tut.“
Andrews grinste. Er unterhielt sich gern mit dem Alten, denn O’Flynn meinte es nicht unbedingt so, wie er es sagte, obwohl die Seefahrt zu seiner Zeit ein klein wenig anders ausgesehen hatte.
Aber diese „Empress of Sea“, das mußte ein wahres Wunderschiff gewesen sein, mit dem der Alte die nördlichen Meere befahren hatte, als er noch ein hitziges Rauhbein gewesen war.
„Wo ist der alte Kahn eigentlich abgesoffen?“ fragte Gary und starrte weiterhin zum Land hinüber.
„Abgesoffen? Die schwimmt in tausend Jahren noch, die ‚Empress of Sea‘ säuft nicht ab, meine Junge. Die hätte sich in dem lausigen Taifun kürzlich nur einmal trotzig geschüttelt, und dann wäre sie über den Wellen gesegelt. Sie war ein schönes Schiff“, schwärmte der Alte. „Unglaublich stark und schnell, und in ihrer Takelage hockte der Windgott persönlich. Nachts schlichen sich die Meermänner an Bord und trieben Schabernack mit uns. Ja, das war eine gute Zeit. Aber die alte Lady, die segelt noch irgendwo, das ist sicher, an die trauten sich nicht einmal die Holzbohrwürmer heran.“
Jetzt war der Alte in seinem Element. Er erzählte und erzählte, und als Gary Andrews nach einem diskreten Hüsteln, weil der Alte so maßlos übertrieb, heimlich verschwinden wollte, mußte er feststellen, daß O’Flynn seitlich am Kopf Augen hatte, denn jedes Mal ergriff ihn die knochige Hand des Alten und hielt ihn fest, damit er sich anhörte, was für ein Schiff die alte Lady war, und daß sie das beste, schnellste und härteste Schiff überhaupt war, das die Nordmeere befuhr.
Wenn Old O’Flynn einmal loslegte, dann bogen sich die Planken und im Kielschwein begann es protestierend zu pfeifen. Da beschwor der Alte Seegeister, Meermänner, riesige Kraken, die sich in das Nordmeer verirrt hatten, übelwollende Kobolde, die die Mannschaft ärgerten, und versunkene Städte, in denen tief auf dem Meeresgrund golden gekleidete Leute spazierten.
Dabei wurde er nicht einmal rot, ihn packte höchstens der Zorn, wenn Andrews es wagte, ganz besonders dick aufgetragene Geschichten anzuzweifeln.
„Eines Tages“, schloß der Alte, „wirst du dieses Schiff mit eigenen Augen sehen, und es wird dir die Sprache verschlagen, und du wirst den Himmel anflehen, nur einmal auf diesem Schiff fahren zu dürfen, mein Sohn. Und wenn du die Planken dann wirklich mal betrittst, wirst du dir vor lauter Achtung und Respekt in die Hose kacken, das sagt dir der alte Donegal.“
„Ich glaub’s ja“, sagte Gary kleinlaut. „Mir läuft es jetzt schon heiß und kalt über den Rücken, wenn du davon erzählst.“
„So geht es jedem, der von dem Schiff hört“, versicherte der Alte stolzgeschwellt, und in seine hellen Augen trat ein fast überirdisches Leuchten.
Das Land beschrieb einen starken Bogen, und eine Bucht tat sich auf, so groß und gewaltig, daß man sie nicht übersehen konnte.
Der junge O’Flynn, der sich vornehmlich um die Navigation kümmerte und es darin schon fast bis zur Perfektion gebracht hatte, hantierte mit dem Jakobsstab und rechnete.
Sie hatten gute Seekarten, aber die einzelnen Buchten dieser Insel waren nicht genau bezeichnet, und Dan stellte schließlich eine Menge Abweichungen fest. Aber er wußte, über den Daumen gepeilt, wo sie sich befanden.
„In dieser Riesenbucht gibt es jede Menge kleine, völlig abgelegene Buchten“, sagte er zu Hasard. „Wie es den Anschein hat, wird hier kaum jemals ein Schiff anlegen. Ich schlage vor, wir laufen die einzelnen Buchten einmal an und sehen uns um.“
„Hoffentlich bestehen die nicht auch nur aus Mangrovenwäldern“, meinte der Seewolf. „Laufen wir also ein paar Buchten an, bis wir etwas Geeignetes finden.“
„Ferris kann dann endlich seine Holzbohrwürmer aus den Planken polken“, sagte Pete Ballie lachend. „Ich bin gespannt, wie er das anstellt.“
Ferris Tucker, der am Niedergang stand, drehte sich um, als er die Worte hörte.
„Das ist ganz einfach“, sagte er, „dünne lange Nadeln werden erhitzt, bis sie glühen. Dann blickt einer in die Löcher, am besten du selbst, und lockt den Holzbohrer heraus. Sobald er sich rückwärts bewegt, piekst du ihm die Nadel in den Hintern, und er ist erledigt. Und wenn wir damit fertig sind, dann werde ich dir die Nadel in deinen Affenarsch pieken“, versprach Ferris.
Zum dritten Mal änderte die „Isabella“ an diesem Tag den Kurs. Der Wind wurde schwächer, weil die Berge in der Riesenbucht ihn eindämmten und seine Kraft brachen. Auch das Wasser hatte seinen Rhythmus verloren, es gab keine Wellen mehr, die gleichmäßig anrollten, sondern nur noch kleine durcheinanderlaufende Seen, die lässig gegen den Rumpf klatschten.
Die Tiefe wurde von nun an ständig gelotet und ausgesungen. Der alte O’Flynn übernahm das mit monotoner leiernder Stimme, die sich nur dann hob, wenn sich die Wassertiefe veränderte.
An der Lotspeise klebte ausnahmslos Sand, feinkörnig und hell, fast so dünn wie der, der sich in den Sanduhren befand.
„Ideale Buchten gibt es hier“, sagte Hasard. „Das einzige, was mich stört, sind diese undurchdringlichen Wälder. Wenn wir dort kein Wasser finden, verschieben wir die Arbeit und segeln weiter, denn ohne Wasser ist uns auch nicht geholfen.“
„Aber der Holzbohrwurm“, wandte Ferris ein.
„Der kann dann auch noch ein paar Tage warten, die Algen und Muscheln ebenfalls. Es bleibt dabei, was ich gesagt habe.“
Ferris Tucker maulte vor sich hin, aber er sah selbst ein, daß es Wahnsinn war, mit den Arbeiten zu beginnen, wenn man nicht gleichzeitig Wasser und Proviant mannen konnte. Das kostete nur eine Menge Zeit.
In der ersten Bucht regte sich kein Leben. Schweigend und von einem brühheißen Sonnenglast umlagert, bot sie sich den Blicken dar. Im klaren Wasser tummelten sich schillernde Fische.
Der Seewolf ließ weitersegeln, und gegen Abend, bevor die kurze Dämmerung einsetzte, hatten sie das gefunden, was, ihren Vorstellungen entsprach: eine von See her uneinsehbare Bucht, an deren Ufer das Dickicht teilweise stark zurücktrat. Da gab es einen breiten Sandstreifen, da standen schiefgeneigte Kokospalmen, an denen runde braune Früchte hingen.
„Sechs Faaaden, Saaand“, sang der alte O’Flynn laut, und als die Wassertiefe nur noch fünf Faden betrug, gab Hasard den Befehl zum Ankern.
Der schwere Buganker rauschte aus, eine riesige Wasserschildkröte, die der Kutscher mit hungrig-lüsternen Blicken verfolgte, suchte eiligst das Weite und schwamm verstört davon.
Die Entfernung bis zum Ufer betrug knapp fünfzig Yards. Alles Weitere sollte sich morgen finden. Sie fierten nur noch das Beiboot ab, ruderten an Land und markierten den Sandstreifen mit dünnen Hölzern, damit sie einen Anhaltspunkt hatten, welche Unterschiede es hier zwischen Ebbe und Flut gab.
Dann brach nach einer sehr kurzen Dämmerung schnell die Nacht herein.
Auf der „Isabella“ wurde es ruhig. Nur die eingeteilten Deckswachen gingen ihre Runden.
5.
Die fast unheimliche Ruhe wurde im Morgengrauen jäh gestört.
In