Seewölfe Paket 7. Roy Palmer
jetzt von Bulbas, dem grausamen Einzelgänger und Amokläufer.“
„Hast du die Explosion gehört? Wir haben ihn durch eine Pulverladung verscheuchen müssen.“
„Der Amokläufer wird dich deswegen hassen. Noch einmal läßt er dich nicht entwischen.“
Amok – dieses Wort stammte aus dem Malaiischen und bedeutete soviel wie „Raserei“. Diese und einige andere Vokabeln hatte der Seewolf während seiner Fahrten zwischen dem Reich der Mitte und den vielen Inseln dieses Erdteils erlernt, es waren aber nicht viele.
„Nicht alle Tiger hassen die Menschen“, entgegnete Hasard.
„Bulbas wurde vor einigen Jahren von Spaniern angeschossen.“
„Du auch?“
„Suche nicht nach der Gleichheit der Begebenheiten, es lohnt sich nicht“, erwiderte der schwarzbärtige Mann, und seine Miene wurde noch finsterer. „Hör mir nur zu. Die Spanier betreten Rempang nicht mehr, sie haben Angst und wissen dem Tiger nicht beizukommen. Meine Männer und ich, wir haben Bulbas’ Reich bisher auch gemieden, weil wir den Tiger als unser Kampf symbol achten und verehren. Doch vorletzte Nacht hat sich etwas Unvorhergesehenes ergeben, wie ich leider erst heute mittag erfahren habe.“
Er klatschte in die Hände. Die Decksleute entließen daraufhin einen hageren Mann aus ihren Reihen, den Hasard zuvor noch nicht gesehen hatte. Etwas geduckt enterte dieser Malaie das Achterdeck. Hasard hob die Augenbrauen, als er die kaum verheilten Wunden auf seinem nackten Oberkörper sah.
„Ein kleiner Stamm wie der von Otonedju wurde vor zwei Tagen von einer Insel vertrieben – von den Spaniern“, erklärte der Tiger. „Das Gros der Männer, Frauen und Kinder floh mit Auslegerbooten. Unwissend der Tatsache, daß Bulbas auf Rempang haust, landeten sie auf der Insel. Sie wollten sich eine neue Existenz aufbauen. Bulbas hielt grausige Mahlzeit. Dieser Mann entkam schwimmend ins Meer, wir fischten ihn auf.“
Hasard sah wieder auf den mageren Malaien, der ein paar Worte ausstieß und unverständliche Gesten beschrieb.
„Seine Brüder und Schwestern sind nicht alle gerissen worden“, erläuterte der Tiger von Malakka ernst. „Rund zwei Dutzend sind nach seiner Darstellung in die Berge geflüchtet und haben vielleicht irgendwo in Erdlöchern Unterschlupf gefunden. Bulbas umschleicht sie und wird auch sie aufstöbern. Du und deine Männer habt ihn gestört, aber jetzt nimmt er die Jagd wieder auf.“
„Und du willst, daß ich eine Mutprobe ablege?“
„Wenn du ein aufrichtiger Freund der Malaien bist, kehrst du auf die Pulau Rempang zurück und hilfst den wehrlosen Menschen aus der Klemme. Allein.“
„Ist es das, was du plantest?“
„Ja. Deswegen sind wir hier.“
Hasard blickte zu Otonedju und Yaira. Sie verstanden kein Wort Spanisch, aber der Inhalt dessen, was der Tiger von Malakka gesagt hatte, war ihnen bewußt. Ihre Gesichter waren von tiefem Ernst gezeichnet.
„Ich versuche es“, sagte der Seewolf. „Aber ich werde alles tun, um Bulbas nicht zu töten.“
Vor Anbruch der Dunkelheit kehrte Hasard mit einer Jolle in den schmalen Flußlauf der Insel zurück – allein. Der Verband von zwölf Piratenschiffen hatte sich zur „Isabella“ gesellt, unter dem heiligen Versprechen des Tigers von Malakka, sich völlig neutral und friedfertig zu verhalten.
Hasard glaubte fest daran, sich auf das Wort des Tigers verlassen zu können.
Und nun zu dir, Bulbas, dachte er, während er mit dem Boot an derselben Stelle landete wie wenige Stunden zuvor.
Der Tiger war unendlich gerissen, das hatte der malaiische Freibeuter dem Seewolf versichert, das hatte Hasard auch schon selbst festgestellt.
Statt ihn, Carberry und die vier anderen anzugreifen, hatte er sich an Jeff Bowie herangepirscht, um diesen als ersten zu zerfetzen. Und was die völlig verstörten und zutiefst eingeschüchterten Eingeborenen betraf, die irgendwo im Inselinnern hockten, so hatte er ihnen nicht nur die Boote zerstört, er schnitt ihnen auch fortwährend jeden Fluchtweg ab.
Dies alles tat Bulbas, der Amokläufer, aus abgrundtiefem Haß gegen die Menschen. Würde er sich nie ändern? Es gab keine Hoffnung, aber Hasard widerstrebte es dennoch, ihn zur Strecke zu bringen.
Zum Teufel mit der Überheblichkeit, dachte er, wie leicht kann er dich erledigen!
Hatten die auf der Insel Eingeschlossenen das Erscheinen der Schiffe verfolgen können? Hofften sie auf Rettung? Zumindest hatten sie das Detonieren der Höllenflasche vernommen. Würden die Krieger sich vorwagen, bis zum Südufer hinunter, um auf sich aufmerksam zu machen und um Rettung zu flehen?
Bulbas lauerte ihnen auf.
Diese Erwägung trieb den Seewolf voran. Nicht weit von seinem Landeplatz entfernt hörte er auf, mit dem Cutlass auf das Dickicht einzuhauen. Er hatte seinen Pfad weit genug getrieben und suchte sich einen mächtigen Baum aus, den er hochklimmen konnte.
Der Flußlauf befand sich unweit des Baumriesen. Er hatte sich an dieser Stelle zu einem verhalten dahingurgelnden Bach verengt. Das Gewässer nahm einen wesentlichen Teil in Hasards Planung ein.
Bevor er den Baum erkletterte, löste er die Taurollen, die er sich über eine Schulter geschlungen hatte. Zu beiden Seiten des Baches legte er Schlingen, die er sorgfältig knotete und nach einem ausgeklügelten System oben mit den tiefsten Baumästen verband. Nachdem er sie getarnt hatte, daß sie wie Lianen anmuteten, setzte er mit einem Sprung wieder auf das andere Bachufer zurück und kletterte in den Baum hinauf.
Die ganze Zeit über hatte er höllisch aufgepaßt, nicht von dem vierbeinigen Mörder überrascht zu werden. Aber Bulbas zeigte sich nicht. Hatte er den Feind noch nicht bemerkt? Hasard gab sich keinen Illusionen hin. Bulbas hatte seine Landung verfolgt, aus irgendeinem Versteck heraus. Er wußte, wohin sich der Feind gewandt hatte und wartete nur noch den günstigsten Zeitpunkt ab, um über ihn herzufallen, ohne eine donnernde Flasche zwischen die Läufe zu erhalten.
Die Nacht also.
Hasard kniete auf einer Gabelung, die genügend Platz bot, um es Stunden, vielleicht die ganze Nacht, auf dem luftigen Posten auszuhalten. Zwei Waffen hatte er mitgenommen: den Radschloß-Drehling und Batutis Pfeil und Bogen. Die Pfeile im Köcher waren in einer intensiven Zusammenarbeit des Kutschers und des Gambia-Mannes mit einer Substanz versehen worden, die sich beim Eindringen in den Körper eines Opfers sofort ausbreitete und in den Blutkreislauf floß.
Hasard vertraute auf dieses Wundermittel.
Die Nacht tauchte die Insel Rempang nahezu übergangslos in Finsternis. Die Umgebung des Seewolfs erwachte zu allerlei Aktivitäten. Zikaden zirpten, Frösche quakten, Nachtvögel stimmten ihr Konzert an, große Insekten summten vorbei. Es riß nicht ab.
Einmal vernahm Hasard ein Grollen wie aus weiter Ferne. Bulbas hatte sein Nahen angekündigt. Er würde sich nicht wieder melden.
Hasard packte den Radschloß-Drehling unwillkürlich fester. Sechs Schuß steckten in der Trommel, aber würden sie reichen, wenn der Tiger ihn überlistete? An den Bogen und die Pfeile war in jenem Fall überhaupt nicht mehr zu denken. Hasard fragte sich, ob er nicht zu leichtsinnig gehandelt hatte, als er es abgelehnt hatte, auch Höllenflaschen aus der Werkstatt Ferris Tuckers mitzunehmen. War das nicht wieder zu großes Selbstvertrauen gewesen? Im äußersten Notfall hatte er keine Chance, sich den Mörder fernzuhalten. Sechs Schüsse konnten genug sein, um Bulbas zu fällen, oder aber der Tiger verdaute sie, ohne ernsthaft in seinen Bewegungen behindert zu werden.
Es kam aufs richtige Zielen an.
Aber im Dunkeln ließ es sich schlecht zielen.
Ein feines Knacken im dichten Unterholz – und Hasard wußte, daß der Tiger zur Stelle war. Sehen konnte er ihn immer noch nicht. Wäre es nicht vorteilhaft gewesen, chinesischen Schnee von der „Isabella“ mitzubringen? Oder vielleicht einen Brandsatz? Hasard hätte die Umgebung in gleißendes Licht tauchen können, Bulbas wäre geblendet und verwirrt