Seewölfe Paket 7. Roy Palmer
Blick traf den portugiesischen Kommandanten.
„Haltet den Kerl fest“, ordnete do Velho an. „Die anderen richtet ihr so am Schanzkleid des Hecks auf, daß die Hundesöhne unten in den Prahos ihre Kumpane deutlich genug sehen können.“ Er schaute wieder zu dem Schwarzbärtigen. „Du da. Verstehst du mich?“
Kein einziges Wort erwiderte der Pirat, aber seine durchbohrenden Blicke sprachen Bände.
„Ich habe dich was gefragt!“ brüllte do Velho ihn unbeherrscht an. Jetzt, diesem triefend nassen, blutenden, in Fetzen gehüllten Mann gegenüber, verlor er tatsächlich seine souveräne Haltung. „Ignazio, bring den Dreckskerl zum Sprechen!“
Ignazio hieb mit der Faust zu und traf den Nacken des hochgewachsenen Malaien. Der Mann ging in die Knie, stöhnte aber nicht. Er versuchte herumzufahren und den Mann aus Porto anzugreifen, aber Ignazio schlug noch einmal zu.
Da sank der Malaie auf die Körperseite. Sein Gesicht war verzerrt, er stieß etwas in seiner Muttersprache aus und spuckte Lucio do Velho vor die Füße.
Ignazio wollte mit beiden Fäusten auf ihn losgehen.
„Nicht“, sagte sein Kommandant jedoch. „Er scheint wirklich nicht zu verstehen. Aber wir setzen seinen Spießgesellen auch so auseinander, was wir verlangen. Stell diesen Bastard auf die Beine.“
Seine letzten Worte gingen in dem Donnergrollen unter, das von der „Isabella“ herübertönte. Hasard hatte weitere vier Culverinen der Steuerbordseite auf die vierte Galeone des spanischen Verbandes abfeuern lassen, und diesmal war das Ergebnis im wahrsten Sinne des Wortes durchschlagend. Schwer getroffen krängte die Galeone nach Backbord und begann zu sinken.
Die fünfte Galeone stand in gierig hochschießenden Flammen, das Feuer verzehrte die Masten samt ihrem laufenden und stehenden Gut und sengte über den oberen Teil des Holzrumpfes.
Die Besatzungen beider Schiffe flohen mit den Beibooten. Die zweite Galeone indes lief brennend immer weiter nach Südwesten ab. Ihrer Mannschaft gelang es nicht, das Feuer unter Kontrolle zu kriegen.
Do Velho ließ seine fünf eingeborenen Gefangenen wie die Marionetten am Heckschanzkleid der „Candia“ hochstemmen. Er blickte auf die Gegner hinunter. Zwei Prahos trachteten gerade, sich von achtern an die Galeone heranzupirschen und ein Entermanöver zu beginnen.
„Haltet ein!“ schrie do Velho den Piraten zu. „Wir töten eure Kameraden, wenn ihr nicht die Flagge streicht!“
Als die Piraten von Malakka keinerlei Reaktion zeigten, hob do Velho die Hand zu einer Gebärde. Ignazio und die anderen Bewacher der Gefangenen begriffen. Sie zückten ihre Messer und hielten die Klingen den Geiseln an die Gurgeln.
Die Geste war unmißverständlich. Dennoch hatte der Portugiese sich in den Männern der Prahos getäuscht, und zwar gründlich. Sie ließen sich nicht aufhalten. Wieder blafften die kleinen Bordgeschütze auf, Musketen und Tromblons wurden gegen die nur langsam dahinziehende „Candia“ leergeschossen. Ein Hagel von Pfeilen schwirrte über die Galerie des Viermasters hinaus ganz nach oben, zum erhöhten Deck – nicht nur do Velho, Ignazio und die übrigen Besatzungsmitglieder liefen Gefahr, getroffen zu werden, auch die fünf Malaien in ihrer Gewalt waren bedroht.
„Die sind ja wahnsinnig!“ schrie der Kommandant außer sich vor Zorn. „Gefährden ihre eigenen Kumpane! Sind die denn von allen Geistern verlassen?“
„Ich glaube nicht, Senor“, erwiderte sein erster Offizier. „Ganz im Gegenteil.“
„So? Dann werden wir ein Exempel statuieren und einen dieser Halunken zum Schreien bringen. Ignazio, kitzle diesen Schweinehund von einem Schwarzbart ein wenig mit dem Messer.“
Der Mann aus Porto grinste, es bereitete ihm keinerlei Skrupel, einen Wehrlosen zu traktieren.
Der erste Offizier allerdings sagte zu do Velho: „Senor, ich habe den Eindruck, diese fünf Kerle krepieren lieber langsam und qualvoll, als ihre Landsleute zur Aufgabe zu bewegen. Und genauso ist die Einstellung der Piraten unten in den Prahos …“
Do Velho zog den Kopf ein, weil Brandpfeile über sie hinwegzischten. Einer blieb im Besanmast stecken. Die Flamme drohte das Segel in Brand zu stecken, aber ein beflissener Decksmann war heran und kippte ein Segeltuchpütz Seewasser über dem Geschoß aus, ehe sich das Feuer richtig entwickeln konnte.
„Primero!“ schrie der Kommandant seinen Ersten an. „Zu wem halten Sie eigentlich? Ich werde Ihre Gesinnung überprüfen …“
„Sie verstehen mich falsch, Senor!“
„Soll ich anfangen?“ fragte der verwirrte Ignazio.
Do Velho hatte sich entschlossen, die Erklärung des Primeros abzuwarten, bevor er dem bulligen Mann aus Porto antwortete.
„Diese Leute haben eine Mentalität, die uns fremd ist!“ rief der erste Offizier. „Ich weiß, das ist Ihnen bekannt, Senor Comandante, oder zumindest können Sie es sich sehr gut vorstellen. Aber ich habe auf den Philippinen sehr lange mit den Wilden zu tun gehabt und weiß, unter welchen Voraussetzungen sie durchaus bereit sind, all ihr Eigentum, ja, sogar ihre Freunde und ihre Familienangehörigen aufs Spiel zusetzen und aufzugeben, falls es ihrer Sache dient.“
„Blinde Fanatiker also?“
„Nicht mehr als wir …“
„Ich verbitte mir diese Bemerkungen!“ brüllte do Velho. „Sie wollen also allen Ernstes behaupten, daß diese braunen Kanaillen ohne weiteres ihre fünf Blutsbrüder abmurksen lassen, daß sie sie opfern, nur, um weiterkämpfen zu können?“
„Ja.“
Do Velho wollte aufbegehren, auf seine Erfahrungen, seine Privilegien als Kommandant pochen und jeden weiteren Einwand niederbrüllen.
Doch da schob sich auch die „Isabella VIII.“ heran. Ihre Konturen entwikkelten sich zu einem drohenden Schemen, der aus Rauch und Feuer hervorwuchs. Kaltschnäuzig und fast ohne Rücksicht auf sein Schiff segelte der Seewolf zwischen der lodernden, sinkenden vierten und der nach West-Süd-West abtreibenden fünften Galeone des Feindverbandes hindurch und nahm Kurs auf die „Candia“. Er drohte in den Wind zu laufen, und Lucio do Velho hoffte es, drückte insgeheim die Daumen, daß es eintrat, aber er hatte sich getäuscht.
Eine hervorragende Crew manövrierte die „Isabella“. Ohne Zwischenfall pflügte die große Galeone heran.
In diesem Augenblick beschloß do Velho, doch lieber die Flucht anzutreten. Was nützte es, die fünf Malaien zu massakrieren? Waren sie tot, fielen die Engländer und die Malakka-Piraten wie die Teufel über das Flaggschiff her – eine Übermacht, der die „Candia“ allein trotz ihrer vierundvierzig Kanonen nicht mehr Paroli zu bieten vermochte.
Do Velho ließ Vollzeug setzen. Das Blatt hatte sich gewendet. Der Jäger war zum Gejagten geworden.
6.
Hasard brauchte nur einen kurzen Blick durch das Spektiv zur „Candia“ hinüber zu werfen, um die Situation zu erfassen.
„Allmächtiger“, stieß er aus, als er den schwarzbärtigen Malaien in Ignazios Griff erkannt hatte. „Sie haben den Tiger.“
„Was?“ Ben Brighton wollte seinen Ohren nicht trauen. „Das kann doch nicht dein Ernst sein.“
„Mein voller. Sieh selbst hin.“ Der Seewolf zerdrückte einen Fluch auf den Lippen. „Es ist klar, was der Hund von einem Portugiesen vorhat. Ob er nun weiß, wer Sotoro ist, oder nicht – er nutzt die fünf Gefangenen als Faustpfand aus. Aber er bringt es nicht fertig, die Rebellen von Malakka zur Aufgabe zu zwingen.“
„Das ist Sotoros Ende“, murmelte Old O’Flynn in Hasards Rücken.
„Ungeachtet der Tatsache, daß ihr verehrter Anführer sich in den Händen des Feindes befindet, kämpfen sie weiter“, sagte der Seewolf. „Ja, sie verdoppeln ihre Anstrengungen. Sotoro hat mir erzählt, daß es eine Vereinbarung