Seewölfe Paket 7. Roy Palmer
sind wir auch keinen Schritt weiter. Ich schätze, wir müssen bald die Suche nach dem Flaggschiff abbrechen. Erstens wegen des zunehmenden Nebels, zweitens wegen der Gefahr, dem Feind in Bengkalis geradewegs in den Rachen zu segeln.“
„Sehr richtig“, sagte der Seewolf.
Shane horchte auf und zeigte eine verblüffte Miene. „Heißt das etwa, daß wir den Tiger abschreiben?“
„Wir können doch nicht einfach davonsegeln“, entrüstete sich nun auch Smoky. „Und was tun wir mit seinem Mädchen? Das arme Ding hat seinen Vater verloren, aber wenigstens den Tiger sollten wir ihr zurückgeben. Sie liebt Sotoro doch, oder täusche ich mich?“
„Nun mal langsam“, versetzte der Seewolf. „Traut ihr mir so was zu? Ein feiner Haufen seid ihr. Was schlagt ihr eigentlich vor? Wie verhalten wir uns? Na los, Wortmeldungen.“
Old O’Flynn räusperte sich, zog den Mund schief und verengte die Augen zu Schlitzen. „Freunde, wir sollten uns heimlich nach Bengkalis pirschen. Gut möglich, daß der Nebel unser Verbündeter ist. Klopfen wir den Dons auf die Finger und pauken wir Sotoro und die anderen vier ’raus. Das ist meine Meinung.“
„Dem habe ich nichts hinzuzufügen“, meinte Big Old Shane. „Diesmal stehe ich ganz auf Donegals Seite, wenn du meine ehrliche Überzeugung hören willst, Hasard.“
Der Seewolf zeigte den Anflug eines Lächelns. „Ich lege größten Wert darauf. Ben, Ferris, ihr seid mit den eben gesprochenen Worten einverstanden, das sehe ich euch an. Gut so. Ich hätte es bedauert, wenn euch das Schicksal des Tigers und seiner Kameraden gleichgültig gewesen wäre. Folgendes nun. Der Viermaster ist uns durch die Lappen gegangen, aber auch er kann uns – im Fall, daß er Verstärkung erhält und wieder aus dem Hafen von Bengkalis ausläuft – so schnell nicht aufstöbern. Wir tasten uns bis zum Nordwestufer der Insel Rangsang vor und verholen uns in irgendeinen Schlupfwinkel.“
„Und weiter?“ fragte Ben Brighton erstaunt.
„Dort warten wir auf das Eintreffen der Prahos.“
„Wie sollen die uns finden?“ wollte Ferris wissen.
„Ich habe das Nordwestufer der Insel als Treffpunkt mit dem Mann vereinbart, der Spanisch kann. Wir brauchen die Hilfe der Rebellen von Malakka, wenn wir in Bengkalis einen vernichtenden Schlag landen wollen“, sagte der Seewolf.
Der Kriegsschiffskommandant Arturo Diaz Escribano war zur Stelle, als der große Viermaster aus Manila an einer Pier im Hafen von Bengkalis vertäute. Escribano befand sich in Gesellschaft des Hafenkapitäns und des Stadtkommandanten. Obwohl er noch von den Ereignissen, die er hinter sich hatte, körperlich ausgelaugt und nervlich zerrüttet war, wollte Escribano keinesfalls darauf verzichten, als kompetente Persönlichkeit mit dabeizusein, wenn sich herausstellte, welche Bedeutung das unangemeldete Auftauchen dieser Galeone hatte.
Wenig später, auf dem Achterdeck der „Candia“, sah er dann die fünf Gefangenen Lucio do Velhos vor sich und vernahm gemeinsam mit den anderen Autoritäten den Bericht des Portugiesen.
Escribano fiel aus allen Wolken. Gleichzeitig fühlte er unbändigen Haß in sich aufsteigen. Wieder dieser unheimliche Engländer, dieser Teufel von einem Seewolf! Escribanos Verband war von den Korsaren vernichtet worden, und nach dem schmählichen Verlassen von Otonedjus Insel in den Beibooten der drei versenkten Kriegsgaleonen hatte Escribano dann noch von Glück sprechen können, am darauffolgenden Morgen von einer Handelsgaleone entdeckt worden zu sein, deren Besatzung ihn und die anderen Schiffbrüchigen von dem Los befreit hatte, ganz bis Bengkalis pullen zu müssen.
Aber nun dies!
Bleich vor Wut wies er mit dem ausgestreckten Finger auf die fünf malaiischen Freibeuter. „Auf was warten wir noch? Knüpfen wir diese Hunde an der nächsten Rah auf. Sie haben nichts Besseres verdient.“
Do Velho trat vor seinen Kollegen hin und musterte ihn von oben herab. „Bestimmen Sie das, Senor? Ich will diese Kerle noch verhören, bevor ich sie vors Bordgericht stelle. Da die Hunde aber kein Wort Spanisch oder Portugiesisch verstehen, benötige ich dringend einen Dolmetscher. Gibt es hier irgend jemanden, der des Kauderwelsches mächtig ist, mit dem sich die Bastarde untereinander verständigen?“
Arturo Diaz Escribano preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Es widerstrebte ihm erheblich, sich ausgerechnet von einem Portugiesen maßregeln und gängeln zu lassen. Was bildete sich dieser hergelaufene, eingebildete Hidalgo, dieser Parvenü, denn eigentlich ein?
Escribano schwieg.
Der Hafenkapitän und der Stadtkommandant, bislang fast als Statisten in den Hintergrund gedrängt, wurden nun aktiv. Während der Hafenkapitän mit do Velho sprach, ließ der Stadtkommandant nach jenem Atjeh schicken, auf dessen Hinweis hin Escribano vor Tagen mit seiner kleinen Streitmacht ausgelaufen war, um dem Tiger von Malakka den Garaus zu bereiten.
Uwak erschien im Laufschritt, nahm die Gangway von der Pier zur Kuhl der „Candia“ und erklomm das Achterdeck. Er trug die zivile Kleidung spanischer Bürger und hatte im übrigen ganz das Gebaren seiner neuen Herrn angenommen. Er wollte militärisch-zackig grüßen, blieb aber plötzlich drei, vier Schritte von den Gefangenen entfernt wie angewurzelt stehen.
In Spanisch stieß er hervor: „Senores, das – ja, hat denn keiner erkannt, wer das ist? Senor Comandante Escribano, lassen Sie diesen Kerl sofort in Ketten legen!“ Seine Stimme schraubte sich in schrille Höhen hinauf, er begann sehr unkontrolliert zu gestikulieren und deutete auf den schwarzbärtigen Malaien, in dessen Augen wieder ein wildes Feuer loderte.
„Das ist er! Der Tiger von Malakka!“
Escribano, der Sotoro nur aus Beschreibungen von Uwak gekannt hatte, stieß einen ellenlangen Fluch aus.
‚Der Hund kann Spanisch“, brüllte er dann. „Er hat uns hinters Licht geführt und jedes Wort verstanden, das wir gesprochen haben!“
Wutentbrannt wollte er sich auf Sotoro stürzen. Sotoro, der einen Kopfverband trug und dem die Hände auf den Rücken gefesselt worden waren, setzte sich im selben Augenblick in Bewegung. Er stürmte auf den Achterdecksplanken vor, um Uwak, dem Verräter, den Kopf in die Bauchgrube zu rammen.
Escribano und der Tiger prallten zusammen. Escribano erhielt statt des Atjehs den harten Schädel des malaiischen Rebellenführers in den Magen, er stöhnte auf und krümmte sich zusammen. Dann hatte er aber noch genügend Geistesgegenwart, sich auf den zornigen Sotoro zu werfen. Mit zwei Hieben hatte er den Gefesselten niedergeworfen, aber er hörte nicht auf, ihn mit Schlägen und Tritten zu traktieren.
Do Velho stoppte Escribano.
„Senor“, sagte der Portugiese rauh. „Es ist eines spanischen Offiziers der oberen Rangklasse unwürdig, auf einen Wehrlosen einzudreschen. Sie töten ihn, wenn Sie so weitermachen. Der Mann ist bereits bewußtlos.“
„Er täuscht das nur vor!“
„Diesmal irren Sie sich.“
„Do Velho!“ brüllte der Kommandant Escribano. „Halten Sie sich da ’raus! Sie wissen ja nicht, wer dieser schwarze Teufel ist.“
Kalt gab der Protugiese zurück: „Der Tiger von Malakka. Und ich habe ihn gefaßt, nicht Sie, Escribano. Treten Sie zurück. Ignazio, der Feldscher soll anrücken, und zwar sofort!“
Escribano wich mit gesenktem Haupt von dem reglos liegenden Sotoro zurück. Er sah wirklich so aus, als wolle er sich auf Lucio do Velho stürzen.
Uwak hatte ein Messer gezückt, um Sotoro den Rest zu geben, aber der Hafenkapitän bremste ihn, indem er ihn am Arm festhielt.
Sotoros vier Männer trafen Anstalten, sich trotz ihrer Fesseln den Todfeinden entgegenzuwerfen, doch auf do Velhos Wink hin legten zehn Soldaten der „Candia“ mit ihren Musketen auf die Rebellen an.
Kurze Zeit darauf stellte der eingetroffene Feldscher des Viermasters nach einer kurzen Untersuchung Sotoros nüchtern fest: „Dieser Mann muß dringend von einem Arzt behandelt werden, denn seine Kopfwunden sind wieder aufgeplatzt, und ich kann