Sherlock Holmes und die Tigerin von Eschnapur. Philip José Farmer

Sherlock Holmes und die Tigerin von Eschnapur - Philip José Farmer


Скачать книгу
seiner berüchtigten rechten Haken verpassen.«

      »Mit Vergnügen«, sagte ich und begann, meine Manschettenknöpfe zu öffnen.

      »Ich hoffe, Sie haben wirklich stets gute Gründe für Ihr Betragen, wie Dr. Watson sagt, Mr. Holmes«, merkte Ms. Sterling an. »Philipps arbeitet seit zwanzig Jahren für meine Tante.«

      »Dann hat sich wohl viel Frust aufgestaut«, versetzte Holmes und ließ den Mann los, der wie ein gehetztes Tier dreinschaute.

      »Das ist ungeheuerlich!«, wetterte Philipps voller Empörung. »Ungeheuerlich!«

      Ich wickelte meine Ärmel nach hinten.

      »Ach, tun Sie nicht so«, sagte Holmes leidenschaftslos. »Wieso haben Sie uns nachspioniert?«

      »Ich werde Ihnen sicher nicht antworten, Sie Rüpel!«, spie der Hausverwalter hervor. »Mit Leuten wie Ihnen will ich nichts …«

      Ich gewährte ihm einen guten Blick auf meine Faust.

      »Philipps«, mischte sich da Ms. Sterling ein. »Was hatten Sie in dem Busch zu suchen? Haben Sie uns belauscht, wie Mr. Holmes behauptet?«

      »Ich würde niemals …«

      »Die Wahrheit, Mann, Sie verschwenden nur unsere Zeit! Ein Tiger läuft frei durch London! Wer weiß, was er anrichtet, während wir herumstehen und Ihnen dabei zusehen, wie Sie sich eine haarsträubende Lügengeschichte ausdenken?« Holmes sah Ms. Sterling intensiv an, die inzwischen streng die Hände auf die Hüften gestützt hatte. »Es ist kein Klischee aus Watsons Geschichten: Verbrecher können es nicht lassen, sich zu exponieren. Sie kehren zum Tatort zurück oder versuchen, den Ermittlungen so nahe wie möglich zu sein. Hier, will ich meinen, treffen beide verbrecherischen Unsitten zusammen.«

      »Ms. Sterling«, lamentierte Philipps. »Sie kennen mich schon sehr lange. Muss ich mir das gefallen lassen?«

      Ich war mir nicht sicher, wie unsere Klientin reagieren würde, doch dann sagte sie: »Ich will wissen, wieso Sie sich in diesem Gebüsch versteckt haben, Philipps. Auf der Stelle. Und bedenken Sie: Ich bin fast genauso gut darin, einen Lügner zu erkennen wie Mr. Holmes. Wenn ich auch nur den leisesten Verdacht hege, dass Sie nicht die Wahrheit sagen, können Sie und Ihre Frau gleich Ihre Koffer packen, völlig egal, ob Sie im Testament meiner Tante stehen oder nicht. Sie wissen ja, dass ich eine Vollmacht habe, solange es ihr so schlecht geht.«

      Der grauhaarige Verwalter schien vor unseren Augen um Jahre zu altern. »Also schön«, sagte er schließlich. Ein schwerer Seufzer begleitete die nächsten Worte des Mannes, aus dem aller Widerstand gewichen war. »Ich habe Schulden bei Leuten, bei denen man keine Schulden haben sollte. Ich bin süchtig, Ms. Sterling, nach den süßen Träumen des Lotus, die sie in entsprechenden Etablissements an den Docks anbieten. Die Summe, die ich diesen Leuten schuldig bin, lässt mich schwindeln.«

      »Was hat das mit Sophie zu tun?«

      »Dazu komme ich jetzt. Einer meiner Schuldner brachte mich vor einer Woche mit einem Mann in Kontakt, den ich noch nie zuvor gesehen hatte.«

      »Können Sie ihn beschreiben?«, fragte Holmes sofort.

      »Irgendein livrierter Laufbursche«, tat Philipps Holmes’ Frage ab. »Er sagte mir, dass sein Herr meine Schulden übernehmen würde, sollte ich ihm dabei helfen, eines gewissen Tigers habhaft zu werden.«

      Ms. Sterling biss die Zähne zusammen. »Weiter.«

      »Als Sie gestern nach dem Ausmisten des Käfigs ein langes Bad nahmen und zu Bett gingen, entwendete meine Frau – bitte verurteilen Sie Miranda nicht dafür, dass Sie aus Liebe zu mir hält – Ihre Schlüssel. Während Sie schliefen, ließ ich den Mann, der mich angesprochen hatte, und einige seiner Gehilfen durch das Tor an der Rückseite des Anwesens herein. Sie hatten einen Pritschenwagen mit einem Käfig dabei. Darin lag eine tote Ziege. Es war nicht schwer, den Tiger …«

      »Sophie«, korrigierte Ms. Sterling mit Grabesstimme.

      »… Sophie in den Käfig zu kriegen. Sie schlossen die Schiebetür, sobald sie drin war und an der Ziege fraß, deckten den Käfig auf dem Wagen mit einer Plane ab und fuhren von dannen, und ich brachte den Schlüssel zu Miranda zurück, die ihn wieder in Ihr Zimmer legte. Miss.«

      Wir alle ließen diese Worte wirken, und abermals war es Ms. Sterling, die als Erste reagierte – sie holte aus und verpasste Philipps den Faustschlag, den Holmes ihm aus meiner Richtung angekündigt hatte. Der Verwalter ging zu Boden, und Ms. Sterling schüttelte hinreißend fluchend ihre Hand aus.

      »Soll ich mir Ihre Hand ansehen?«, erbot ich mich.

      Die Raubkatzenhalterin aus Eschnapur, die mir in diesem Augenblick selbst wie eine Tigerin erschien, lehnte ab. »Nein. Finden Sie Sophie. Das ist alles, was zählt.«

      »Was ist mit mir?«, fragte der im Gras liegende Philipps und spuckte Blut. »Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt!«

      »Das haben Sie«, sagte Ms. Sterling. »Deshalb gebe ich Ihnen bis Mittag Zeit, Ihre Sachen zu packen und mit Ihrer Frau zu verschwinden, bevor ich die Polizei benachrichtige.«

      * * *

      Holmes’ abschließende Befragung des wahrlich niedergeschlagenen Philipps brachte keine nützlichen Hinweise in Bezug auf die Identität der Männer, die den Tiger entwendet hatten. Ms. Sterling musste nach ihrer Tante sehen und die neuesten Entwicklungen vermutlich erst einmal verarbeiten, und so machten Holmes und ich uns auf den Rückweg in die Baker Street, um unser weiteres Vorgehen und unsere Tigerjagd im Großstadtdschungel zu planen.

      »Welches Interesse könnte jemand daran haben, Ms. Sterlings Tiger zu entführen?«, fragte ich Holmes unterwegs im Hansom-Cab. »Geht es um Lösegeld? Oder steckt ein amerikanischer Waffenhändler wie Sharps dahinter, der hofft, dass jeder Haushalt in London sich aus Angst vor einer frei laufenden Bestie ein neues Gewehr zulegt, wie es zur Büffeljagd in der Prärie verwendet wird? Verkauft jemand Sophie an einen russischen Zirkus, dessen Tiger eingegangen ist? Oder reicht einem adeligen Jäger die traditionelle Fuchsjagd nicht mehr aus?«

      »Hmh«, machte Holmes lediglich, der sich so früh in einer Ermittlung nur selten in die Karten schauen ließ.

      Als wir die Baker Street erreichten, verteilte ein junger Bursche auf dem Gehweg ein Extrablatt der Times.

      Wilde Bestie zerfleischt Apotheker!, lautete die Schlagzeile, die der Bursche fröhlich skandierte, derweil er in einem fort Blätter gegen Pennys tauschte.

      Holmes und ich stiegen sogleich in die nächste Kutsche, um zum Schauplatz des Angriffs in Mayfair zu gelangen.

      Mit viel Ellenbogeneinsatz und Erfahrung kämpften wir uns durch die Menge der Schaulustigen bis zur Mündung einer Gasse zwischen zwei Hausreihen. Inspector Gregson von Scotland Yard hatte die Aufsicht über den Tatort, und er ließ uns gerne die Absperrung passieren.

      »Ich hab keine Ahnung, was hier passiert ist, Gentlemen«, eröffnete er uns.

      »Wir schon, fürchte ich«, sagte ich.

      Ein Constable zog das Tuch zurück, mit dem die Leiche abgedeckt war. Den Mann, im Gesicht kaum noch als solcher zu erkennen, hatten die Krallen des Tigers übel zugerichtet. Überall klafften rote Schlitze und Risse, dazu kam eine Menge Blut.

      »Sophie«, sagte ich, und Holmes nickte düster.

      »Könnte mir bitte jemand von Ihnen sagen, worum es hier geht und was Sie wissen?«, verlangte Gregson. »Wer ist Sophie? Und wer hat den armen Teufel dergestalt aufgeschlitzt?«

      »Ein Tiger«, sagte ich und deckte die Leiche wieder zu.

      »Ein Tiger?« Gregson sah mich an, als wären mir Streifen gewachsen. »Sie belieben hoffentlich zu scherzen, Doktor!«

      Holmes erzählte Gregson das Nötigste über Ms. Sterling und wie wir in den Fall der Tigerin von Eschnapur verstrickt waren.

      »Ich muss mit meinen Vorgesetzten reden«, sagte der Inspector daraufhin mit blassem Gesicht. »Sofort.«


Скачать книгу