Der Weg zur Promotion. Stephan Schmauke
kommenden Universität: Es ist in Deutschland dank der föderalen Bildungslandschaft glücklicherweise (noch) nicht so, dass sie an einer »Eliteuniversiät« promovieren müssten, um sich einen akademischen Namen zu machen oder um später beruflichen Erfolg zu haben. Trotz der mannigfachen Bemühungen vieler Universitäten, hohe Positionierungen in Rankings zu besetzen und Drittmittel aus den immer wieder neu aufgelegten Elitenförderungsprogrammen einzuwerben, haben wir in Deutschland (bisher) weder so etwas wie die amerikanischen »Big Five« oder das englische Oxford/Cambridge-Duopol noch die französischen Grandes Écoles. Trotzdem gibt es auch in Deutschland Fächer oder Institute, die an der Universität X einen besseren Ruf haben als an der Universität Y. Welche das jeweils sind, kann ich Ihnen hier natürlich nicht verraten. Das müssen Sie selbst herausfinden. Nur soviel: Ein öffentlich publiziertes Universitätsranking ist nicht hilfreich dabei, das wissenschaftliche Ansehen eines Instituts zu ermitteln. Ihr Fach wird möglicherweise an der Eliteuniversität X viel schlechter repräsentiert als an der »Normalouniversität« Y.
•Die Bereitschaft, Ihre Promotion auch dann zu betreuen, wenn Sie sich von vornherein nicht für eine akademische Karriere, sondern für außerakademische Berufsoptionen qualifizieren möchten. Idealerweise sollte Ihre Betreuerin in diesem Fall eine Expertise oder ein Netzwerk besitzen, die die Anschlussfähigkeit Ihrer Promotion in Wirtschaft oder Verwaltung sicherstellen kann. Wenn Sie kumulativ promovieren, sollte Ihre Betreuerin sich mit den Publikationsbedingungen der einschlägigen Journale auskennen, ebenso sollte eine entsprechende Expertise vorhanden sein, falls Sie Ihre Arbeit auf Englisch verfassen wollen (oder müssen).
•Die Attraktivität des Hochschulstandortes: Vorausgesetzt, Sie wollen Ihren Lebensmittelpunkt an den Hochschulstandort verlegen, an dem die von Ihnen favorisierte Betreuerin lehrt, ist die Attraktivität der Stadt in die Überlegungen einzubeziehen. Denn selbst ein ideales Betreuungsverhältnis wird Ihnen mittelfristig kaum darüber hinweghelfen können, wenn Sie sich mit dem Leben in Ihrer Universitätsstadt nicht arrangieren können oder wollen. Ein Beispiel: Eine Promotionsstipendiatin, die aus einem afrikanischen Land kommt, hat mir berichtet, dass Professorin X an der Universität Y für Ihr Fach eigentlich die am besten geeignete Person gewesen sei. Die Stipendiatin hat dann aber die Berichterstattung über regelmäßig stattfindende rassistische Kundgebungen in der entsprechenden Stadt zur Kenntnis nehmen müssen und sich aufgrund dessen nach einer Alternative umgesehen.
•Der politische Wertekanon der Betreuerin beziehungsweise des Instituts. Insbesondere wenn Sie selbst ein politisch engagierter Mensch sind, sollten Sie sich zumindest grob über das politische Mindset der von Ihnen favorisierten Betreuerin informieren. (zum Beispiel durch Artikel in der Tagespresse oder Informationen vom AStA.) Es hat nämlich nur geringe Erfolgsaussichten, wenn Sie selbst etwa betont progressiv-ökologische Ansichten vertreten sollten und gleichzeitig versuchen würden, bei einer bekannten erzkonservativen Professorin zu promovieren. Natürlich sind mathematisch-naturwissenschaftlich-technische Fächer von dieser Problematik der inkompatiblen politischen Mindsets seltener betroffen als geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer, doch auch hier kann es zu großen Problemen kommen, wenn Sie zu spät merken sollten, dass der von Ihrer Betreuerin oder Ihrer Fakultät vertretene Wertekanon dem Ihrigen diametral entgegengesetzt ist.
Die Frage, wie die Persönlichkeiten, das wissenschaftliche Renommee, der Vernetzungsgrad und die allgemeine Betriebsamkeit der infrage kommenden Betreuerinnen einzuschätzen sind, wird uns übrigens weiter unten (im Abschnitt »Professorinnentypen« ab S. 106) erneut beschäftigen.
KONTAKTAUFNAHME
Sie haben also einige Professorinnen als mögliche Betreuerinnen Ihrer Promotion in die engere Wahl genommen. Der nächste Schritt besteht dann darin, Termine mit den Sekretariaten der infrage kommenden Professorinnen auszumachen. (Telefonisch, nicht per Email. Emails landen gerne mal im Spam!) In den meisten Fällen werden Sie bereits am Telefon Informationen über bestimmte Vorbedingungen erhalten: Etwa, dass man für ein erstes Kontaktgespräch bereits die Einsendung eines Exposés erwarte. Koordinieren Sie die verschiedenen Termine gut – und sagen Sie auf jeden Fall rechtzeitig ab, wenn Sie einen Termin nicht wahrnehmen können! Vermeiden Sie unter allen Umständen, bei den Sekretärinnen Ihrer möglichen späteren Betreuerinnen einen unhöflichen Eindruck zu hinterlassen, denn sie sind die Mittlerinnen zwischen Ihren Interessen und denen Ihrer Betreuerin. (Sie sind unheimlich wichtig!)
Das Vier-Augen-Gespräch mit den möglichen zukünftigen Betreuerinnen ist von entscheidender Bedeutung, denn das allerwichtigste Kriterium für die Betreuerinnenwahl ist die persönliche Eignung der Betreuerin. Die Professorin muss Ihnen sympathisch sein (und idealerweise auch umgekehrt), und das können Sie nur in einem persönlichen Gespräch herausfinden. Gehen Sie nicht das Wagnis ein, bei jemandem zu promovieren, bei dem sie das Gefühl haben, es könnte im Zwischenmenschlichen zu Problemen kommen – mag dieser jemand auch noch so renommiert, vielbeschäftigt und perfekt vernetzt sein. Denn vergessen Sie nicht: Sie begeben sich freiwillig in eine mehrjährige Abhängigkeitsbeziehung zu dieser Person, weshalb nicht nur sachliche (fachliche) Aspekte wichtig sind, damit sie gemeinsam mit Ihrer Betreuerin eine gute Promotion zustande bringen, sondern auch emotionale.
Verhalten Sie sich weder kriecherisch noch überheblich: Bekommen Sie also weder weiche Knie vor dem Namen einer weltberühmten »Koryphäe« noch tun Sie klüger, als Sie sind. Formulieren Sie sachlich Ihre Vorstellung von Ihrem wissenschaftlichen Projekt und seien Sie bereit, an dieser frühen Stelle schon mit inhaltlicher Kritik, mit Erweiterungsvorschlägen oder sogar mit der kompletten Ablehnung Ihres Themas konfrontiert zu werden. Formulieren Sie insbesondere auch Ihre eigenen Erwartungen, die Sie an die Betreuungssituation stellen – denn schließlich hat Ihr Gegenüber auch ein Interesse daran, abschätzen zu können, wie groß der Betreuungsaufwand werden wird.
Im Falle einer inhaltlichen Verständigung über das Promotionsprojekt (und gegenseitiger persönlicher Sympathie) kommt es nach einem solchen Vier-Augen-Gespräch in der Regel schon dazu, dass die Professorin Ihnen zu erkennen gibt, Ihre Promotion betreuen zu wollen. In der Regel wird dazu eine »Betreuungsvereinbarung« abgeschlossen, eine Art Compliance-Kodex, ein fakultätsweit verwendetes Standardformular, das die gegenseitigen »Erwartungen« von Doktorandin und Betreuerin schriftlich fixiert. (Früher begnügte man sich mit der mündlichen Zusage seitens der Betreuerin.) Diese Betreuungsvereinbarung ist (zusammen mit Ihrem Hochschulabschlusszeugnis) die formale Voraussetzung zur »Zulassung zur Promotion«, die Sie bei der entsprechenden Fakultät einreichen müssen. Mit der Zulassung beginnt dann die sogenannte »Qualifikationsphase« Ihrer Promotion. Das heißt, Sie sind ab diesem Zeitpunkt offiziell »Doktorandin« beziehungsweise eine »Promovierende«.
STRUKTURIERTE PROMOTION ODER INDIVIDUALPROMOTION?
Wenn Ihnen solch ein Abhängigkeitsverhältnis zu einer einzelnen Person unheimlich sein sollte: Seit ein paar Jahren gibt es in Deutschland die Möglichkeit, sich für »strukturierte Promotionsprogramme« nach dem Vorbild der PhD-Ausbildung zu bewerben, wie sie an nordamerikanischen und britischen Universitäten üblich ist. Dabei handelt es sich um an verschiedenen Universitäten angesiedelte, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierte Graduiertenkollegs. Im November 2019 liefen 56 derartige Projekte in geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächern, 77 im Bereich der Biomedizin und Pharmakologie und 87 im MINT-Bereich.
Bevor Sie sich zu früh freuen: Der Einstieg in diese Promotionsprogramme führt immer noch traditionell über eine einzige Betreuerin, die Sie gegebenenfalls für eine strukturierte Promotion vorschlägt. Und: Im Gegensatz zum angelsächsischen PhD ist der Abschluss einer strukturierten Promotion hierzulande nicht mit dem Recht verbunden, an einer Universität zu lehren – genauso wenig wie der traditionelle Doktortitel übrigens.
Aber immerhin: Sie wären als Teilnehmerin an einem solchen Programm nicht einer einzigen Betreuerin (der »Doktormutter« oder dem »Doktorvater«) zugeordnet (und in gewisser Weise ausgeliefert), sondern würden von einem Team an Betreuerinnen und Mentorinnen im Promotionsverlauf gemanagt werden. Sie würden auch