Die Mineralwasser- & Getränke-Mafia. Marion Schimmelpfennig
noch erhöhen, denn die Bürger verlangten nach seinem Wasser. Brown gab zu, dass Nestlé derzeit rund 30 Prozent des in Kalifornien abgepumpten Wassers verschwende, und kündigte Verbesserungen an.
In der kanadischen Provinz British Columbia pumpt Nestlé in der Ortschaft Hope jährlich rund 265 Millionen Liter Grundwasser aus dem Boden – und muss das entnommene Wasser weder messen, melden noch irgendwelche ökologischen Schutzvorkehrungen treffen, weil die uralte Grundwasserregulierung das nicht vorsieht. Für diese enorme Wassermenge muss der Konzern jährlich lediglich 596,25 Dollar bezahlen. Das sind 2,25 Dollar für eine Million Liter. Was passiert mit diesem Wasser? Es wird anschließend in Flaschen verkauft. In der benachbarten Ortschaft Gibson gab es früher einen öffentlich zugänglichen Wasserhahn, aus dem man das sehr saubere und gute Wasser kostenlos zapfen konnte. Heute müssen die Menschen dafür ihre Kreditkarte zücken oder Münzen in den Wasserautomaten werfen. Die in politischen Belangen sonst eher lethargischen Kanadier haben eine Bürgerinitiative dagegen gestartet. „Nestlé findet nichts dabei, [das Wasser] für ein Almosen aus dem Boden zu saugen und in einer Plastikflasche zu verkaufen.“
Am 30. Dezember 2015 beantragte Nestlé Waters North America nach Angaben von WNEP eine Ausnahmegenehmigung für den Betrieb einer Abfüllanlage von Quellwasser in Kunkletown in Pennsylvania. Über 750.000 Liter will Nestlé dort täglich abpumpen. Auch hier sind Auseinandersetzungen abzusehen, denn die Bürger haben sich bereits formiert und protestieren gegen das Vorhaben. Gegen die Verantwortlichen in der Gemeinde haben sie Zivilklage erhoben, weil Regeln umgangen worden seien, um Nestlé bevorzugt behandeln zu können.
Auch auf eine Quelle im kanadischen Elora hat Nestlé es inzwischen abgesehen. Der Konzern will dort die Wasserqualität testen und bei positivem Ergebnis die Quelle kaufen. Und auch hier haben sich besorgte Bürger bereits zusammengeschlossen und protestieren gegen den Ausverkauf ihres Wassers.
In der ARD-Sendung Weltspiegel vom 6. Mai 2013 konnten Millionen Zuschauer am Bildschirm mitverfolgen, wie Nestlé in der Nähe von Pretoria Quellwasser in Flaschen abfüllt, während die Menschen direkt um die Fabrik herum ein Leben in Müll und ohne Wasseranschluss fristen. Diejenigen, die bei Nestlé Arbeit gefunden haben, müssen sich mit Almosen begnügen, wenn es um das Wasser geht, das eigentlich „ihr“ Wasser ist. Oder besser gesagt, war, denn die Regierung hat Nestlé eine Konzession erteilt. Die Reportage bestätigt, was die Schweizer Journalisten Res Gehriger und Urs Schnell in ihrem inzwischen mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm „Bottled Water“ über Nestlés Wasserpolitik aufgedeckt hatten. Arbeiter erklären, sie hätten zwar kein fließendes Wasser zu Hause, dürften aber Flaschen mit beschädigtem Etikett schon einmal mitnehmen. Nestlé gebe ihnen zwar einen Liter Wasser am Tag zu trinken, aber diese Flaschen nähmen sie oft lieber für die Kinder zu Hause mit, denn leisten könnten sie sich dieses saubere Wasser aus dem Supermarkt nicht. Und das, obwohl es eigentlich nur wenige Meter von ihrer Hütte aus dem heimischen Boden fließt. Durch einen Tunnel gehen die Menschen auf die andere Seite der Schnellstraße, denn dort hat der Konzern – man gibt sich großzügig – einen kleinen Wasserhahn zur Verfügung gestellt. Ein Arbeiter fragt, ob es für Nestlé nicht möglich wäre, eine Leitung mit sauberem Wasser ins Dorf zu legen. Eine gute Frage. Wie antwortet Nestlé? „Die Forderung nach einer Wasserleitung in das Dorf macht den Bau einer Rohranlage unter einer bestehenden Schnellstraße notwendig. Ein solcher Bau liegt in der Verantwortlichkeit der staatlichen Behörden.“ Natürlich. Das hilft diesen Menschen sehr.
Im Oktober 2014 berichtete die Handelszeitung in der Schweiz, dass Nestlé kurz vor der Inbetriebnahme einer Abfüllanlage für Mineralwasser in Äthiopien stehe. Die Produktion solle den Zugang zum äthiopischen Markt mit seinen über 90 Millionen Einwohnern erleichtern. Dazu arbeite das Waadtländer Unternehmen mit dem äthiopischen Produzenten Great Abyssinia zusammen, dem größten Mineralwasserproduzenten des Landes. Die Neue Zürcher Zeitung schrieb dazu, Nestlé verfolge die Entwicklung in Äthiopien ganz genau, um im richtigen Moment mit einem direkten Engagement einsteigen zu können. Der Moment wäre perfekt gewählt: Dem Land droht derzeit die schlimmste Dürre seit 30 Jahren. Die 8,2 Millionen Menschen, die von der Dürre betroffen sind, werden sich das Flaschenwasser nicht leisten können.
Da ich keine weiteren Details zu dieser Meldung finden konnte, fragten wir bei Nestlé nach, ob das Unternehmen dort in Äthiopien inzwischen Wasser abfülle und verkaufe. Außerdem wollten wir wissen, ob Nestlé an Abfüllorten, wo die Menschen in der (nahen) Umgebung sich das abgepumpte und in Flaschen verkaufte Wasser nicht leisten können, dafür Sorge trägt, dass diese Menschen das zum Überleben benötigte Wasser von Nestlé kostenlos erhalten – so wie Herr Brabeck-Letmathe dies immer wieder betont.
Nestlé antwortete, dass man zwar derzeit keine Aktivitäten in Äthiopien und auch keinen Brunnen im Bau habe, aber als langfristiger Partner großen Wert auf ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis mit den lokalen Gemeinschaften an den weltweiten Niederlassungen lege. Dazu gehöre auch an „vielen Standorten“, an denen die öffentliche Wasserversorgung nicht sichergestellt ist, die Bereitstellung von Trinkwasser oder Wasseraufbereitungsanlagen. Dazu nannte Nestlé ganze zwei Beispiele. Eines davon war der unsägliche Wasserhahn in der Nähe der Abfüllanlage im südafrikanischen Pretoria. Und wer es überlesen haben sollte: Nestlé gibt längst nicht allen bedürftigen Menschen kostenlos Wasser – nur „vielen“. Wir fragten nach, was man sich unter „vielen Standorten“ vorstellen dürfe – 99 Prozent aller Standorte vielleicht? Oder etwas weniger?
Nestlé bat um Verständnis: Es stünden keine weiteren Informationen zur Verfügung.
Der Zeit sagte Brabeck am 26. Januar 2012:
„Ich bin der Meinung, dass es ein Menschenrecht ist, über die täglich benötigten fünf Liter Trinkwasser und 20 Liter Wasser für die tägliche Hygiene zu verfügen.“
Also „satte“ 25 Liter. Inklusive Geschirr spülen, Wäsche waschen, Körperpflege und Toilettengänge. Und was ist mit der Bewässerung meines Gartens, wo ich Gemüse für meine Familie anbauen muss, um zu überleben? Wir haben es übrigens einmal getestet und sind eine Woche lang extrem sparsam mit Wasser umgegangen. Das Ergebnis: 25 Liter pro Tag und Person sind ein Witz!
In seiner offiziellen Stellungnahme zum Dokumentarfilm „Bottled Life“ sagt Brabeck:
„Ich bin aber andererseits nicht der Meinung, dass die übrigen 98,5% des Süßwassergebrauchs – inbegriffen die Bewässerung von Golfplätzen und das Autowaschen – ein Menschenrecht sind.“
Ja, all die Menschen in Südafrika, Algerien, Pakistan und wo sonst Sie noch zu Dumpingpreisen das Wasser abpumpen, haben sicherlich eigene Pools, Autos und Golfplätze!
Ist es das, Herr Brabeck, was Sie mit „gezielt eingreifen“ meinen?
Nestlégate
Oder das vielleicht?
Im Jahr 2008 wurden Nestlé und die Sicherheitsfirma Securitas mit einer Strafanzeige und einer Zivilklage konfrontiert. Der Vorwurf: Eine Gruppe von Attac in der Schweiz, die an einem kritischen Buch über Nestlé gearbeitet hatte, war im Auftrag von Nestlé von Securitas infiltriert und ausspioniert worden. Das Westschweizer Fernsehen TSR hatte den Fall publik gemacht. Im Januar 2013 lag das Urteil vor: Ein Zivilgericht verurteilte den Nahrungsmittelkonzern sowie Securitas wegen unerlaubter Infiltration. Nestlé und Securitas wurden dazu verurteilt, den beiden Klägerinnen eine Genugtuung in Höhe von je 3000 Franken zu bezahlen.
Was die Verantwortlichen im Spionagefall um Nestlé und Securitas nicht gesagt haben und wie sie im Untersuchungsrichter einen Verbündeten fanden, erzählt ein Buch. Der Journalist Alec Feuz gelangte in den Besitz der Untersuchungsakten und zeichnet in seinem Buch „Affaire Classée“ („Zu den Akten gelegte Affäre“) das Verfahren minutiös nach. Über knapp 200 Seiten führt er Untersuchungsrichter Jacques Antenen vor, sodass man fast – aber nur fast – Mitleid mit dem Richter bekommt. Feuz diktiert ihm naheliegende Fragen, die der Richter nie gestellt hat, weist auf widersprüchliche Aussagen und fehlende Beweisdokumente hin. Antenen bittet die Anwälte der Firmen freundlich darum, selbst nach Beweismitteln zu forschen. Seine Begründung: „Ich kann doch nicht 850 Polizisten zu Nestlé schicken!“ Wer des Französischen mächtig ist, wird seine Freude an diesem Buch haben.