Die Mineralwasser- & Getränke-Mafia. Marion Schimmelpfennig
Mai 2012 ist Diána Bánáti, Vorsitzende des Verwaltungsrates der EFSA, von ihrem Amt zurückgetreten. Sie ging als Vorsitzende zum International Life Sciences Institute (ILSI), das von der Lebensmittel- und Agrochemieindustrie finanziert wird. Sie war bereits im September 2010 in Kritik geraten, weil sie gleichzeitig Mitglied des Verwaltungsrates von ILSI gewesen war.
2012 hatte die Kommission Mella Frewen (zuvor bei Monsanto), die für Food Drink Europe, den größten Dachverband der Lebensmittelindustrie, tätig ist, als Mitglied des EFSA-Verwaltungsrates nominiert. Frewen beklagte in ihren Vorträgen zum Beispiel, dass die Verbraucher zu wenig Vertrauen in die Lebensmittelbranche haben. Ihre Ernennung wurde schließlich durch die EU-Mitgliedsländer und das Europäische Parlament gestoppt.
2013 schlug die Kommission erneut eine Chef-Lobbyistin von Food Drink Europe für den EFSA-Verwaltungsrat vor: Beate Kettlitz. Nach heißen Diskussionen – auch in der Öffentlichkeit – wurde Kettlitz nicht übernommen.
Dafür zog Jan Mousing vom Dänischen Forschungszentrum für Landwirtschaft erneut (!) in den Verwaltungsrat ein. Mousing ist zugleich Chef dieser Organisation, die die Interessen der dänischen Lebensmittelindustrie vertritt.
Im September 2015 verlautete, dass Hans Verhagen, der die niederländische Regierung in wissenschaftlichen Ernährungsfragen berät, künftig die Abteilung Risk Assessment and Scientific Assistance Department (RASA) leiten soll. Er ist aber auch Mitglied des Lenkungsausschusses der Lobbyorganisation ILSI.
Harry Kuiper leitete fast zehn Jahre lang das Expertengremium für Gentechnik bei der EFSA. Während dieser Zeit arbeitete er eng mit dem ILSI zusammen. Hersteller wie Monsanto, Dupont, Dow Agro Sciences, Syngenta und Bayer kooperieren über diese Plattform mit dem Ziel, eine vereinfachte Marktzulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen zu erreichen.
EFSA-Verwaltungsrat Jiri Ruprich war bis März 2011 für Danone in der Tschechischen Republik tätig.
Gremienmitglied Carlo Agostoni wird seit 2000 von Konzernen wie Nestlé, Danone, Heinz, Hipp, Humana und Mead Johnson als Redner bei Konferenzen bezahlt.
Sehen Sie es mir bitte nach, dass ich an dieser Stelle mit der EFSA aufhöre. Sonst lesen Sie mich noch nächstes Jahr.
Heute ein Gesetz verabschieden, morgen davon profitieren
Die aktuelle Studie von Transparency International aus dem Jahr 2015 bescheinigt deutschen Politikern ein Armutszeugnis: Im europäischen Vergleich liegt Deutschland von 22 Ländern auf Platz 16. Sogar Länder wie Bulgarien haben besser abgeschnitten. Eine Tatsache wurde von der Studie besonders heftig kritisiert: die bis dahin noch fehlende Karenzzeit für Mitglieder des Bundestages bis zum Wechsel in die Wirtschaft. Das bedeutet, dass jeder, der heute als Parlamentarier über ein Gesetz entscheidet, schon morgen als Führungspersönlichkeit davon profitieren kann. Im Februar 2015 schließlich beschloss das Bundeskabinett endlich ein Gesetz, das Regierungsmitgliedern eine verpflichtende Auszeit von mindestens einem Jahr vorschreibt.
Damit wird das Problem jedoch nur ein bisschen nach hinten verschoben: Wer den Absprung in die Wirtschaft plant, könnte schon jetzt nicht im Sinne der Öffentlichkeit, sondern bereits zugunsten des neuen Arbeitgebers handeln. Und da Politiker auch über Gesetzesvorhaben informiert sind, lange bevor diese in die Öffentlichkeit gelangen und umgesetzt werden, könnten sie ihrem künftigen Arbeitgeber mit solchen Informationen wichtige Vorteile verschaffen.
Es gibt massenhaft Beispiele dafür, die Sie praktisch in jeder beliebigen Zeitung nachlesen können. Ich nenne hier nur eines: 2013 trat der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck zurück und nannte gesundheitliche Probleme als Begründung. Wenige Monate später heuerte er allerdings bereits als Berater beim Pharmakonzern Boehringer Ingelheim an. Ja, da sind Kranke bestens aufgehoben …
Es geht aber noch viel „effizienter“, wie beispielsweise Heiko Stiepelmann vom Hauptverband der deutschen Bauindustrie ganz ungeniert zugibt. Im Jahr 2007 erhielten die Redakteure der ARD-Sendung Monitor den prestigeträchtigen Adolf-Grimme-Preis für zwei Beiträge zum Thema Lobbyismus, die im Jahr 2006 ausgestrahlt wurden. Die Redakteure konnten belegen, dass Mitarbeiter von Unternehmen in Ministerien arbeiten, obwohl sie weiterhin von ihrer Firma bezahlt werden. So können sie beispielsweise – wie praktisch! – an Gesetzesentwürfen mitarbeiten. Sozusagen „bei guter Führung“ können diese Mitarbeiter es auch bis zum Referatsleiter bringen.
Die Einflüsterer: 40 Lobbyisten proEU-Parlamentarier
Über 30.000 Lobbyisten, so Schätzungen, gehen in Brüssel ihrer Tätigkeit nach – das sind fast 40 Lobbyisten pro Europaparlamentarier. Und die sorgen dafür, dass das Demokratieprinzip immer wieder ausgehebelt wird. Zwar gibt es in Brüssel und Straßburg ein sogenanntes „Transparenzregister“, in das sich alle Lobbyisten mit ihrem Budget und ihrem Interessensgebiet eintragen sollen, doch dieses Register ist – Trommelwirbel! – freiwillig. Zum Zeitpunkt dieser Recherche – am 12. Dezember 2015 – waren 6.018 Personen registriert. Ja, unter Transparenz versteht der eine das, der andere das …
In einem Bericht des Spiegel, der am 12. Juni 2012 veröffentlicht wurde, sagte Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament, sie werde täglich „mit E-Mails bombardiert“, es regne Einladungen zu Hintergrundfrühstücken, -mittagessen und -abendessen. Sie kritisiert, dass sich dabei häufig die Grenzen verwischen: „Da lädt ein Abgeordneter als Gastgeber ein, aber tatsächlich wird die Veranstaltung gestaltet von Lobbyvertretern, die ihre Interessen darlegen.“ PR-Experten wie Jup van ’t Veld von der Agentur Schuttelaar & Partners, so der Spiegel, haben aber auch andere Wege gefunden, um ihre Interessen durchzusetzen: Sie „kooperieren“ mit den Beamten, die Gesetze verfassen. Die Beamten bekämen sehr gerne Vorschläge, wie man ein Gesetz verbessern könne, sagt der Berater, und manchmal würden diese auch in den endgültigen Gesetzestext übernommen.
Einmal rügen – zack?
Erinnern Sie sich daran, dass sich das EU-Parlament für eine verbesserte Herkunftsbezeichnung ausgesprochen hatte? Erinnern Sie sich auch an das Ergebnis? Diese wichtige Initiative ist an der hartnäckigen Lobbyarbeit der Lebensmittelindustrie gescheitert. Deshalb wissen Sie auch heute noch nicht, woher zum Beispiel die Orangen oder Äpfel in Ihrem Saft kommen. Der Spitzenverband der Lebensmittelindustrie (Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde) „rügte“ das Vorhaben als „zu weitgehend“. Die Politiker knickten schließlich ein.
Ärgern Sie sich auch darüber, dass die Schriftgröße für Informationen auf Verpackungen viel zu klein ist? Ich kann sie selbst mit meiner Lesebrille kaum noch entziffern! Die EU-Kommission hatte endlich den Vorschlag gemacht, die Schriftgröße zu erhöhen, und zwar auf 3 Millimeter. Das wäre für mich eine riesige Erleichterung gewesen! Doch die Lobby war stärker: Seit 13. Dezember 2014 gilt die neue EU-Lebensmittelinformationsverordnung, nach der die Mindestschriftgröße klägliche, schändliche 1,2 Millimeter beträgt. Die Begründung der Lebensmittelindustrie: Eine größere Schrift würde ihren „Markenauftritt“ gefährden. Deutlicher kann man nicht sagen, wie viel man von uns hält. Lesen Sie selbst, was der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) im Namen der Verbände dazu schrieb: „Auch die Forderung der EU-Kommission nach einer Mindestschriftgröße von 3 mm für die Kennzeichnung von Lebensmitteln ist nicht zielführend. Sie ist keine Gewähr für die bessere Lesbarkeit der Angaben für die Verbraucher. […] Besser ist es, gemeinsam mit den betroffenen Wirtschaftsbeteiligten Leitlinien zu erarbeiten [Hervorhebung durch mich], die eine Orientierung für die Lesbarkeit von Angaben bieten.“ Was dann auch geschehen ist. Nein – eine größere Schrift trägt keinesfalls zu einer besseren Lesbarkeit bei. Ironie aus.
Und was war mit der geplanten Ampelkennzeichnung, die über 70 Prozent der Verbraucher haben wollten? Damit hätten die Menschen auf einen Blick erkennen können, ob ein Produkt zum Beispiel eine große, mittlere oder geringe Menge an Zucker enthält. Um dies zu verhindern, gab die Lebensmittelindustrie in einer jahrelangen Kampagne eine Milliarde (!) Euro aus – mit Erfolg, wie wir wissen. Das klingt nach sehr viel Geld, ist aber nichts im Vergleich zu den Umsatzverlusten und Gewinneinbrüchen, die der Branche mit dieser Ampelkennzeichnung gedroht hätten, denn plötzlich hätten die Verbraucher angebliche Fitness-Produkte sofort als