Die Mineralwasser- & Getränke-Mafia. Marion Schimmelpfennig

Die Mineralwasser- & Getränke-Mafia - Marion Schimmelpfennig


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mindestens ein oder zwei Vorfälle pro Woche, die so ernst waren, dass sie an die Zentrale gemeldet werden mussten. Und es gab durchschnittlich ein oder zwei wirklich schwere Vorfälle pro Jahr. „Man hört jedoch nicht immer etwas darüber, weil diese Vorfälle sehr diskret behandelt werden“, so Motarjemi, „und Konzerne wie Nestlé haben großen Einfluss darauf, was die Medien berichten. Außerdem sind Behörden sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, gegen Konzerne vorzugehen. Und die, die das doch tun – zum Beispiel beim Bleiskandal in Indien –, riskieren empfindliche Vergeltungsmaßnahmen. Oder wie erklären Sie sich sonst, dass es in Entwicklungs- und Schwellenländern nicht mehr Produktrückrufe gibt? Die meisten Rückrufaktionen gibt es in den USA, und die USA haben das ausgefeilteste Lebensmittelkontrollsystem der Welt! Ein Mangel an Vorfällen ist also kein Beweis dafür, dass es keine Vorfälle gab.“

      Ich fragte Motarjemi, ob sie noch einmal für einen Lebensmittelhersteller arbeiten würde. „Zum jetzigen Zeitpunkt nicht“, antwortete sie. Sie habe übrigens auch kein Angebot erhalten. Und bis jetzt sei kein einziger Lebensmittelhersteller auf sie zugekommen, um Fragen zu stellen, zum Beispiel darüber, welche Fehler in der Lebensmittelsicherheit gemacht werden.

      Wir können also getrost davon ausgehen, dass die Hersteller diese Thematik überhaupt nicht interessiert. Vermutlich deshalb, weil sie genauso unverantwortlich mit ihren Produkten umgehen und auch gar nichts daran ändern wollen.

      Ich wollte wissen, ob sie keine andere Möglichkeit gesehen habe, die Praktiken von Nestlé an die Öffentlichkeit zu bringen – gab es wirklich nur die Klage wegen Mobbing? Sie habe natürlich sehr lange überlegt, sei aber zu dem Schluss gekommen, dass es nichts gebracht hätte. Der Fall Snowden liege zum Beispiel komplett anders – hier seien ganz klar Regeln verletzt worden, und dies sei nachweisbar. Sie hingegen könne beispielsweise keine toten Babys präsentieren, und solange niemand stirbt, sagt sie, hört niemand zu. Wenn die Besitzer von verstorbenen Haustieren mit Geld ruhiggestellt werden, fallen auch diese Zeugen weg. Sie habe verschiedene Behörden angeschrieben und versucht, sie auf die Schwächen bei der Lebensmittelsicherheit bei Nestlé hinzuweisen. Sie habe keine Antwort erhalten. In der Schweiz gäbe es auch kein Gesetz, das „Whistleblower“ schützt. Letztlich habe sie sich entschlossen, Nestlé wegen Mobbing zu verklagen.

      Ich wollte wissen, ob sie bespitzelt werde. „Ich gehe davon aus“, antwortet Motarjemi. „Als ich bei Nestlé arbeitete, wurde ich bereits von unserer Abteilungssekretärin ausspioniert. Und wenn man bedenkt, dass Nestlé nachweislich Mitarbeiter von Attac hat ausspionieren lassen, dann wäre es ein Wunder, wenn man das bei mir nicht täte.“

      Yasmine Motarjemi wurde in den Medien hin und wieder als gebrochene, schwache Frau beschrieben. Ich hingegen habe eine sehr willensstarke, hochintelligente, äußerst kluge und fest entschlossene Frau kennengelernt. „Wenn ich nicht all diese Jahre und all das Geld in diesen Prozess investiert hätte, wüssten die Menschen heute überhaupt nichts darüber“, sagt sie. Diese Frau verdient den allerhöchsten Respekt. Doch vor allem verdient sie, endlich gehört und wahrgenommen zu werden, damit Praktiken wie die bei Nestlé ein und für allemal der Vergangenheit angehören.

      Yasmine Motarjemi hat Nestlé wegen Mobbing verklagt, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Sie will, dass endlich an die Öffentlichkeit kommt, wie unverantwortlich dieser Weltkonzern mit der Gesundheit seiner Kunden umgeht. „Indem das Management mich gemobbt hat, ließ man zu, dass die Lebensmittelsicherheit kompromittiert wurde – warum sonst sollte man seinen eigenen Food Safety Manager entmachten? Die Anhörungen vor Gericht haben auch gezeigt, dass die Nestlé Manager lügen. Das ist respektlos und zeigt, dass diese Leute nicht glaubwürdig sind.“

      Der Prozess findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, Zugang haben nur akkreditierte Journalisten – das hatten die Anwälte von Nestlé durchsetzen können. Das Verfahren wird wohl noch mindestens bis in den Frühsommer 2016 dauern.

      Inzwischen hat Nestlé auch Yasmine Motarjemi verklagt. Und zwar wegen Verletzung der Geheimhaltungspflicht. Motarjemi sagt, sie habe sich keinerlei Informationen unrechtmäßig beschafft, sie habe keinerlei technologische oder Produktinformationen preisgegeben. Alle von ihr enthüllten Informationen hätten einen direkten Bezug zu ihrer unterschiedlichen Auffassung über Lebensmittelsicherheit im Unternehmen und seien auch dem Gericht übergeben worden. „Weshalb sollten Verbraucher über Themen, die mit Produktsicherheit und Gesundheit zu tun haben, nicht informiert werden?“

      Ob sie etwas darüber wisse, wie Nestlé die Ausbeutung des Wassers weiter forcieren will, fragte ich. Ja, antwortete sie. Im Jahr 2007 oder 2008, sie könne sich nicht mehr genau daran erinnern, habe sie gehört, dass der CEO von Nestlé Waters, John Harris, in einem Meeting seine Strategie vorgestellt hatte, wie man den Abverkauf von Flaschenwasser erhöhen könne. Er habe vor, in der Öffentlichkeit verbreiten zu lassen, dass das Leitungswasser kontaminiert sei. Dann würden die Menschen aus Angst vor einer Vergiftung zu Flaschenwasser greifen.

      Arglistige Täuschung oder listige Werbung?

      Von verführerischen Fantasienamen über köstlich-appetitliche Abbildungen und clevere Werbeaussagen bis hin zu unverständlichen, fehlenden oder falschen Angaben auf dem Etikett – was uns Verbrauchern manchmal an Irreführung aufgetischt wird, ist mitunter so dreist, dass man sich vor Verwunderung die Augen reibt. Die Hersteller versuchen oft, dies mit der Begründung abzutun, der Verbraucher wisse doch ganz genau, was damit gemeint sei. Zuletzt zeigte Teekanne ganz offen, was sie von uns, den Verbrauchern, hält: nicht viel.

      Im Dezember 2015 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) per Gerichtsbeschluss bekräftigt, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte: Was auf der Verpackung abgebildet ist, muss auch drin sein. Die Firma Teekanne hatte dazu eine völlig andere Meinung, denn auf ihrem Kinder-Früchtetee „Himbeer-Vanille-Abenteuer“ war ein Häschen abgebildet, das zwischen Vanilleblüten und Himbeeren herumhüpft. Das Problem war nur, dass im Tee weder Vanilleschoten noch Himbeeren enthalten waren, noch nicht einmal deren Aromen, sondern künstliche Konstrukte, die den Geschmack lediglich nachahmen. Das Unternehmen, das den Tee mittlerweile aus dem Sortiment genommen hatte, versteht die ganze Aufregung nicht:

      „Der Durchschnittsverbraucher wird mit der Abbildung von stilisierten Himbeeren und Vanilleblüten auf dem Produkt […] nicht ein Produkt mit Himbeeren und Vanille erwarten.“

      Nein, natürlich nicht. Der Durchschnittsverbraucher ist auch mit Gänseblümchen zufrieden, wenn auf dem Tee Kamillenblüten abgebildet sind. Und wenn auf der Verpackung Haferflocken zu sehen sind, erwartet der Durchschnittsverbraucher auch keine Haferflocken, sondern schüttet sich mit demselben Appetit auch Holzspäne ins Müsli.

      Repräsentative Studien zeigen natürlich etwas ganz anderes: Abbildungen auf Verpackungen – vor allem auf Lebensmittelverpackungen – bestimmen sehr wohl, was Kunden kaufen oder nicht. Und genau mit diesem Wissen spielen die Hersteller. Teekanne argumentierte jedoch noch weiter und betonte, die Angaben auf der Packung würden den Leitsätzen der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission für Tee entsprechen. Ich argumentiere damit, dass diese Leitsätze demnach dringend überarbeitet werden müssen …

      Im Jahr 2004 musste Coca-Cola mit einem höchst peinlichen Geständnis an die Öffentlichkeit gehen. Das Mineralwasser Dasani, das pro halbem Liter für 95 Pence (damals etwa 1,43 Euro) verkauft wurde, war einfaches Leitungswasser aus einem Londoner Vorort. Doch es kam noch besser: Der Konzern versuchte, den Flaschenpreis mit einer „Veredelung“ zu begründen – das Wasser habe nämlich einen „ausgeklügelten Reinigungsprozess“ durchlaufen. Die örtlichen Wasserwerke quittierten dies mit feinem englischen Humor: „Wir denken nicht, dass es irgendwelche Unreinheiten im Leitungswasser gibt. Dass unser Wasser sauber ist, ist auch die Meinung der amtlichen Prüfer, die etwa drei Millionen Stichproben pro Jahr machen.“

      Es ist nicht nur besonders dreist, sondern auch völlig unverantwortlich: Irreführung auf Kosten von Kindern. Sie sind eindeutig das schwächste Glied in der Kette. Vielen Herstellern ist das egal.

      Die


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