Die Mineralwasser- & Getränke-Mafia. Marion Schimmelpfennig
wie die eben erwähnte und die nun folgende an die Öffentlichkeit.
„Keine Einflussnahme!“
Bereits im August 2015 hat die Times berichtet, dass Coca-Cola in den USA dem Global Energy Balance Network (GEBN) 1,5 Millionen Dollar gespendet hatte. Nicht gerade wenig – dafür kann man schon etwas erwarten, oder? Kurze Zeit später wurde bekannt, dass Coca-Cola damit offenbar die Forschung über Fettleibigkeit beeinflussen wollte, denn das Global Energy Balance Network betreibt in diesem Bereich Forschung. Professor James O. Hill, Präsident von GEBN und Mediziner an der Universität Colorado, beteuerte, dass es keine Einflussnahme des Konzerns gegeben habe. Doch E-Mails, die die Nachrichtenagentur Associated Press in die Hände bekam und in Auszügen veröffentlichte, legen das Gegenteil nahe. Eine führende Mitarbeiterin des Konzerns ist mittlerweile zurückgetreten.
Coca-Cola-Präsident Kent Muhtar räumte ein, dass sein Unternehmen auch an andere Organisationen und Wissenschaftler gespendet hat. Seit 2010 seien insgesamt 120 Millionen Dollar geflossen. Gleichzeitig betonte Muhtar, der Konzern werde seine Aktivitäten in Zukunft transparenter gestalten. Ich fürchte, die Wahrscheinlichkeit, dass ABBA noch einmal ein Konzert gibt, ist größer.
Nun könnten Sie einwenden, dass Professor Hill so lange als unschuldig gelten muss, bis sein Fehlverhalten eindeutig nachgewiesen werden kann. Da stimme ich Ihnen zu. Es ist ja auch möglich, dass Professor Hill noch nicht viel Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Konzernen hatte und einfach einen Fehler gemacht hat. Sehen wir also einmal nach, ob Hill einfach unerfahren ist:
Professor Hill hielt 2013 auf dem International Congress of Nutrition (ICN) in Granada einen Vortrag zum Thema Übergewicht. Der Kongress wurde von der Nahrungsmittelindustrie mitfinanziert, die auch mit Ständen und Symposien präsent war, darunter Nestlé, Süßstoff-Hersteller Ajinomoto, Friesland Campina, Danone – und Coca-Cola. Hm. Hill ist aber nicht nur Referent, sondern auch Mitglied im International Scientific Committee des ICN. Hills Vortrag „Energy Balance and Active Living“ wurde von der ILSI gesponsert. Das ILSI (International Life Sciences Institute) ist eine einflussreiche Lobbyorganisation im Lebensmittelbereich. Finanziert wird sie weitgehend durch Unternehmen der Lebensmittel-, Chemie- und Gentechnikindustrie, zum Beispiel Coca-Cola, Nestlé und Monsanto. Hm. Hill bietet Ernährungsexperten kostenlose Online-Webinare zum Thema Übergewicht an, und zwar auf der Plattform des Beverage Institute. Dieses Institut gehört – Coca-Cola. Na sowas! 2011 veröffentlichte das ILSI einen Vortrag zum Thema Übergewicht. Der „Experte“: Hill. Die Sponsoren für diesen Vortrag: Die International Beverage Association (Coca-Cola ist selbstverständlich Mitglied) und Lebensmittelriese McCormicks. Zu den „Beratern“ dieses Vortrags gehörte auch Coca-Cola. Und so weiter und so fort …
Zu den Sponsoren des ICN gehört übrigens auch das von der Lebensmittelindustrie finanzierte EUFIC. EUFIC wirbt auf seiner Website mit einem Interview mit Hill, das man im Rahmen des Kongresses geführt habe. Wer mag (und des Englischen mächtig ist), kann sich das völlig einseitige und nichtssagende Interview im Internet anhören. Sechs Minuten, die sich lohnen: http://www.eufic.org/upl/1/default/doc/3-ICN2013_James%20O%20Hill.mp3
Die Times hatte übrigens auch entdeckt, dass die Website von Hills Organisation GEBN von Coca-Cola registriert und betrieben wurde. Hill erklärte diesen Vorgang damit, dass seine Mitarbeiter nicht gewusst hätten, wie man eine Internetadresse registriert. Sicher …
EUFIC: „Inhaltlich korrekt und wahr“
Das Wissenschaftliche Beratungsgremium der EUFIC hat „primär die Aufgabe, sicherzustellen, dass die Informations- und Kommunikationsprogramme des EUFIC auf wissenschaftlich überprüften Erkenntnissen beruhen, die von der wissenschaftlichen Gemeinschaft generell unterstützt werden, so dass die Information repräsentativ, inhaltlich korrekt und wahr ist.“ Diese Logik ist einzigartig: Wenn Erkenntnisse von der wissenschaftlichen Gemeinschaft generell unterstützt werden, so sind diese Informationen automatisch wahr. „Generell“ bedeutet aber natürlich auch, dass diese Ansichten nicht von allen Wissenschaftlern geteilt werden müssen – es gibt also konträre Meinungen. Und die sind dann automatisch unwahr?
Das EUFIC ist natürlich keine unabhängige Institution, sondern eine klassische Lobbyorganisation, die schöngefärbte Informationen verbreitet. Nehmen wir die Wissenschaftler und Experten unter die Lupe, die im Namen von EUFIC die Wahrheit und nichts als die Wahrheit verbreiten.
Da hätten wir zum Beispiel den Deutschen Klaus Grunert, Professor für Marketing an der Aarhus Universität. Grunert ist darüber hinaus Mitglied im Verwaltungsrat der Lobbyorganisation ILSI – und im wissenschaftlichen Beirat des Bundesforschungsinstituts für Ernährung und Lebensmittel (Max-Rubner-Institut). Autsch! Grunert vertritt zum Beispiel die Ansicht, dass auf Lebensmittelverpackungen viel zu viele Informationen stehen. (Und wo wir gerade beim Max-Rubner-Institut sind: Dessen Präsident ist Prof. Dr. Gerhard Rechkemmer. Rechkemmer sitzt auch im Leitungsgremium von ILSI. Zur Verteidigung sagt Rechkemmer, ILSI sei keine Lobbygruppe, sondern eine „wissenschaftliche Plattform“. Diese Aussage finde ich wenig wissenschaftlich und schon gar nicht seriös, sondern unredlich und irreführend.)
Professor Mike Gibney vom University College Dublin findet die Angst vor genetisch veränderten Lebensmitteln unbegründet. Er ist Vorsitzender der staatlichen Lebensmittelsicherheitsbehörde von Irland.
Arnout Fischer ist außerordentlicher Professor an der Wageningen Universität in Holland. Er untersucht, unter welchen Umständen Verbraucher Nano-Technologie in Lebensmitteln akzeptieren würden. Danke, Herr Fischer, für diese völlig unerwünschte Forschung! Fischer arbeitet unter anderem für connect4action, eine Organisation, die die „Kommunikation“ zwischen Wissenschaftlern, Lebensmitteltechnikern und Verbrauchern fördern will. Zu den „Partnern“ von connect4action gehört nicht nur das EUFIC, sondern auch die eine oder andere von der Lebensmittel- und Chemiebranche geförderte Institution. Darüber hinaus ist Fischer für ILSI tätig, sitzt dort in einer Expertenkommission. Fischer kennt sich bestens damit aus, wenn es um den Einfluss von Wissenschaftlern auf politische Entscheidungen angeht – er verfasst Artikel und hält Vorträge darüber, in denen er erklärt, wie man es schafft, dass zum Beispiel Politiker und die Öffentlichkeit mehr Vertrauen in das haben, was Experten (und die Unternehmen, die sie sponsern) sagen.
Dann hätten wir noch Albert Flynn, Professor für Ernährung an der School of Food and Nutritional Sciences am University College in Cork. Flynn sitzt darüber hinaus im wissenschaftlichen Beirat von Kraft – ist aber gleichzeitig Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit! 2011 kam Flynn deshalb schon einmal in Bedrängnis, als ihm vorgeworfen wurde, er habe in seiner Funktion als EFSA-Vorsitzender den Lebensmittelriesen Kraft begünstigen wollen.
Gerd Harzer ist ebenfalls mit dabei. Er ist Honorarprofessor an der Technischen Universität München und war lange Jahre in führender Position bei Kraft und Milupa beschäftigt. Heute berät er aber auch das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Für Harzer ist die EU-Verordnung zu nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben auf Lebensmitteln („Health Claims“) viel zu restriktiv gehalten – die Lebensmittelindustrie wäre gerne flexibler, wenn sie dem Verbraucher mitteilen will, was gesund ist und was nicht. Das glaube ich sofort.
Josef Schlatter, Toxikologe und ehemaliger Leiter der Sektion Lebensmitteltoxikologie des Schweizerischen Bundesamtes für Gesundheit, ist zum Beispiel der Ansicht, dass alle bekannten krebserregenden Stoffe in Lebensmitteln tatsächlich nur einige wenige Prozent der Krebsfälle erklären können, die Epidemiologen diesen Stoffen zuschreiben. Außerdem wird die Gefährlichkeit von Desinfektionsnebenprodukten in chloriertem Trinkwasser seiner Ansicht nach überschätzt. Bis 2012 war Schlatter für die Lobbyorganisation ILSI tätig. Nachweislich wurde er bei seiner wissenschaftlichen Arbeit unter anderem von Coca-Cola, Danone und Nestlé unterstützt. Schlatter berät das Bundesinstitut für Risikobewertung und sitzt im wissenschaftlichen Ausschuss der EFSA.
Zufälle. Alles nur Zufälle!
Lebensmittelbranche will sich selbst beaufsichtigen
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat eine wirklich wichtige Aufgabe. Sie entscheidet darüber, was die Hersteller