Die Mineralwasser- & Getränke-Mafia. Marion Schimmelpfennig
damit diesen Prioritäten entsprochen werden kann, und bei welchen der schwierigen Herausforderungen es sich lohnt, dieses Wasser zu beschaffen.“
Was sagt der Holländer wirklich? Er sagt, dass sich Schwellen- und Entwicklungsländer auf harte Zeiten einstellen dürfen. Politisch dürfte es schwierig werden, soziale Unruhen liegen deshalb durchaus im Bereich des Möglichen. Die Bauern müssen irgendwie überredet werden, viel Geld für Wassertechnologie auszugeben. Sollte sich etwas wirtschaftlich oder sozial (!) nicht rechnen, sollte es gar nicht erst versucht werden.
Auch viele andere Ausführungen in diesem Dossier sind äußerst vielsagend. Und nicht minder erschreckend und kaltschnäuzig:
„Verschiedene Studien legen nahe, dass der Abbau von Energiesubventionen in Indien – welche es Bauern derzeit ermöglichen, Grundwasser zu sehr niedrigen Preisen abzupumpen – zu einer geringeren Getreideproduktion führen würde, was wiederum zu reduzierten Wassermengen für die Bewässerung führen würde.“ Alles klar?
„Die Rückzahlungskurve […] zeigt, wie lange es dauert, bis sich ein Investment rechnet, und erlaubt damit einen Vergleich mit den Erwartungen des Endnutzers: Ein Bauer mit niedrigem Einkommen will sein Geld vielleicht in 3 Jahren wiederhaben, wohingegen ein industrieller Wassernutzer flexibler ist. Wenn man die Finanzen transparenter gestaltet, kann dies politischen Entscheidungsträgern dabei helfen, zwischen Maßnahmen zu unterscheiden, auf die noch etwas mehr Druck ausgeübt werden muss, und solchen, die – zumindest auf dem Papier – für den Endnutzer vorteilhaft aussehen.“ Zumindest auf dem Papier? Diese Menschen sollen gnadenlos verheizt werden!
Übrigens: Zu den Unterstützern der WRG gehört unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) ist sogar Gründungsmitglied und unterstützt die WRG mit millionenschweren Beträgen – also mit Steuergeldern.
Lateinamerika spielt nicht mit
Doch es gibt Hoffnung, und zwar ausgerechnet aus „weniger entwickelten Ländern“. In Mittel- und Südamerika formiert sich Widerstand. Und diese Beispiele zeigen, wieviel Macht von zivilgesellschaftlichem Engagement ausgehen kann.
In Uruguay wurde ein Verbot für Wasserprivatisierungen beschlossen. In Ecuador ebenfalls. In Mexiko wurde das Menschenrecht auf Wasser im Gesetz verankert. Und in Cochabamba in Bolivien konnte die Wasserversorgung rekommunalisiert werden: Dort war es nach der Übernahme der Wasserversorgung – wie so häufig bei solchen „Deals“ – durch den Konzern Bechtel zu enormen Wasserpreiserhöhungen gekommen. Es gab Proteste, Aufstände, auch Tote. Doch letztlich nahm Bechtel seinen Hut, und die Wasserprivatisierung musste im Jahr 2000 rückgängig gemacht werden. Ähnliches ereignete sich auch in anderen Städten Boliviens, zum Beispiel in El Alto und La Paz.
In Paraguay fordern viele Bürger ebenfalls ein Gesetz, das die Wasserprivatisierung verbietet. Paraguay hat allen Grund dazu, denn die Region sitzt auf einem riesigen unterirdischen Süßwasservorkommen, dem sogenannten Guarani-Aquifer. Mit einer Ausdehnung von fast 1,1 Millionen Quadratkilometern (mehr als die doppelte Fläche Frankreichs) und einem Gesamtvolumen von rund 30.000 Kubikkilometern gehört der Guarani-Aquifer zu den größten unterirdischen Süßwasserreservoirs der Welt. Es verläuft unter den Staatsgebieten von Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay, was einen hohen Koordinierungsbedarf zwischen diesen Ländern erfordert, um möglichen Konflikten vorzubeugen. Diese Koordinierung ist bereits seit Jahren im Gange. Allerdings: Laut der Defensoria da Água (brasilianische Organisation zum Schutz des Wassers) haben sich die Konzerne Nestlé und Coca-Cola bereits Informationen zu günstigen Wasserentnahmestellen beschafft und Land in diesen Gebieten gekauft.
Zum ersten Mal in der Geschichte nimmt Lateinamerika sein Schicksal offenbar selbst in die Hand. Ich denke, das wird spannend. Und für gewisse(nlose) Konzerne hoffentlich eine Lehrstunde wie aus dem Bilderbuch.
„Wasser ist ein Menschenrecht. Es ist für das Überleben auf der Erde notwendig. Wenn man Lebensnotwendiges zur Handelsware macht und der Zugriff darauf schwieriger wird, kann es zu politischer Instabilität kommen.“
Dennis Kucinich, Mitglied des US-Repräsentantenhauses
Mit diesem ersten Kapitel haben Sie nun eine ungefähre Vorstellung davon, weshalb ich den Buchtitel so und nicht anders gewählt habe.
1 Non-Governmental Organisation (Nichtregierungsorganisation: zivilgesellschaftlich zustandegekommener Interessenverband)
Die Diktatur der Mächtigen
Seit Jahrzehnten hat die riesige Lobby der Lebensmittel- und Getränkehersteller die Politiker fest im Griff. Einer ihrer Hebel ist die Meinungsbildung in der Medizinforschung. Damit schaffen es die Hersteller, dass Nebenwirkungen mit freundlicher Unterstützung von Wissenschaft und Staat verharmlost werden. Wie das geht? Ganz einfach.
Die Industrie treibt die Forscher vor sich her
… bezahlt sie dafür fürstlich, und die Politiker hecheln verwirrt hinterher. Wir alle haben uns daran gewöhnt, von Studienergebnissen zu hören, die kurze Zeit später von einer anderen Studie widerlegt werden. Nehmen wir das Beispiel Zucker. Man wundert sich nur noch kurz darüber, wenn man liest, dass das American Journal of Public Health im Jahr 2007 warnte, Limonaden machen dick und fördern Diabetes, weil es nur ein Jahr später im American Journal of Clinical Nutrition heißt, dass es praktisch keinen Zusammenhang dafür gebe. Solche widersprüchlichen Aussagen von Medizinern haben dazu geführt, dass wir Hinweise auf eine gesündere Ernährung von vornherein mit großer Skepsis aufnehmen – „Wer weiß schon, was wirklich stimmt?“ Im Zweifel ignorieren wir sie und machen weiter wie bisher. Das gilt nicht nur für uns Verbraucher, sondern auch für Politiker, Ernährungsberater, Mediziner – und Journalisten. Weil die Unsicherheit dank widersprüchlicher Forschungsergebnisse so groß ist, haben Politiker eine hervorragende Ausrede, um unliebsame Gesetze erst gar nicht zu erlassen. Dieser lähmende Zustand kommt den Herstellern nicht nur gerade recht – sie haben ihn herbeigeführt.
Professor Torben Jorgensen ist Leiter des Forschungszentrums für Prävention an der Universität in Kopenhagen. Er erläuterte im Juni 2015 auf einer Fortbildungsveranstaltung der Deutschen Akademie für Präventivmedizin, wie diese Strategie funktioniert. Bereits 2007 gab es erdrückende Beweise dafür, dass zuckerhaltige Getränke bereits bei jungen Menschen zu Übergewicht führen. Doch der Forscher Richard A. Forshee sah die Sache komplett anders. Für seine Forschungsarbeiten an der Universität von Maryland erhielt er finanzielle Hilfe, und zwar von Coca-Cola und PepsiCo, so Jorgensen (das lässt sich übrigens ganz einfach nachprüfen – es stimmt). Die Ergebnisse seiner Studien zogen die bisherigen Erkenntnisse stark in Zweifel. In der Zwischenzeit wechselte seine Mitarbeiterin und Mitautorin in die Ernährungsindustrie. Kollegen aus der Forschung nahmen die Arbeit von Forshee unter die Lupe – ein völlig üblicher Vorgang – und entdeckten methodische Mängel. Jorgensen sagt, dass Forshee für seine Untersuchung genau die Arbeiten ausgesucht hatte, die man so deuten könne, dass zuckerhaltige Limonaden unbedenklich seien. Doch da war das Kind schon in den Brunnen gefallen, denn die Arbeit war publiziert. Nun konnte man sie zitieren, vorlegen, Politikern unter die Nase halten. Und dies ist nur ein Beispiel von sehr, sehr vielen. Je mehr Studien sich widersprechen, umso größer wird die Verunsicherung bei Politikern. Nachvollziehbar, nicht?
Dr. Johannes Scholl, der die Veranstaltung der Akademie für Präventivmedizin leitete, ist erbost darüber, dass man nicht einmal in führenden Fachzeitschriften vor Manipulationen gefeit ist: „Als David Ludwig von der Harvard-Universität 2013 seine überzeugenden Bildbefunde zum Suchtpotenzial bestimmter Zucker und Kohlenhydrate in dem weltweit führenden American Journal of Clinical Nutrition veröffentlichte, hat Ian Macdonald von der Universität von Nottingham diese in demselben Journal ziemlich kleingeredet.“ Das British Medical Journal enthüllte jedoch, dass Unternehmen wie Mars und Coca-Cola den Forscher Macdonald bei seiner Stoffwechselforschung finanziell unterstützten. Das britische Ärzteblatt