Seewölfe Paket 11. Roy Palmer
sich die Taschen stopfen.
Aber schon standen die Zeichen auf Sturm, denn was der eine hat, möchte auch der andere gern haben, was man allgemein mit dem Begriff des Neides oder Futterneides gleichsetzt. Den Briten war das noch nicht so aufgegangen, wohl aber den Niederländern, und die hatten recht derbe Ellenbogen, was ihren Eifer betraf, Handelsintrigen zu spinnen und den Portugiesen den bisher so sprudelnden Gewürzhahn abzudrehen. Was die Orang blanda, wie die Insulaner die Europäer nannten, für Schlitzohren waren, sprach sich sehr schnell herum.
Das waren die asiatischen Händler zwar auch, aber sie hatten nicht die lärmende Rücksichtslosigkeit der Orang blanda und erklärten auch nicht, die Heiden bekehren zu müssen.
Vorsichtig steuerte Pete Ballie die „Isabella“ mit dem Notruder über die Reede. Es ging auf den Abend zu. Im Windschatten von Kap Pontang verlor die „Isabella“ an Fahrt und glitt auslaufend und mit aufgegeiten Segeln auf eine freie Stelle der Pier zu.
Dort wurde sie vertäut.
An einem Bohlensteg quer hinter ihr lag eine niederländische Galeone. Auf der Reede hatte Hasard noch vier weitere niederländische Handelsfahrer registriert – bemerkenswert gut bestückt. Wie zum gerechten Ausgleich lagen fünf portugiesische Galeonen an den Bollwerken der weiteren Pier – je zwei im Päckchen nebeneinander und eine allein hinter den beiden Päckchen.
Über die Pier wehte ein Geruch von Moder, faulender Kopra und vergammeltem Fisch, vermischt mit den Düften irgendwelcher tropischer Gewürze. Neben dem Niederländer hinter der „Isabella“ stapelten sich auf der Pier Fässer und Ballen.
Das alles hatte Hasard mit einem Blick überflogen und auch festgestellt, daß sich hafeneinwärts in Höhe der fünf portugiesischen Galeonen eine Faktorei befand – vermutlich die der Portugiesen. Dahinter, westwärts, war eine Helling.
Aufatmend bemerkte Hasard, daß dort kein Schiff aufgeslipt war. Wenn sie zu den Portugiesen gehörte, würde er wohl oder übel in der Faktorei anklopfen und sein Sprüchlein beten müssen. Oder hatten die Niederländer die Helling gebaut?
In seine Gedanken hinein räusperte sich Ben Brighton. Hasard wandte sich zu ihm um, während er gleichzeitig den Kutscher im Auge behielt, der bereits auf der Pier stand und gestikulierend mit zwei Chinesen feilschte, die ihm offensichtlich Fisch, Geflügel, Fleisch und Früchte zum Verkauf anboten. Sie hatten einen großen Karren dabei, auf dem ihr Angebot, in Kästen sortiert, ausgebreitet war.
„Ja, Ben?“ fragte er.
„Landgang, Sir?“ Ben Brightons graue Augen funkelten unternehmungslustig. „Ich hab den Männern bereits gesagt, daß wir Iren seien, aus Dublin. Und Carberry meinte, als echter Ire müsse er mal ausprobieren, ob der Reiswein besser als der irische Schnaps sei.“
„So, meinte er!“ Hasards Blick flog zur Kuhl, wo die Männer standen und erwartungsvoll zu ihm hochgrinsten. Nur Carberry nicht. Der tat, als betrachte er voller Entzücken die Rauchfahnen, die weit im Süden aus den Bergkegeln aufstiegen und träge westwärts zogen, der untergehenden Sonne entgegen.
Insel der Feuerberge, dachte Hasard. Vulkane, die sie von See her bereits gesehen hatten. Einige hatten nachts geleuchtet – wie Leuchtfeuer entlang der Südküste der Insel, faszinierend, auch etwas unheimlich. Tagsüber milderte sich dieser Eindruck. Da wirkten diese vulkanischen Bergkegel wie riesige Herde, auf denen Mahlzeiten für Giganten gekocht wurden.
„Hm“, äußerte sich Hasard. „Landgang, hm.“ Er trat an die Querbalustrade zur Kuhl und sagte sanft: „Ed?“
„Sir?“ Carberry drehte sich zu ihm um. Die rechte Seite seines wilden, zernarbten Gesichts wurde von der untergehenden Sonne rotgolden beleuchtet.
„Mit dem Reiswein, das geht klar“, sagte Hasard, weiterhin sanft. „Nur melde ich Bedenken an, was die Rauflust an Land gehender irischer Seeleute betrifft. Was meinst du dazu?“
Carberrys Blick wurde treuherzig.
„Wir sind nur fromme Pilger, Sir“, sagte er, „durstig von langer Fahrt, aber abhold jeder Gewalttat. In aller Demut werden wir uns beugen, wenn uns jemand auf die Zehen tritt, und um Vergebung bitten, daß unser nichtsnutziger Fuß jemandem im Wege stand. Ich werde auch meine Wange hinhalten und sagen: Bruder im Herrn, hau mir was aufs Maul, weil ich voller Sünde bin …“
Hasard wurde mißtrauisch und unterbrach den Profos. „Hast du schon was getrunken, Ed?“
„Nur die Muck Rum von der Abendration, Sir“, sagte Carberry und wedelte mit seiner rechten Pranke. „Und weil da zwei Kakerlaken drin ’rumschwammen, gestorben im Suff, händigte mir der Kutscher noch eine Muck aus, ohne Kakerlaken, weil mir nämlich so schlecht war von den Kakerlaken.“
„Hattest du sie denn verschluckt?“
„Das nicht, Sir, aber man weiß ja nie, ob Kakerlaken, wenn sie Rum getrunken haben, was von sich ausscheiden, vielleicht Durchfall oder so. Der Kutscher, der sonst alles weiß, konnte mir das auch nicht sagen. Und so bestand durchaus die Möglichkeit, daß der Rum verunreinigt war, Sir.“
„Sicher“, sagte Hasard tiefernst, trotz der grinsenden Männer, die dem Dialog lauschten. „Es ist ja auch so viel, was diese großen Tierchen ausscheiden. Hoffentlich hält dein Magen das aus, Mister Carberry. Oder soll ich mal mit dem Kutscher sprechen, ob es besser sei, dir Bettruhe zu verordnen? Kakerlakendurchfall im Magen eines Menschen soll nervöse Zuckungen, Sichttrübungen und Sprachschwierigkeiten auslösen. Hat dir der Kutscher das nicht gesagt?“
Carberry hatte etwas den Kopf eingezogen. Langsam drehte er ihn nach rechts zur Pier, wo der Kutscher immer noch mit den beiden Chinesen verhandelte.
„Das hat er mir nicht gesagt, der verlauste Mehlwurm“, knurrte er. Dann zuckte er zusammen, aber nicht, weil ihm Hasard nervöse Zukkungen angekündigt hatte, sondern weil ein behaarter Arm hinter dem Karren der beiden Chinesen auftauchte, in einen der Kästen langte und eine Kokosnuß entwendete.
Die beiden Chinesen konnten das nicht sehen, weil sie dem behaarten Arm den Rücken zuwandten. Aber der Kutscher bemerkte den behaarten Arm und kriegte seinerseits ebenfalls nervöse Zuckungen, die sich verstärkten, weil noch weitere drei Kokosnüsse verschwanden.
„Oh, verdammt“, murmelte Carberry, und die Kakerlaken waren vergessen.
Denn wem der behaarte Arm gehörte, war jedem der Seewölfe klar.
Arwenack, der Bordschimpanse, war auf der Pirsch, und wenn er erwischt wurde, konnten die Seewölfe nur so tun, als gehöre Arwenack nicht zur „Isabella“.
Zu allem Unglück segelte nun auch noch Sir John, der Arakanga-Papagei, im eleganten Gleitflug vom Großmasttopp zur Pier und landete auf dem Wagen, plusterte sich auf und bedachte die beiden Chinesen mit den ordinärsten Flüchen aus Carberrys Sprachschatz.
Und da zuckten jetzt die Chinesen zusammen. Sie verstanden zwar Sir Johns Sprache nicht, der ihnen empfahl, den Anker aufzuhieven, die Segel zu brassen und die Affenärsche zu kalfatern, was noch ziemlich harmlos war, aber sie begriffen, daß der schimpfende Papagei ihr Geschäft mit dem weißen Mann störte. Sir John war nahe daran, daß ihm von dem einen Chinesen der Hals umgedreht wurde. Schließlich konnte der nicht wissen, daß der Arakanga zur „Isabella“ gehörte.
Im letzten Moment entwischte Sir John den zupackenden Händen. Arwenack, bestückt mit vier Kokosnüssen, hatte das Durcheinander benutzt, um ebenfalls das Weite zu suchen – unbemerkt von den beiden Chinesen.
Aber ihnen fiel auf, daß plötzlich vier Kokosnüsse fehlten. Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Eben noch war das Fach mit den Kokosnüssen voll gewesen, jetzt klaffte dort eine Lücke. Erregt begannen sie zu schnattern.
Hatte vielleicht der weiße Teufel die Kokosnüsse weggezaubert? Mißtrauische, dunkle Augen tasteten den Kutscher von oben bis unten ab. Aber bei dem beulte sich nichts, viel zu hager war seine Figur, seine Hände waren ebenfalls leer, genauso wie die beiden Segeltuchbeutel, die ihm als Marktkörbe dienen sollten.
Aber verlegen war er, weil er wußte, wer der Übeltäter