Seewölfe Paket 11. Roy Palmer
schon früh zur Arbeit ausgerückt waren.
Nein, sie waren an diesem Morgen nicht zur Festung hinaufgetrieben worden. Don Felix hatte alles auf einen möglichen Angriff der Seewölfe konzentriert, und eine Arbeitsschicht auf dem Kastellneubau, die die übliche Bewachung erfordert hätte, wäre ihm dabei nur eine Behinderung gewesen.
Da hockten sie also nun – fast vier Dutzend bärtiger, zerlumpter Kerle in Ketten, die beim Anblick der Eindringlinge ein wildes Geschrei anstimmten. Ihre Freude kannte keine Grenzen, einige zerrten wie besessen an ihren Ketten, andere weinten vor Erleichterung, wieder andere schickten Worte des Dankes zum Himmel.
Am lautesten brüllte natürlich Sumatra-Jonny.
„He, Profos!“ schrie er. „Hallo, Big Old Shane, ist denn das die Möglichkeit? Welcher verteufelte Zufall hat euch hierhergeführt? Ich werd verrückt, so was gibt’s doch gar nicht!“
Carberry trat vor ihn hin und löste den Hammer und das Stemmeisen, die er von der „Isabella“ mitgenommen hatte, von seinem Gurt. „Verrückt bist du schon immer gewesen, du Satansbraten. Und ich will dir auch noch was verraten. Wir haben Young aufgefischt und von ihm erfahren, wer hier alles festsitzt. Aber der Seewolf würde dich am liebsten weiterschmoren lassen, in deinem eigenen Saft, du Stinkstiefel, denn du hast dich nicht an die Vereinbarungen gehalten, kapiert?“
„Was? Ich? Mister Carberry, jetzt bist du aber auf dem falschen Schiff!“
„Ihr beiden!“ schrie Shane, der schon begonnen hatte, Morgan Youngs Kameraden Josh Bonart von den Ketten zu befreien. „Könnt ihr das nicht später bequatschen? Herrgott, wir haben hier keine Zeit zu verlieren!“
„Schon gut“, brummte der Profos und fing nun auch an, an Jonnys Ketten herumzubosseln. „Aber du kannst dich noch auf was gefaßt machen, Jonny von der traurigen Gestalt, ’ne richtige Standpauke kriegst du vom Seewolf zu hören.“
„Aber warum denn, warum?“
„Weil du die Mädchen nicht zurück nach Neuseeland gebracht hast, wie es besprochen war! Wenn du es getan hättest, wärst du jetzt nicht hier, sondern würdest noch irgendwo zwischen Neuseeland und dem Südland herumschippern, du Hering.“
„Aber die Mädchen sind wohlauf!“
„So?“
„Sie sind in meinem Schlupfwinkel.“
„Und was tun sie da, wenn ich fragen darf?“ rief Carberry, während er die Beinschäkel wegräumte und jetzt daranging, die Handschellen aufzubrechen. „Du Lustmolch, du verdammter, ich kann mir schon vorstellen, wie die Lage aussieht.“
„Nein, nein, nicht so, wie du denkst!“
„Du denkst wohl, du und deine Kerle, ihr könnt die Maori-Mädchen nach Belieben über die Planken und durch den Dschungel schieben, was, wie?“
„Mister Carberry, Profos, Sir, bei meiner Ehre – keiner von uns hat sie angerührt!“ beteuerte Sumatra-Jonny verzweifelt. „So glaub mir doch!“
„Dir glaub ich kein Wort mehr“, sagte Carberry barsch. Die Handschellen und die Kette, die Jonny an dem Pflock festgehalten hatte, fielen zu Boden. „Aber Schluß jetzt mit der Debatte. Hilf mir, auch die anderen zu befreien.“
„Liebend gern – aber was wird aus meiner glorreichen Zehn?“
„Deiner was?“
„Einige meiner Leute stecken mit anderen Gefangenen zusammen im Kerker der Festung“, sagte Jonny. „Es ist meine verdammte Pflicht, sie da herauszuholen.“
„Die Festung?“ rief Carberry. „Da müssen wir sowieso noch ’rauf. So, wie die Dinge liegen, haben wir hier doch einen verdammt schweren Stand, und wir wissen noch nicht, wie der Kampf für uns endet. Wenn wir also die ersten vier, fünf Leute befreit haben, Jonny, du Oberhalunke, laufen wir zum Kastell hinauf und feuern eine der Kanonen ab.“
„Damit richten wir wenig aus“, sagte Jonny, der sich jetzt schon Trench und Sullivan zuwandte, um ihre Ketten zu lösen. „Die Kanonen der Burg sind alle auf das Hafenbekken ausgerichtet.“
„Blödsinn!“ fuhr der Profos ihn an. „Wir müssen Ben Brighton ein Zeichen geben, damit er mit der ‚Isabella‘ einläuft und uns unterstützt. So haben wir es mit ihm vereinbart, wenn dich einer fragt. Nur im äußersten Notfall soll er eingreifen, aber ich schätze, wir haben seine Hilfe gleich bitter nötig.“
Und so war es auch. Von der Palisade aus konnten Shane und er nicht weiterverfolgen, was draußen, auf dem Platz zwischen den Lagerhütten, geschah. Aber daß es immer noch eine große Übermacht von Soldaten war, die gegen die Männer der „Isabella“ kämpfte, wußten sie sehr genau.
10.
Ferris Tucker, Smoky, Luke Morgan und Blacky waren von spanischen Soldaten eingekeilt. Sie wollten wie Shane und Carberry den Durchbruch zur Palisade oder zum Kastell wagen, aber immer mehr Uniformierte drängten jetzt von den Hütten aus nach und bildeten eine menschliche Barriere, die nicht mehr zu überwinden war.
Ferris Tucker hieb zwar wild mit seiner Zimmermannsaxt um sich und fällte hier und dort einen Gegner. Smoky schwang seinen Schiffshauer und ließ keinen Spanier auf weniger als einen Yard Distanz an sich heran. Luke Morgan kämpfte mit einem kurzen Entermesser, Blacky mit einem Säbel, und um die vier herum hatte sich ein Kreis gebildet.
Man hätte diesen Kreis auch als Kessel bezeichnen können.
Die nachrückenden Spanier brachten frisch geladene Musketen mit, und dies wurde den Seewölfen jetzt zum Verhängnis. Die Waffen wurden bis zu den Soldaten an der Innenseite des großen Ringes durchgereicht, und so kam, was sich nicht mehr abwenden ließ.
Plötzlich flog eine der Musketen hoch. Blacky sah noch, wie die Mündung sich auf ihn richtete und wollte sich ducken, um der Kugel durch eine schnelle Körperwendung zu entgehen. Aber da krachte der Schuß auch schon.
Blacky sah es grellrot und gelb vor seinem Gesicht aufblitzen, und dann sprang es ihn heiß an, so heiß, daß er glaubte, bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Er hörte seinen eigenen Schrei, fühlte den weichen Uferboden plötzlich unter sich, spürte noch, wie er sich auf die Seite wälzte und mit seinen Fingern den Säbel losließ und irgendwohin griff, an seine Brust, an seinen Bauch oder an seine Hüfte.
Dann löschte tiefe Finsternis jede Wahrnehmung und jedes Bewußtsein aus.
„Blacky!“ schrie Tucker. „Mein Gott! Verdammt, Männer, haut diese elenden Dons zusammen. Blacky hat’s schwer erwischt!“
Wieder krachte ein Schuß, und dieses Mal knickte Ferris mit grenzenlos verdutzter Miene in den Knien ein und sackte zu Boden. Die schwere Axt entglitt seinen Fäusten. Er hockte mit starrem Blick da, und aus seiner Brust quoll plötzlich Blut hervor.
„Rückzug!“ rief Smoky. „Rückzug zur Pinasse, Leute!“
„Zu spät“, sagte Luke Morgan, und er, der sonst so hitzig und ungestüm auftrat, ließ noch vor dem Decksältesten der „Isabella“ die Waffen zu Boden fallen.
Mehr als zwanzig Musketen und Tromblons richteten sich jetzt auf sie, und wenn sie nicht sterben wollten, dann blieb ihnen nur noch die Kapitulation.
Die Flagge streichen – allein das war schimpflich und erniedrigend für sie, aber das Allerschlimmste war, daß es Blacky und Ferris getroffen hatte.
Ferris kniete nach wie vor in grotesker Körperhaltung auf dem Boden. Er war bei vollem Bewußtsein. Blacky indes lag reglos da und schien nicht mehr zu atmen.
„Mein Gott“, sagte Smoky immer wieder. „O mein Gott, wie konnte das bloß passieren?“
Don Felix Maria Samaniego hatte sich als ausgezeichneter Degenkämpfer entpuppt. Er führte glänzende Paraden, unternahm Ausfälle, die den Seewolf ins Schwitzen brachten, und hielt sich so gut, daß Hasard keine Möglichkeit hatte, seine Deckung zu durchbrechen. Das Duell