Seewölfe Paket 9. Roy Palmer
zu sein, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Und die Crew des Franzosen Ribault war dem Wirt der „Bloody Mary“ ebenfalls noch in guter Erinnerung. So gut, daß er abermals einen Schauer über seinem fettgepolsterten Rücken spürte.
Karl von Hutten, dieser große blonde Bursche, sah noch genau so unheimlich aus wie früher. Ein Mann, der die Spanier haßte wie die Pest, und er mußte wohl Grund dazu haben, denn er war der Sohn einer indianischen Häuptlingstochter.
Pierre Puchan trug eine Perücke. Aber Nathaniel Plymson würde es niemals wagen, mit dem Franzosen über seine Erfahrungen bezüglich künstlicher Haartracht zu fachsimpeln. Weil Puchan sich über seine Glatze ärgerte, und weil er höchst grantig reagierte, wenn jemand ihn darauf ansprach.
Da war noch so ein Franzose, der einen das Fürchten lehren konnte: Grand Couteau, das „große Messer“. Ein kleiner, dunkelhaariger Bursche, der seinen Namen nach seinem vertrautesten Handwerkszeug erhalten hatte.
Jan Ranse, der Steuermann der „Le Vengeur“, war Holländer und ehemaliger Karibik-Pirat. Er trug noch immer diesen wüsten blonden Vollbart. Roger Lutz, ein weiterer Franzose, war mit seinen prachtvollen schwarzen Haaren der typische Frauenheld. Der englische Koch an Bord des Franzosenschiffes hieß Eric Winlow, sah reichlich beleibt aus, hatte eine Glatze und Fäuste wie Bratpfannen. Seine Fettleibigkeit trog. In Wahrheit verfügte er über beachtliche Muskeln, die sich lediglich unter wohlgerundeter Außenhaut verbargen.
Ebenfalls unter dem Kommando von Jean Ribault fuhren die Engländer Tom Coogan, Dave Trooper, Fred Finley, Donald Swift und Mel Ferrow. Gordon McLinn, dessen Haut stets leicht gerötet wirkte, war Schotte von Geburt und Überzeugung.
Nathaniel Plymson stellte fest, daß vier Männer der Ribault-Crew als Bordwache zurückgeblieben sein mußten: Bootsmann Nils Larsen, Rudergänger Piet Straaten, Decksmann Sven Nyborg und der Schiffsjunge Jonny. Nun, auch ohne die Bordwachen schlugen die vereinigten Crews der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ noch mit Leichtigkeit jede Kneipe in Plymouth zu Kleinholz. Mehr als das. Plymson erinnerte sich seufzend an Zeiten, in denen sogar eine kleine Handvoll von Killigrews Leuten seinen Laden in Trümmer gelegt hatte. Es brauchte nur jemand da zu sein, der die Himmelhunde herausforderte – versehentlich oder absichtlich.
Nathaniel Plymson schickte ein stummes Stoßgebet zum Himmel, letzterer möge ihn und die Seewölfe an diesem Abend von jedweder Herausforderung verschonen.
Ein Teil der Männer, mit gefüllten Krügen und Bechern versorgt, ließ sich an den freien Tischen nieder, um sich mit Würfeln die Zeit zu vertreiben oder sich ganz einfach in lautstarke Gespräche zu vertiefen. Hasards Männer genossen es, endlich einmal wieder mit den Freunden von der „Le Vengeur“ an einem Tisch zu sitzen. Schließlich hatten sie während der meisten Zeit auf See nur Sichtkontakt gehabt.
Ed Carberry, Ferris Tucker, Smoky, Batuti, Matt Davies und Gary Andrews blieben gemeinsam mit Karl von Hutten und Jan Ranse an der Theke.
„Trinken wir auf England“, sagte Karl von Hutten und hob seinen Bierkrug. „Und darauf, daß die königliche Lissy immer eine Spur gewitzter bleibt als der spanische Philipp!“
„Auf England!“ wiederholte Ed Carberry mit dröhnendem Organ.
„Das ist ein Wort!“ rief Matt Davies und stieß seinen Eisenhaken in die Luft, während er mit der linken Hand den Humpen an die Lippen führte.
Nathaniel Plymson erschauerte von neuem.
Der dunkle Gerstensaft rann den Männern wie Öl durch die Kehlen. Mit vernehmlichen wohligen Lauten setzten sie die geleerten Krüge ab. Plymson hatte noch nie begreifen können, wie sie es schafften, eine Viertel-Gallone auf einen Zug herunterzukippen.
„Nachfüllen“, befahl der Profos der „Isabella“, und Plymson beeilte sich, der Anordnung Folge zu leisten. Nun, das eine Fünfzehn-Gallonen-Faß würde an diesem Abend garantiert nicht ausreichen. Zumindest war also ein Rekord-Umsatz gewährleistet. Und Killigrews und Ribaults Leute waren nicht nur rauhe, sondern auch sehr zahlungskräftige Burschen.
Ferris Tucker sah sich betont ausgiebig in der Schenke um.
„Du machst dich, Plymson“, sagte er schließlich anerkennend. „Gute Arbeit. Du hast bestimmt den besten Zimmermann von ganz Plymouth für die neue Einrichtung beschäftigt.“
Der Schankwirt blickte verlegen auf seine Wurstfinger, die mit Bier und Schaum benetzt waren.
„Nun ja, Sir, äh … Sie haben immer gut bezahlt, wenn in meinem Geschäft etwas, äh, beschädigt wurde.“
„Beschädigt?“ fragte der riesenhafte Schiffszimmermann verblüfft. Die anderen grinsten. „Zu Klump gehauen haben wir deine Bude. Du willst doch wohl nicht behaupten, daß wir halbe Arbeit geleistet hätten?“
„Nein, Sir, natürlich nicht, Sir.“ Plymson begann zu schwitzen. Doch das lag nicht daran, daß er sich mächtig anstrengte, die Krüge schneller als gewöhnlich nachzufüllen. Er hoffte inständig, daß sie die Sprache nicht auf ein bestimmtes Thema brachten.
„Eigentlich ist er viel zu gut bedient worden“, meinte Gary Andrews. „Jedenfalls liegt mir die Sache mit Red Fox Killarney immer noch im Magen. Ich kann es noch immer nicht ganz glauben, daß unser Freund Plymson seine Fettfinger nicht in dem schmutzigen Spiel gehabt hat.“
Der Dicke duckte sich unwillkürlich. Da war es, was er befürchtet hatte. Wie, zum Teufel, sollte er beweisen, daß er die Seewölfe dem irischen Banditen nicht ans Messer geliefert hatte? Das Fatale war, daß er eben zu oft in undurchsichtigen Geschäften mitgemischt hatte. Und so eine undurchsichtige Sache war es nun einmal gewesen, die der irische Halunke in Plymouth durchzuziehen versucht hatte.
„Hätte Plymson eigentlich Entschädigung zahlen müssen an uns“, meldete sich Batuti zu Wort, wobei er seine schneeweißen Zähne zu einem breiten Grinsen entblößte.
„Tja“, sagte Edwin Carberry gedehnt, „die Meinung ist im Grunde gar nicht so verkehrt.“
„Darf man erfahren, um was es geht?“ erkundigte sich Karl von Hutten, wobei er den Schankwirt durchdringend musterte.
„Ist doch klar“, sagte Jan Ranse feixend, „wenn einer eine krumme Sache veranstaltet, ist Plymson mit im Spiel.“
Der Eigentümer der „Bloody Mary“ hielt es für angebracht, seine Ehre zu retten. Beschwörend hob er die schwitzenden Handflächen, nachdem er die vollen Krüge auf die Theke geschoben hatte.
„Ich versichere Ihnen, Gentlemen, ich hatte mit der Angelegenheit nichts …“
Weiteren Erklärungen wurde er entbunden, denn zum zweiten Male an diesem Abend flog die Eingangstür der „Bloody Mary“ krachend auf.
Die Männer an der Theke drehten sich um. An den Tischen wurden Würfelspiele und Gespräche unterbrochen.
Wer sich solchermaßen polternd in Szene setzte, hatte keinesfalls vor, fromm und andachtsvoll sein Bier zu konsumieren.
Der Anblick derer, die sich durch die offene Tür drängten, ließ den Männern der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ blitzartig klar werden, was die Stunde geschlagen hatte.
Robert Parsons war der erste, der sich mit funkelnden Augen einen Weg durch die dichten Tischreihen bahnte. Hinter ihm quollen die anderen herein. Es schien kein Ende zu nehmen. Die gesamte Crew der „Revenge“ hatte sich auf die Socken gemacht.
„Himmel, Arsch und Zwirn“, sagte Edwin Carberry, „das ist alles andere, nur kein Zufall.“ Für ihn gab es keinen Zweifel, daß Drakes Strolche sie auf dem Weg in die „Bloody Mary“ beobachtet hatten. Daß sie nur auf die Gelegenheit gewartet hatten, sich für das zu bedanken, was in der Nordsee passiert war.
Nathaniel Plymson blickte verzweifelt zu den verräucherten Dekkenbalken seiner Schenke hoch.
„Bitte nicht schon wieder!“ flehte er leise. In grausamer Deutlichkeit sah er die schöne neue Einrichtung in tausend zersplitterten Trümmerstücken vor seinem geistigen Auge.
Es