Seewölfe Paket 9. Roy Palmer
„Revenge“ hatte mehr als fünfzig Männer mitgebracht. Wie ein Rattenschwanz folgten sie Robert Parsons auf seinem herausfordernd langsamen Weg in Richtung Theke. Im freien Raum zwischen den Tischreihen wurde es eng. Noch immer strömten weitere Männer von draußen herein und brachten kühle Abendluft in die „Bloody Mary“.
Nathaniel Plymsons Stammkunden verdrückten sich eilends durch die Hintertür. Die fremden Schaulustigen zögerten noch und waren offenbar nicht in der Lage, die Situation richtig einzuschätzen.
Robert Parsons war ein muskulöser, stämmig gebauter Mann.
Edwin Carberry und die anderen blickten Drakes ‚Erstem‘ gelassen entgegen. Daß die Burschen nicht zu ihrem Vergnügen aufkreuzten, war allen klar. Vor allem war es die Geschichte mit dem zerschossenen Ruderblatt, die ihnen noch immer höllisch an die Nieren ging. Jetzt wollten sie das, was der Name ihres Schiffes so schön ausdrückte: Revenge – Rache.
Einen Schritt vor dem Profos der „Isabella“ blieb Parsons breitbeinig stehen. Hinten stand die Tür noch immer offen. Plymsons Schenke war nicht groß genug für die vielen rauhen Gestalten.
„Es zieht, Mister Parsons“, sagte Edwin Carberry. Seine Worte tropften wie flüssiges Blei in die Stille.
Parsons verzog die schmalen Lippen zu einem spöttischen Lächeln.
„Das liegt daran, Mister Carberry, daß hier ein paar Leute zuviel sind. Es ist nicht genug Platz für uns alle.“
„Richtig, richtig.“ Der Profos nickte, immer noch ruhig. „Ein paar von uns werden wohl gehen müssen.“
„Das meine ich auch“, sagte Parsons höhnisch. „Am besten trinkt ihr schnell aus und verschwindet. Meine Leute haben einen guten Tropfen verdient. Hinter uns liegen anstrengende Wochen und Monate. Die Jungens sind leicht reizbar. Wenn sie nicht schnell genug ihr Bier und ihren Whisky kriegen, könnte es sein …“
Was er noch sagen wollte, blieb ihm im Hals stecken.
Denn Carberrys Riesenfäuste zuckten urplötzlich vor und packten den Kragen seiner Jacke. Den urgewaltigen Kräften des Profos hatte Parsons fast nichts entgegenzusetzen. Er wehrte sich vergeblich, als Carberry ihn dicht zu sich heranzog.
„Ihr wollt also Stunk, was, wie? Den sollt ihr haben, du Hering!“ Mit einem jähen Ruck stieß der Profos ihn von sich.
Robert Parsons segelte rückwärts auf seine Männer zu. Sie fingen ihn auf und bewahrten ihn davor, der Länge nach auf den harten Steinfußboden zu stürzen. Angriffslustiges Gemurmel entstand in den Reihen der „Revenge“-Crew.
Stühle fielen polternd um. Die Seewölfe sprangen von ihren Tischen auf.
Edwin Carberry reckte seine massige Gestalt, spuckte in die Pranken und rief: „Männer, es geht los! Hier wackelt jetzt die Bude! Bringt den unverschämten Rübenschweinen die Flötentöne bei!“ Er schnappte seinen Bierkrug, und während er ihn mit einem langen Zug leerte, peilte er über den Rand des Kruges bereits die Lage.
In der Schenke entstand Gewühl.
Die Zaungäste hatten jetzt endlich begriffen, daß es ungemütlich wurde. Fluchtartig sprangen sie von ihren Tischen auf und eilten zu der Tür, durch die zuvor schon Plymsons gewitztere Stammkunden verschwunden waren.
Robert Parsons riß sich von seinen Gefolgsleuten los und setzte zum Sturmangriff an.
Carberry schleuderte seinen leeren Bierkrug haarscharf über den Kopf des ersten Offiziers weg. Das brachte Parsons aus dem Konzept. Verwirrt zuckte er zusammen. Hinter ihm traf der Krug gleich zwei Schädel seiner Gefährten.
Tonscherben ergossen sich in einem wahren Regen ins Gewühl.
Das war das Zeichen zum Angriff. Nichts hielt die Seewölfe jetzt mehr auf ihren Plätzen.
Robert Parsons stieß einen gellenden Wutschrei aus und ging auf den Profos der „Isabella“ los. Links und rechts von ihm stießen sich Ferris Tucker, Batuti, Karl von Hutten, Jan Ranse und die anderen von der Theke ab.
„Um Himmels willen, nein!“ schrie Nathaniel Plymson in höchster Not. „Ihr habt doch gesagt, daß nichts zu hart angefaßt wird, daß nichts kaputtgehen wird, daß …“
Er mußte hinter der Theke Dekkung suchen, denn ein Schemel schwirrte heran, streifte den ausgestopften Stör, der in heftige Pendelbewegungen geriet, und krachte gegen das neue Holzregal. Ein Dutzend Krüge und Becher ging zu Bruch. Abermals gab es einen Scherbenregen, diesmal über Plymsons feistem Rücken.
Der Tanz hatte begonnen.
Carberry trieb den ersten Offizier der „Revenge“ mit zwei, drei Fausthieben in die keuchenden, drängenden Reihen seiner Männer zurück. Der Profos hatte ihnen nicht die Zeit gelassen, sich zum Angriff zu formieren. Genau das geriet ihnen jetzt zum Nachteil.
Die Seewölfe hatten den Vorteil, daß sie weiträumiger in der Schenke verteilt waren. Mit Gebrüll gingen sie auf die „Revenge“-Männer los, die in den engen Tischreihen noch nach einer besseren Ausgangsposition suchten.
Dan O’Flynn, Jeff Bowie und Sam Roskill hatten blitzschnell die offene Eingangstür erreicht, versperrten denen, die schon drinnen waren, den Weg und trieben die anderen wieder hinaus, die den Eintritt noch nicht geschafft hatten. Ein halbes Dutzend Kerle von Drakes Flaggschiff waren es, die sich auf dem Straßenpflaster vor der Schenke plötzlich drei wirbelnden, wild entschlossenen Kämpfern gegenübersahen. Und jäh begriffen Parsons Gefährten, daß sie zu sehr auf ihre zahlenmäßige Überlegenheit vertraut hatten, daß sie ein leichtes Spiel erwartet hatten und ihnen dieser verbissene Kampfgeist fehlte, den Killigrews und Ribaults Männer von einem Atemzug zum anderen zu entfachen verstanden.
Die gleiche wilde Entschlossenheit entfesselten sie auch drinnen, im Schankraum der „Bloody Mary“.
Edwin Carberry setzte Parsons nach und erwischte ihn von neuem beim Kragen.
„Ho-ho!“ brüllte der Profos, daß die Wände wackelten. „Drauf, Männer! Gebt’s den gottverdammten Bastarden!“ Seine Riesenfäuste trieben den ersten Offizier zurück in das Gedränge wie einen unangespitzten Pfahl.
Und die Seewölfe stimmten in das Kampfgebrüll mit ein. Es flogen die Fetzen. Stühle und Tische gingen zu Bruch. Immer neue Scherbenregen entstanden, wenn Krüge und Becher zersplitterten. Nathaniel Plymson wagte nicht mehr, hinter seinem schönen neuen Tresen hervorzutauchen.
Plötzlich erschauerten die Männer der „Revenge“, die sich vor wenigen Minuten noch so überlegen gefühlt hatten. Denn ein Ruf hallte von den Wänden wider, ein Ruf, in dem sich die Männerstimmen in unbändiger Wildheit zu einem wahren Donnergrollen vereinten.
„Ar-we-nack! Ar-we-nack! Ar-we-nack!“
Die Betonung lag auf der ersten Silbe, die beiden letzten klangen abgehackt. Das ergab jenen dröhnenden Rhythmus, der auf schauerliche Weise an eine heranmarschierende Streitmacht erinnerte. Unaufhaltsam, Schritt für Schritt.
Es war der alte Kampfruf derer von der Feste Arwenack, hoch über Falmouth an der Küste von Cornwall gelegen. Philip Hasard Killigrew und seine Männer hatten diesen Schlachtruf übernommen und über die sieben Meere getragen. Und immer dort, wo sie ihr „Ar-we-nack“ dem Gegner entgegengeschleudert hatten, da hatten sie Angst und Schrecken verbreitet.
Die Männer der „Revenge“ gerieten aus der Fassung. Diese Wildheit, die ihnen entgegenbrandete, war zuviel. Mit nichts dergleichen hatten sie gerechnet. Und diejenigen von ihnen, die unter schmetternden Fausthieben zusammenbrachen, trugen allein durch ihren jämmerlichen Anblick dazu bei, die anderen zu demoralisieren. Dan O’Flynn, Sam Roskill und Jeff Bowie stürmten zurück in die Schenke. Draußen gab es nichts mehr zu tun. Sechs „Revenge“-Männer lagen langgestreckt auf dem Straßenpflaster, erlöst im Traumland, in dem es keine Schmerzen gab.
Und mit der Rückkehr der Drei wallte der Schlachtruf „Ar-we-nack“ von neuem auf.
Von wirbelnden Fäusten, splitternden Stühlen und zischenden Tonkrug-Geschossen umgeben,