Seewölfe Paket 9. Roy Palmer
„Aye, Sir. Wenn diese Stinte nicht spuren, ziehe ich ihnen die Haut in Streifen von ihren Affenärschen. Darauf kannst du dich verlassen.“ Der Profos sagte es mit einem treuherzigen Augenaufschlag.
Hasard mußte sich abwenden, denn er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Die Seewölfe gerieten in Bewegung. Eile war geboten. Denn bis zum Einbruch der Dämmerung hatten sie gerade noch genug Zeit, um sich landfein zu machen. Und dann – hol’s der Teufel, dann würde es rundgehen. Allerdings würde die Einrichtung der „Bloody Mary“ besonders liebevoll und schonend behandelt werden. Das nahmen sie sich alle fest vor.
3.
Da waren etliche fremde Gesichter an diesem frühen Abend, Gesichter, die sich sonst nie hierher verirrten.
Nathaniel Plymson nutzte einen arbeitsfreien Moment, um sich nachdenklich am Hinterkopf zu kratzen. Der Ansatz seiner Perücke bewegte sich dabei rhythmisch auf und ab. Rostrot leuchtete seine käuflich erworbene Haarpracht jetzt. Er hatte beschlossen, daß diese Farbe gut zu ihm paßte.
Die Erinnerung an seine letzte Perücke, die blond gewesen war, bescherte ihm Gedanken voller Unbehagen. Dieses Unbehagen wurde noch bestärkt durch jene fremden Gesichter. Bürger aus Plymouth zwar. Aber Leute, denen normalerweise die Zeit zu schade war für eine Schenke von der Art der „Bloody Mary“. Sie hatten sich abgesondert von Plymsons Stammkundschaft, den zwielichtigen Gestalten, die sich bei ihm stets wohlfühlten.
Denn dies war nun einmal kein normaler Tag.
Der dicke Plymson spürte es mit jeder Faser seiner Nerven. Auch die Stammkunden, die sich an der Theke niedergelassen hatten, waren weniger gesprächig als sonst. Eine unbeschwerte Unterhaltung, wie sonst, wollte nicht aufkommen. Die unbekannten Gäste verharrten sowieso in fast andächtiger Stille an den Tischen im Hintergrund.
Immerhin: Die Einrichtung der „Bloody Mary“ konnte sich sehen lassen. Alles nagelneu. Das Holz von Tischen, Stühlen, Bänken, Tresen und Regalen strömte noch den gleichen frischen Geruch aus, mit dem die Zimmerleute es hereingeschleppt und zusammengenagelt hatten.
Hölle und Teufel, sagte Plymsons ahnungsvolle innere Stimme, egal, in welche Richtung man denkt, man landet immer wieder bei diesen dreimal verfluchten Kerlen!
Die Seewölfe waren der Grund, warum die Fremden hier im Schankraum auf Sensationen harrten.
Die Seewölfe waren schuld daran, daß keine rechte Stimmung entstehen wollte.
Die Seewölfe waren für die soundsovielte Erneuerung des Bloody-Mary-Inventars verantwortlich.
Und die Seewölfe hatten auch Plymsons vorige blonde Perücke in das Hafenbecken der Mill Bay befördert.
Die ganze Stadt wußte von ihrer Ankunft. Außerdem noch dieses Franzosenschiff! Die Isabella-Crew allein war für Nathaniel Plymson schon Anlaß genug, klein und häßlich zu werden. Gemeinsam mit Ribaults Leuten aber waren sie der Ausbund der Hölle. Und mit einer Wahrscheinlichkeit von neunundneunzig zu eins war damit zu rechnen, daß die rauhbeinigen Burschen an diesem Abend in der „Bloody Mary“ aufkreuzten.
Denn die Schenke, in der Nähe des Hafens, an der Ecke Millbay Road und St. Mary Street gelegen, war schon seit Jahren das Stammlokal der Männer unter Philip Hasard Killigrew. Nicht etwa, weil sie den dikken Plymson besonders ins Herz geschlossen hatten. Nein, es lag vielmehr an der anheimelnden Art von rohgezimmerter Gemütlichkeit, die diesen Schankraum prägte.
Wie an diesem Tag, dachte Nathaniel Plymson stets mit gemischten Gefühlen an die Seewölfe. Sie hatten die unangenehme Gabe, ihm bis auf den Grund seiner schwarzen Seele schauen zu können. Manchmal brachte es ihn schier zur Verzweiflung, wie sie ihn trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bei seinen dunklen Geschäften ertappten. Wie sie ihm auf die Finger klopften, wenn er Seeleute an Pressgangs verscherbelte, oder unter dem Tresen mit Beuteware aus der unergründlichen Weite der englischen Seefahrt schacherte. Ganz zu schweigen davon, wie oft sie ihn erwischt hatten, wenn er jemandem gepanschten Wein andrehte.
Völlig zu Unrecht, so bemitleidete er sich selbst, bezeichneten ihn Killigrews Kerle als Schlitzohr und Geizkragen. Er betrachtete sich als einen angesehenen Bürger der Stadt Plymouth. Schließlich war er Geschäftsmann, Inhaber eines eigenen Unternehmens. Sein machtiger Bauch und das schwammige Dreifachkinn waren für ihn die außeren Zeichen hart erarbeiteten Wohlstands.
Wehmütig betrachtete Plymson den ausgestopften Stör, der über der Theke hing. Der mächtige Fisch hatte als einziges Einrichtungsstück alle Unbilden der Zeit überdauert. Gewiß, die Seewölfe bezahlten immer ausreichend für das, was sie zertrümmerten. Meist blieb dabei sogar noch ein Gewinn übrig. Aber es war vor allem deprimierend, daß die Burschen ihn nicht für voll nahmen, daß sie es ihm nicht abkauften, wenn er den ehrenwerten Geschäftsmann mimte.
„Nat, schenk nach“, sagte einer der Stammkunden unwirsch.
Plymson erwachte aus seinen unbehaglichen Überlegungen, nickte, griff sich die Bierkrüge und schob sie unter den Zapfhahn des schweren Eichenfasses.
Plötzlich schrak er auf, und alle Köpfe im Schankraum ruckten herum. Alle Augen richteten sich auf die Eingangstür, die im matten Schein der Öllampen nur undeutlich zu erkennen war.
Schritte. Rauhe Stimmen. Gelächter.
Der Wirt der „Bloody Mary“ wechselte einen ahnungsvollen Blick mit seinen Stammkunden.
Die Tür der Schenke flog auf und krachte gegen die Innenwand.
Edwin Carberry mußte sich beim Eintreten ducken, denn der Türrahmen war zu niedrig für ihn. Während die anderen hinter ihm hereindrängten, blieb er einen Moment stehen, breitete die Arme aus und strahlte über das ganze furchterregende Narbengesicht.
„Plymson! Du dickbäuchige Kakerlake! Wie schön, dich endlich mal wiederzusehen!“
Nathaniel Plymson erschauerte. Er spürte, wie ihm eine unsichtbare Hand über den Rücken kroch.
Die Männer der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ untermalten Carberrys Begrüßungsworte mit beifälligem Johlen. Wie ein Schwarm verteilten sie sich nach allen Seiten und konzentrierten sich zunächst darauf, die Theke zu umlagern. Längst hatten die Stammkunden Reißaus in eine geschützte Ecke des Schankraumes genommen.
Per Profos der Isabella-Crew ließ seine Riesenfaust auf die Theke krachen. Krüge und Kannen vollführten einen Satz. Nathaniel Plymson zuckte zusammen und drehte das Handtuch in seinen schwammigen Händen einer Zerreißprobe entgegen. Für einen Augenblick wurde es still.
„Herhören,“ ihr Rübenschweine!“ sagte Carberry dröhnend. „Die Order für den heutigen Abend lautet: Rücksicht und gutes Benehmen! Nichts und niemand wird zu hart angefaßt! Nichts wird umgekippt oder fallengelassen! Und nichts wird kaputtgehauen! Das gilt auch für unsere Freunde von der ‚Le Vengeur‘. In dieser Stadt sind wir immer freundlich empfangen worden, besonders in dieser netten, gemütlichen Saufbude. Also werden wir den besten Eindruck hinterlassen. Die königliche Lissy soll sich unserer nicht schämen. Ist das klar, wie, was?“
„Aye, aye, Sir!“ brüllte die Meute im Chor.
Edwin Carberry grinste breit und nickte dem dicken Schankwirt zu.
„Das war eine verdammt lange Ansprache, Nat. Meine Kehle ist davon trokken geworden. Und die Jungens wollen auch nicht zusehen. Also schwenk dich, alter Lappen!“
„Sofort, Sir, sofort“, dienerte Plymson und begann, die Krüge aus seinen Regalen zu räumen.
Stenmark und Gary Andrews sprangen mit ein und unterstützten den Wirt bei seinem plötzlichen Arbeitsanfall. Denn sie alle hatten ein Interesse daran, den ersten guten Tropfen an Land möglichst schnell zwischen die Kiemen rinnen zu lassen. Und außerdem wußten sie aus Erfahrung, daß es gut war, dem dikken Plymson ein wenig auf die Finger zu schauen. Dann geriet er nicht in Versuchung, aus Versehen die Register seiner Panschkunst zu ziehen.
Plymson