Seewölfe Paket 9. Roy Palmer

Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer


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knurrte unwillig. Jetzt reichte es. Mit einem kurzen Blick in die Runde stellte er fest, daß die Horde der Drake-Mannen bereits auf weniger als die Hälfte zusammengeschmolzen war. Und immer noch wirbelten die Fäuste der Seewölfe, die über Tische und Stühle turnten, als sei dies die leichteste und selbstverständlichste Art der Fortbewegung.

      Carberry ließ den Angriff Parsons an seinen Unterarmen abprallen. Dann blies er dem ersten Offizier des sehr ehrenwerten Admirals den Marsch, daß Sir Francis Drake das Heulen gekriegt hätte, wenn er Zeuge geworden wäre.

      Robert Parsons erzitterte unter einem Trommelfeuer von Hieben, die den letzten Funken Mut aus ihm herausdroschen. Es sah kläglich aus, als er trotzdem versuchte, die Fäuste noch einmal gegen den bulligen Profos zu erheben. Carberry gab ihm mit einem letzten gnadenlosen Haken den Rest.

      Parsons segelte durch die Tischreihen und landete in einem Haufen von Armen und Beinen, die zum bereits kampfunfähigen Teil seiner Meute gehörten. Und Parsons rührte sich nicht mehr. Die übrigen „Revenge“-Männer, die noch kämpften bemerkten es mit wachsender Verwirrung. Es war wie immer: Wo der Anführer die Segel strich, war auch mit dem Rest der Mannschaft nicht mehr viel anzufangen.

      Carberry und die anderen droschen weiter auf den zusammengeschmolzenen Haufen ein. Bewußtlose, zersplitterte Stuhl- und Tischbeine bildeten ein wirres Durcheinander. Die Öllampen schaukelten bedrohlich unter den Dekkenbalken.

      Ferris Tucker sah sich plötzlich allein auf weiter Flur. Desgleichen Karl von Hutten und Jan Ranse. Ihre Fäuste hatten pausenlos reiche Ernte gefunden, doch auf einmal war ihre Umgebung wie leergefegt. Und die übrigen Seewölfe sahen sich unvermittelt in der gleichen Lage. Die letzten von der „Revenge“ sanken seufzend zu Boden.

      Aus.

      Die plötzliche Stille war unheimlich. Jedenfalls für Nathaniel Plymson, der nur zögernd hinter seiner Theke hervorzukriechen wagte. Dann, als er die Bescherung sah, schloß er verzweifelt die Augen. Es war haargenau das Bild, das er schon vor Beginn der wilden Schlacht gesehen hatte. Und es war ein höllisch vertrautes Bild, das er schon viel zu oft erlebt hatte.

      Edwin Carberry blickte abermals in die Runde. Seine Gefährten sahen zwar einigermaßen zerrupft aus. Aber zerrissene Kleidungsstücke und ein paar Schrammen waren bedeutungslos angesichts des Sieges, den sie errungen hatten. Wieder einmal.

      Die Männer der „Revenge“ mußten bald an sich selbst verzweifeln. Immer wieder kriegten sie von den Seewölfen einen mehr als sprichwörtlichen Tritt in den Hintern verpaßt, und jedesmal wurde die Niederlage noch bitterer für sie. Immerhin hatte es bei den Vorfällen auf See bislang keine Zeugen gegeben. Aber hier, in Plymouth, hatten die Crews der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ ihnen in aller Öffentlichkeit die Jacke vollgehauen.

      „Na bitte“, sagte der Profos der „Isabella“ mit zufriedenem Nicken und wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab. „Dann wollen wir mal, Männer! Fangt an mit dem Aufräumen! Unser alter Freund Plymson soll die ganze Arbeit nicht allein tun. Ich denke, unsere lieben Kameraden von der ‚Revenge‘ brauchen ein bißchen Abkühlung, damit sie schneller wieder aufwachen und auf vernünftigere Gedanken kommen!“

      Beifälliges Johlen war die Antwort. Carberry brauchte den Männern nicht zweimal zu erklären, was er meinte. Die Mill Bay lag quasi vor der Haustür.

      Nathaniel Plymsons Augen waren vor Entsetzen geweitet, als er sah, wie sie die Bewußtlosen hinausschleiften. Das Klatschen, das anschließend in sehr kurzen Abständen zu hören war, ließ keine Zweifel offen. Diese Himmelhunde verhalfen der Crew des sehr ehrenwerten Admirals Drake doch tatsächlich zu einem kühlen Bad in der Mill Bay!

      Plymson fröstelte. Der Abend hatte erst begonnen. Was mochte die Nacht noch bringen?

      Bestimmt nichts Gutes. Denn die Seewölfe dachten nicht daran, schon in ihre Kojen zurückzukehren. Trotz des zertrümmerten Mobiliars war ihnen die „Bloody Mary“ noch gemütlich genug, um einen ordentlichen Schluck auf den Sieg zu trinken.

      4.

      Der große Rathaussaal der Stadt Plymouth war erfüllt von feinen, dezenten Geräuschen.

      Zwei Lautenspieler, auf einem Podium an der Stirnseite des Saales, zupften englische Tänze und Lieder. Sanfte Melodiefolgen und Akkorde bildeten den erhabenen Hintergrund für das Ereignis, das Lord Mayor Abbot Cummings und die Mitglieder des Town Council wirkungsvoll in Szene gesetzt hatten.

      Vier mächtige Kronleuchter, mit insgesamt mehr als zweihundert Kerzen, tauchten den etwa fünfzig Quadratyards großen Raum in einen festlichen Glanz. Einzelne Kerzen erhellten auch die Tafel, die bereits fertig gedeckt war. Silbernes Geschirr funkelte im Schein des Kerzenlichts. Die dunkelroten samtenen Fenstervorhänge waren zugezogen und verstärkten dadurch die behagliche Atmosphäre.

      Noch hatten sich die Gäste des Banketts nicht an der Tafel niedergelassen. Vor Beginn des Festessens hatte der Bürgermeister einen trokkenen spanischen Rotwein der Provenienz Rioja kredenzen lassen. Vor dem prasselnden Kaminfeuer am anderen Ende des Saales – dem Podest der Lautenspieler gegenüber – klirrten leise die kristallenen Gläser, wenn die Honoratioren, die Ladys und ihre Gäste sich zuprosteten.

      Hasard und Jean Ribault hatten ihre nobelsten Kleidungsstücke angelegt. Beide trugen unter dem eleganten Wams weiße Seidenhemden, die aus dem Fernen Osten stammten. Ihre weichen, glänzenden Stulpenstiefel bildeten einen wirkungsvollen Kontrast zu den enganliegenden schwarzen Beinkleidern.

      Lord Mayor Abbot Cummings und seine Ratsherren waren vorerst abgeschrieben. Die Ladys und ihre unverheirateten Töchter umlagerten die beiden Kapitäne und hatten sie mit Beschlag belegt. Hasard und Jean Ribault konnten sich der vielen Fragen kaum erwehren, und gleichzeitig spürten sie immer eindringlicher die schwärmerischen, bewundernden Blicke – vor allem von den Töchtern der Honoratioren.

      Am Rand des Saales, vor den Türen zu den angrenzenden Korridoren, standen die Rathausdiener in abwartender Hab-Acht-Stellung. Die Männer trugen dunkle Kleider mit weißen Halskrausen, die die Tradition ihres Berufes symbolisierten.

      „Eine Frage hätte ich noch, Sir Hasard“, plapperte eins der Mädchen, eine blonde Schönheit mit sorgfältig frisiertem Haar und kostbarer Robe. „Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie und Ihre Männer ein feindliches Schiff entern? Ich meine, was empfinden Sie in solchen Momenten? Angst? Oder Wut?“

      Hasard schüttelte lächelnd den Kopf.

      „Nichts dergleichen, Miß. Meistens wird es einem erst hinterher bewußt, was alles hätte passieren können.“

      „Geht es Ihnen genauso, Monsieur Ribault?“ fragte ein anderes Mädchen, brünett und mit einer kleinen Gruppe von Sommersprossen in der Umgebung der hübsch geschwungenen Nase.

      „Ja, natürlich“, antwortete Jean Ribault, während sich die schwärmerischen Blicke der versammelten Weiblichkeit auf ihn richteten. „Mein Freund Hasard hat es richtig beschrieben. Würde man über das nachdenken, was man tut, während man es tut – nun, dann könnte es doch sein, daß einem vor der eigenen Courage angst und bange wird, nicht wahr?“

      Die Mädchen lachten leise und vornehm, tauschten Blicke aus und tuschelten hinter vorgehaltener Hand.

      „Oh, Sie sollten Ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen, Gentlemen“, sagte Lady Bethesda Cummings, die Frau des Bürgermeisters. „Jedermann in England weiß, welche siegreichen Schlachten Sie geschlagen haben. Wir können uns zwar die Einzelheiten nicht recht vorstellen, aber wir können uns sehr wohl vorstellen, wieviel Mut und Tapferkeit dazugehören, um solche Siege zu erringen.“

      Hasard und Jean wehrten das Lob höflich ab. Geduldig ließen sie die vielen Fragen der Ladys und ihrer Töchter über sich ergehen.

      Irgendwann, Minuten später, sah Hasard, daß ein Rathausdiener die Tür öffnete. Jemand überbrachte eine Nachricht. Der Diener nickte, schloß die Tür wieder und ging mit würdevollen Schritten auf den Lord Mayor zu, der mit den Ratsherren in der Nähe des Kamins versammelt war.


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