Seewölfe Paket 24. Roy Palmer
die Posten mit den Musketenkolben gegen das Vorpieksschott donnerten, stellten die Männer ihr Lachen ein. Nur zwei Kerle lachten noch, allerdings nicht an Bord der „Goldenen Henne“, sondern auf dem Flaggschiff des Verbandes – Pedro Tores und El Rojo. Sie wollten sich ausschütten vor Lachen. Zu ihrem Glück hatten sie jetzt Freiwache und befanden sich im Logis, wo es außer ihren Kameraden niemand sonst hören konnte.
Don José de Zavallo blickte Jean Ribault an.
„Ich will dich hier nicht länger sehen, du Drecksack!“ sagte er.
„Wie’s beliebt“, sagte der Franzose. „Wenn es irgendwo ein Schlafplätzchen für mich gibt, lege ich mich gern zur Ruhe.“
„Ja“, sagte der Teniente mit zynischem Grinsen. „Ich habe ein feines Plätzchen für dich.“
So wurde auch Jean Ribault zur Vorpiek abgeführt.
Als er zwischen seinen Kameraden kauerte und das Schott hinter ihm zuknallte, brummte Renke Eggens: „Eigentlich haben wir schon auf dich gewartet.“
„Na, nun bin ich ja da“, sagte Jean Ribault. „Ein Glück, daß wir hier so viel Platz haben.“
„Ach, das ist nicht so schlimm“, sagte Karl von Hutten. „Ich stelle mir dauernd vor, wie Jan und Mel den Steckmast der Jolle setzen, das Segel riggen und ostwärts kreuzen. Das genügt mir.“
„Ja“, sagte Jean Ribault grimmig. „Und bald sind wir in St. Augustine. Freut ihr euch schon darauf?“
„Und wie“, sagte Renke. „Die Dons werden uns dort bestimmt einen herzlichen Empfang bereiten.“
Am frühen Morgen des 29. April liefen die drei spanischen Kriegsschiffe mit ihrer „Beute“ in St. Augustine ein. Don José de Zavallo stand an der Schmuckbalustrade des Achterdecks der „Goldenen Henne“ und blickte zu den Menschen, die auf den Piers zusammenliefen.
Inzwischen hatte er seine Selbstsicherheit wiedererlangt. Es war nur richtig gewesen, daß er auch den frechen Kerl, diesen Ersten Offizier, zu den anderen in die Vorpiek gesteckt hatte. Seitdem hatte es keine unliebsamen Überraschungen mehr gegeben. In der Vorpiek wären die Hunde auf Nummer Sicher.
Doch jetzt mußten sie von der Karavelle an Land geschafft werden, und dort konnten sie wieder für Ärger sorgen, wenn sie nicht sofort eingesperrt wurden. Diese Deutschen, die sich als so unberechenbar und tolldreist erwiesen hatten, waren hinter Schloß und Riegel am besten aufgehoben.
Die Schiffe vertäuten im Hafen. Sofort gab der Verbandsführer seine Befehle. De Zavallo sollte die Gefangenen mit einem starken Trupp Seesoldaten unverzüglich zur Festung bringen und dort ins Gefängnis sperren lassen. Dem Teniente war das nur recht. Er stellte seinen Trupp zusammen, dann ließ er die Gefangenen aus der Vorpiek der „Goldenen Henne“ holen.
Ribault, Karl von Hutten, Renke Eggens, Hein Ropers, Hanno Harms und die anderen Männer der Crew traten einer nach dem anderen auf die Kuhl ihres Schiffes. Sie blinzelten in das Sonnenlicht, das ungewöhnlich grell für sie wirkte. Dann starrten sie in die Mündungen von Musketen.
„Guten Morgen“, sagte Renke Eggens ironisch. „Der Herr Teniente will kein Risiko mehr eingehen, was?“
De Zavallo hatte es gehört und trat näher.
„Bei der geringsten falschen Bewegung gebe ich den Befehl zum Feuern“, sagte er.
„Sie werden dies alles zu verantworten haben“, sagte Renke. „Es ist völlig unzulässig, ein Schiff auf diese Weise aufzubringen. Das ist Piraterie, Señor. Ich verlange noch einmal …“
„Gar nichts verlangen Sie“, unterbrach ihn de Zavallo kalt. Dann gab er dem Sargento und den Soldaten einen Wink. „Abführen!“
Renke sah ein, daß es keinen Sinn hatte. Er würde mit dem Verbandsführer nicht reden können. Dann eben nicht, dachte er grimmig, aber mit dem Festungskommandanten werden wir uns schon verständigen. Er muß sich wenigstens anhören, was wir vorzutragen haben.
Während sie unter Bewachung der Soldaten an Land gebracht und zur Festung dirigiert wurden, dachte Renke immer wieder darüber nach, welche Chancen sie hier in St. Augustine hatten, überhaupt angehört zu werden.
Nun – Don Antonio de Quintanilla würde dem Festungskommandanten kein Unbekannter sein. Der Hinweis auf den Gouverneur konnte den Kommandanten möglicherweise doch einschüchtern oder ihn zumindest nachdenklich stimmen.
Was aber weder Renke noch die anderen Männer der „Goldenen Henne“ ahnen konnten, war die Tatsache, daß im Inneren der Festung eine Überraschung besonderer Art auf sie wartete. Ein neuer Sachverhalt! Er sollte den weiteren Verlauf des Geschehens entscheidend beeinflussen, allerdings nicht zugunsten der „Vengeurs“ und ihrer deutschen Kameraden.
6.
Ihre Schritte hallten auf den Steinstufen der steilen Treppe, als sie in den Festungskerker hinunterstiegen. Renke Eggens und Jean Ribault waren ganz vorn, an der Spitze der Gruppe, den Schluß bildete Jonny, der jüngste Mann der Crew.
De Zavallo und seine Seesoldaten hielten die Männer nach wie vor mit Musketen in Schach. Es gab keine Chance zur Flucht. Die Männer der „Goldenen Henne“ waren ihrem Schicksal ausgeliefert.
Aber dann ging das große Theater los: Die Gefangenen wurden an einer großen Kerkerzelle vorbeigeführt, in der zerlumpte, heruntergekommene Gestalten hockten. Die Gestalten erhoben sich, traten näher und umklammerten mit abgemagerten, klauenartigen Händen die Gitterstäbe. Neugierige Blicke richteten sich auf die neuen Gefangenen.
Plötzlich stieß jemand einen Schrei aus: „Das sind sie! Die Bastarde!“
„Maul halten!“ fuhr de Zavallo die Zelleninsassen an.
„Die Bastarde! Ich erkenn’ sie wieder!“ brüllte der Kerl in der Zelle.
Erst jetzt ging es auch Renke Eggens, Jean Ribault und der Crew auf, daß die Gefangenen mit den „Bastarden“ keineswegs die spanischen Soldaten meinten.
Ein Finger richtete sich auf die Männer der „Goldenen Henne“. Es war derselbe Kerl, der eben geschrien hatte. Jetzt brüllte er: „Die haben sich die ‚Lady Anne‘ unter den Nagel gerissen! Samt der Goldbeute!“
Jean Ribault spürte, wie es ihn siedendheiß durchlief. Herrgott, dachte er, das kann nicht wahr sein. Und doch begriff er: Ausgerechnet die Kerle des Sir John Killigrew waren es, die da in der Zelle standen und sie wie Wesen von einem anderen Stern angafften. Es war kaum zu fassen, aber wahr: ausgerechnet hier, in St. Augustine, traf man wieder aufeinander!
Beim näheren Hinsehen stellte sich heraus, daß der Schreihals keinesfalls abgemagert war, sondern im Gegenteil wohlgenährt. Trotz des Bartes, den er inzwischen trug, erkannte Jean Ribault ihn wieder: Es war O’Leary, der brutale Bootsmann der ehemaligen „Lady Anne“.
Ihm schien es am besten von allen zu gehen. Außer den Kerlen der Sir-John-Crew entdeckten Ribault und seine Freunde nun auch die sieben Hochwohlgeborenen, darunter Sir James Sandwich. Die erweckten den derangiertesten Eindruck. Kein Wunder, denn sie hatten den rohen Patronen von der „Lady Anne“ ja nichts entgegenzusetzen.
O’Leary, das war auf Anhieb klar, regierte in der Zelle – und er frißt sich auf Kosten der feinen Gentlemen dick und rund, klarer Fall, dachte Jean Ribault. Ihre Blicke trafen sich, und O’Leary stieß einen wüsten Fluch aus.
Als die Seesoldaten die neuen Gefangenen hereingeführt hatten, hatte O’Leary geglaubt, ihn müsse der Schlag treffen. Natürlich, das waren sie: die Bastarde, die die „Lady Anne“ entführt hatten. Er hatte nicht den geringsten Zweifel. Kerle, die zu dem verfluchten Seewolf und der schwarzhaarigen Hexe gehörten!
Na, das war vielleicht ein Ding!
„He!“ grölte O’Leary. „Ich will sofort den Kommandanten sprechen!“ Er rüttelte mit den Fäusten an den Gitterstäben.