Seewölfe Paket 8. Roy Palmer

Seewölfe Paket 8 - Roy Palmer


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brüllte er mit einer Stimme, die mühelos das Orgeln und Tosen des Sturms übertönte.

      Dabei flankte er bereits mit einem mächtigen Satz über die Schmuckbalustrade, sprang auf die Kuhl und erwischte eins der straff durchgeholten Manntaue. Irgendwo hörte er Edwin Carberry fluchen, der die Gefahr ebenfalls erkannt hatte. Längst war die Galeone abgefallen und lief unter Sturmfock und Besan eine Höllenfahrt, die dem Ritt auf einem ungezähmten Ungeheuer glich. Sturzseen überspülten das Backbordschanzkleid, Gischt sprühte in der Luft, gurgelnd und schmatzend lief das Wasser durch die Speigatten ab. Hasard scherte sich den Teufel um alle ehernen Gesetze der Seefahrt. Statt sich vorsichtig über die Kuhl zu hangeln, erreichte er mit langen Sprüngen das Vorkastell und schlug die Fäuste um die Webleinen der Luvwanten.

      Wie ein Schemen tauchte vor ihm die Hünengestalt Ed Carberrys aus einer Gischtwolke. Der Profos knirschte mit den Zähnen, stolperte, schlingerte, hing sich ebenfalls ins Want. Er schwenkte einen zusammengerollten Tampen, und Hasard schnappte danach, während er bereits aufenterte.

      Auf halber Höhe flitzte Arwenack an ihm vorbei und rettete sich kekkernd zu Dan O’Flynn, der sich ebenfalls aufs Vorkastell gekämpft hatte.

      Die Zwillinge hatten sich mit Händen und Füßen in die Marswanten gekrallt. Kreidebleich waren sie, ja. Und doch lag in der Angst auf ihren Gesichtern ein ziemlich verbissener Zug. Wie zwei kleine Wildkatzen klammerten sie sich fest – und Hasard hätte vielleicht gegrinst, wenn da nicht plötzlich ein scharfes, peitschendes Geräusch an sein Ohr geschlagen wäre.

      Brechendes Tauwerk!

      Hölle, Teufel und …

      Mit einem verzweifelten Sprung schwang sich der Seewolf über die Segeltuchverkleidung, pflückte seine Söhne aus dem Want und preßte sie mit seinem Körper gegen die Plattform, während er einen Arm als Sicherung um die Stenge schlug.

      Krachend und berstend raste die Vormarsrah abwärts.

      Carberry, durchzuckte es Hasard. Er spürte mehr, als daß er es sah, daß der Vormars plötzlich nur noch die halbe Segeltuchverkleidung hatte. Unter ihm krachte die Rah auf die Planken. Ein Klumpen ballte sich in seinem Magen zusammen. Er spähte über den Rand der Plattform, halb in der Erwartung, den eisernen Profos mit zerschmettertem Schädel an Deck zu sehen – doch statt dessen sah er eine zerschmetterte Rah und einen Edwin Carberry, der mit einer Hand an der Webleine hing, wie es sonst nur Arwenack fertigbrachte.

      Die blitzartige Ausweichbewegung hatte dem Profos zweifellos das Leben gerettet.

      Sein lästerlicher Fluch übertönte den Sturm. Verbissen schwang er sich wieder ins Want, enterte weiter auf, und unterdessen hatte der Seewolf bereits das Tau um den Leib des kleinen Hasard verknotet.

      Schnaufend erreichte Ed Carberry den Mars, wobei seine Luft durchaus noch reichte, um finstere Mutmaßungen über das Geschick anzustellen, das vorwitzigen Bengeln drohte, die nicht wußten, wie man sich bei Sturm zu benehmen hatte. Hastig schlang er das Seil auch um seinen eigenen Körper und klemmte sich den nun doch etwas zittrigen Hasard junior unter den Arm. Der Seewolf belegte das Tau am Mast, sicherte den Abstieg, hielt dabei seinen zweiten Sprößling fest und fragte sich, wieso sie nicht längst alle wie reife Pflaumen aus dem schwankenden Mast geschüttelt worden waren.

      Ed Carberry brachte das Kunststück fertig, heil auf dem Vorkastell anzukommen.

      Hasard wartete nicht, bis der Profos von neuem aufenterte. Der Sturm heulte jetzt mit einer so wahnwitzigen, vernichtenden Gewalt heran, daß jede Sekunde Zögern Selbstmord bedeutet hätte. Mit eisernem Griff hielt der Seewolf den kleinen Philip an sich gepreßt, schwang sich über den Rand der Plattform und war Sekunden später ebenfalls unten.

      Die Zwillinge wurden in ihre Kammer verfrachtet.

      Sie sahen beide etwas grünlich aus – wahrscheinlich würde die Natur den disziplinarischen Teil der Angelegenheit übernehmen. Hasard hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Niemand hatte es. Der Sturm beutelte die „Isabella“, daß es eine Art hatte – und dieser dreimal verdammte Sturm dauerte den Rest des Tages, die ganze Nacht und den nächsten Morgen an.

      Die „Isabella“ wurde weit nach Südosten verschlagen.

      Wenn es so weiterging, würden sie geradewegs an der baskischen Küste landen – und dann, so wußten sie, hätten sie genausogut gleich in die Hölle segeln können, um sämtliche Ober- und Unterteufel am Schwanz zu ziehen.

      Ein paar Seemeilen nördlich von der „Isabella“ trieb die holländische Fleute „Anneke Bouts“ vor Topp und Takel.

      Zwei Stunden zuvor war das Ruder gebrochen. An Deck herrschte ein Chaos aus zerfetztem Tauwerk und geborstenen Spieren, das die Männer mit verzweifelter Wut aufzuklaren versuchten. Nur wenige Strecktaue hatten der Belastung standgehalten. Jeder Schritt auf den gischtübersprühten Planken war lebensgefährlich. Aber die „Anneke Bouts“ trieb dicht unter Land, und jeder einzelne der Mannschaft kannte die tückischen Klippen, die vor ihnen lauerten.

      Kapitän Meerens umklammerte mit versteinertem Gesicht die Schmuckbalustrade des flachen Achterkastells.

      Friso Eyck, der flachshaarige Steuermann, trieb mit peitschender Stimme die Männer an, die verzweifelt irgendeinen Fetzen an der Gaffelrute des Besans zu setzen suchten. Es war vergebliche Mühe. Der Sturm riß ihnen das Tuch aus den Händen, Tauwerk peitschte in ihre Gesichter. Ein gellender Schrei ertönte, als die schlagende Gaffel einen Mann am Kopf traf. Friso Eyck sprang hinzu, warf das Fall los, damit die schräge Rute nicht noch die Reste des Riggs zerfetzte. Verzweifelt warf sich der Steuermann herum, und der silberne Geusenpfennig, den er um den Hals trug, schien wie ein Irrlicht über seine Brust zu tanzen.

      Schwarz und drohend wuchsen die Klippen vor ihnen hoch.

      „Klar bei Anker!“ peitschte Kapitän Meerens’ Stimme.

      Männer stürzten auf die Back, um die Trosse zum Laufen klarzulegen. Nichts außer diesem letzten, verzweifelten Manöver konnte das Schiff jetzt noch retten. Und Friso Eyçk wußte so gut wie die anderen, daß schon ein Wunder geschehen mußte, wenn der Anker Grund fassen und halten sollte.

      „Fallen Anker!“ schrie Meerens in das Tosen und Heulen des Sturms.

      „Fallen Anker!“ tönte es zurück wie ein dünnes Echo.

      Die Trosse rauschte aus. Quietschend drehte sich das Spill, die Fleute holte über und schlingerte und stampfte in den tückischen Kreuzseen, als wolle sie sich die Masten aus dem Leib schütteln. Friso Eyck war nach vorn geturnt und hatte es wie durch ein Wunder geschafft, ohne von einer der Sturzseen, die alle Augenblicke das Deck überspülten, außenbords gefegt zu werden. Der Anblick der schwarzen Klippe ließ ihn erschauern. Einen Sekundenbruchteil umklammerte er unbewußt den kalten, glänzenden Geusenpfennig – jenes Symbol des Freiheitskampfs, den sie alle führten und für den sie notfalls zu sterben bereit waren.

      „Auf und nieder!“ schrie jemand von vorn.

      In der nächsten Sekunde mußte der Anker Grund fassen und …

      Eine jähe Sturmbö besiegelte das Schicksal der „Anneke Bouts“.

      Hoch wurde die schlanke Fleute emporgeschleudert, krachte schmetternd auf die scharfkantigen Klippen, wo sie in zwei Teile zerbrach – und der vielstimmige Entsetzensschrei der Menschen ertrank im entfesselten, gnadenlosen Toben der Elemente.

      Es war Mittag, als der Sturm abflaute.

      Unmerklich erst, dann so schnell, als sei es die wilde, kochende See ganz plötzlich müde geworden, gegen die „Isabella“ anzurennen und wieder und wieder zu versuchen, ob sich dieses feste Holz nicht doch zerschlagen, diese langen Masten nicht doch brechen ließen, damit der hungrige Ozean sein Opfer erhielt. Die letzten Böen fegten den Himmel leer, Sonnenlicht ergoß sich über das Meer und ließ die steile Dünung in funkelndem Feuer glänzen. Die erschöpften, durchnäßten Männer an Deck hoben die Köpfe, starrten in das blaue Firmament und spürten die Wärme, die ihre erstarrten Glieder belebte. Wäre nicht die immer noch gefährlich hohe Dünung gewesen, man hätte die vergangenen


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