Seewölfe Paket 8. Roy Palmer
Galeonen in den holländischen Häfen brennen, hörte die wilden Geusenlieder, die die Helden des Freiheitskampfes besangen.
„Schiff ho! Schiff genau voraus!“
Die Stimme aus dem Großmars wirkte wie ein Peitschenhieb und riß van Helder jäh aus seinen Gedanken.
Spanier!
Eine der Kriegsgaleonen, von denen er längst schon ahnte, daß sie ihn jagten.
Eine?
Es war ein ganzer Verband, der von Süden heransegelte. Ein Verband, der wußte, was er wollte, der das Wild kannte, das er jagte. Mit einem schmerzlichen Lächeln dachte Marius van Helder an den Mann, der das Wagnis eingegangen war, auf einer spanischen Galeone als Kurier nach Bilbao zu segeln.
Mit einem tiefen Atemzug straffte der Geusenkapitän die Schultern.
„Klar Schiff zum Gefecht!“ hallte seine Stimme über die Decks.
Dabei ahnte er bereits, daß die „Oranje“ am Ende ihrer Reise angelangt war.
5.
Mondlicht glänzte auf dem Wasser wie flüssiges Silber.
Der Wind hatte um ein paar Strich gedreht, wehte jetzt genau von Westen und trieb die „Isabella“ auch ohne Marssegel zügig vorwärts. Ferris Tucker, der hünenhafte rothaarige Schiffszimmermann, arbeitete zusammen mit Big Old Shane und Smoky im Schiffsinneren, um eine neue Fockmarsrah zuzurichten. Morgen wollte er sie aufriggen, wenn sie die gefährlichen spanischen Küstengewässer hinter sich gelassen hatten.
Luke Morgan hatte Wache im Großmars. Auf der Kuhl hockten Dan O’Flynn, Bill und der weißhaarige Segelmacher Will Thorne mit den Zwillingen zusammen und erklärten den gebannt lauschenden Jungen in einem Gemisch aus englischen Brocken und Zeichensprache, was es mit den Wassergeusen auf sich hatte. Hasard betrachtete nachdenklich die glänzenden Augen und angespannten Gesichter seiner Söhne. Ihre leichtsinnige Eskapade im Sturm war durchaus nicht vergessen worden. Dan O’Flynn, der Onkel der beiden, mußte ihnen eine sehr nachdrückliche Predigt gehalten haben. Der Kutscher wußte von einer tadellos aufgeklarten Kombüse zu berichten, was ihm eine echte Hilfe gewesen war, da die gesamte Crew auf diese Weise nach den Strapazen des Sturms und des Gefechts viel schneller zu der wohlverdienten heißen Mahlzeit kam, und Hasard hatte es dabei belassen.
Die beiden Jungen lernten schnell.
Vielleicht lag es daran, daß sie unter Gauklern und Artisten gelebt hatten – ein freies, ungebundenes Leben, das dennoch die Notwendigkeit strikter Disziplin kannte. Hasard machte sich klar, daß er im Grunde immer noch sehr wenig von seinen Söhnen wußte. Es mußten abenteuerliche Umstände gewesen sein, die sie aus dem Palast des syrischen Scheichs zu der Gauklertruppe verschlagen, die sie schließlich bis nach Tanger geführt hatten.
Luke Morgans Stimme aus dem Großmars unterbrach seine Gedanken.
„Land ho! Klippen Steuerbord voraus!“
Der Seewolf enterte ein Stück in die Besanwanten und zog das Spektiv auseinander.
Tatsächlich hoben sich Steuerbord voraus im silbern überglänzten Wasser ein paar schwarze Buckel ab. Eine winzige, vermutlich unbewohnte Insel mit ein paar vorgelagerten Klippen. Hasard wollte das Spektiv absetzen – da entdeckte er die weißen Flecken auf den dunklen Felsen und erkannte ein paar Sekunden später, daß es sich um zerfetzte Segel handelte.
„Deck!“ rief Luke Morgan. „Da liegt ein Wrack, eine Fleute, glaube ich. Muß beim Sturm auf die Klippen geschleudert worden sein.“
Hasard runzelte die Stirn.
Eine Fleute – das war ein holländisches Schiff. Hatte Jan Joerdans nicht davon gesprochen, daß er sich auf jener Insel mit einer Fleute treffen wollte, der „Anneke Bouts“? Der Seewolf zögerte einen Moment, dann ließ er den Kieker sinken.
„Abfallen!“ befahl er. „Wir gehen etwas näher heran. Gei auf Blinde und Großsegel! Blacky – ab auf die Back, Tiefe loten!“
Unter Fock und Besan pirschte sich die „Isabella“ näher an die gefährlichen Untiefen heran.
Minuten später war das Bild der Verwüstung auf den Klippen deutlich zu erkennen. Und im Mondlicht konnten die Seewölfe sogar den Namenszug auf einem Teil des zerfetzten Bugs entziffern.
„Anneke Bouts“!
Die Fleute des Geusenkapitäns Willem Meerens. Hasard kniff die Augen zusammen, und neben ihm bestätigte Ben Brightons ruhige Stimme, was auch der Seewolf im selben Moment entdeckt hatte.
„Die sind nicht nur auf die Klippe gebrummt. Da muß hinterher noch jemand systematisch das Wrack in Fetzen geschossen haben.“
„Und hat vermutlich die Überlebenden gefangengenommen“, sagte Hasard grimmig. „Trotzdem sollten wir nachsehen, ob sich noch jemand auf der Insel herumtreibt.“ Er straffte die Schultern und warf das Haar zurück. „Fier weg Fock und Besan! Klar bei Jolle! Fallen Anker!“
Fünf Minuten später schwoite die „Isabella“ um die Trosse.
Hasard ließ zusätzlich einen Heckanker ausbringen, damit Wind und Strömung das Schiff hier in der Nähe der Klippen nicht herumdrücken konnten. Schnell und exakt wurde das Beiboot abgefiert. Der Seewolf wandte sich Ben Brighton zu.
„Laß vorsichtshalber eine Bugdrehbasse bemannen. Aber keine übereilten Aktionen. Wenn es hier noch Überlebende gibt, kann man es ihnen nicht verübeln, wenn sie erst mal nervös reagieren.“
„Aye, aye, Sir.“
„Dann los! Sten, Matt, Carberry, Blacky und Smoky!“
Die Angesprochenen enterten über die Jakobsleiter ab. Hasard folgte ihnen und schwang sich auf die Ducht der kleinen Jolle. Neben ihm schob Matt Davies die stählerne Hakenprothese um den Riemen, die ihm die rechte Hand ersetzte. Und sie ersetzte sie ihm sehr gut: Es gab keine seemännische Arbeit, die Matt mit dieser Prothese nicht bewältigen konnte, und vor einem Kampf pflegte er mit Liebe und Sorgfalt den Stahlhaken zu schleifen, bis er zu einer wahrhaft mörderischen Waffe wurde.
Das Wasser plätscherte.
Zu Carberrys gedämpftem „Hol weg!“ legten sich die Männer in die Riemen, im Bug kauerte der blonde Schwede Stenmark und lotete, damit sich die Jolle nicht an einem Felsen den Bauch aufschlitzte. Die Klippen rückten näher. Überall lagen Trümmer verstreut. In der Mulde zwischen zwei mächtigen rundgewaschenen Blöcken entdeckte Hasard die Reste verkohlten Treibholzes, über denen die Luft leicht flimmerte.
Vor nicht allzu langer Zeit hatte dort noch ein Feuer gebrannt.
Also gab es Überlebende. Jetzt waren sie in volle Deckung gegangen – kein Wunder nach dem, was ihnen geschehen war. Vorbeisegelnde Galeonen mußten das Wrack und die Klippen mit einem mörderischen Feuerhagel eingedeckt haben. Hasard fragte sich, warum die Spanier nicht versucht hatten, die überlebenden Geusen gefangenzunehmen, doch er kam nicht dazu, lange darüber nachzudenken.
Jäh sah er eine Bewegung zwischen den Klippen.
Grelle Feuerblumen flammten in der Dunkelheit auf, und im nächsten Moment zitterte die Luft vom Krachen der Musketen und Arkebusen.
Drei weitere Galeonen waren zu der „Ysobel“ und der „Princesa Anna“ gestoßen.
Die „Maria de Navarra“ hatte die Führung übernommen. Capitan Juan Mendez stand an der Schmuckbalustrade des Achterkastells, hatte das Spektiv an die Augen gehoben und spähte nach Norden.
„Caramba!“ knirschte er. „Das ist nicht die ‚Oranje‘, zum Teufel!“
„Wieso nicht, Capitan?“ fragte der muskulöse, im Denken etwas schwerfällige Steuermann.
„Die ‚Oranje‘ ist ein Viermaster. Die da vorn führen nur drei Masten.“
„Caramba!“ schloß sich der Steuermann der Meinung seines Kapitäns