Seewölfe Paket 8. Roy Palmer
Von zwei Seiten flogen Enterhaken.
Die Kuhl, die die Geusen im ersten Ansturm fast leergefegt hatten, wurde überrannt. Schreie gellten, Männer brachen zusammen.
Marius van Helder schlug verbissen um sich und stürzte sich ins dickste Getümmel. Er wollte nicht lebend in die Hände seiner Gegner fallen, aber er hätte sich schon in seinen eigenen Degen stürzen müssen, da die Spanier ihn unter allen Umständen lebend haben wollten.
Das Ende kam, als er einen riesigen Krummsäbel mit der Parierstange des Degens abfing und gleichzeitig von einer Spake getroffen wurde, die ihm das Handgelenk brach.
Er taumelte.
Urgewalten rissen ihm den Degen aus den Fingern, er fiel vornüber. Ein wilder Aufschrei entrang sich seiner Kehle, als die gebrochene Hand unter seinem eigenen Körper begraben wurde, und für einen Augenblick hüllte der Schmerz ihn ein wie eine feurige Lohe.
Dann fühlte er nur noch einen harten Schlag an der Schläfe, und sein Bewußtsein versank in einem Strudel wohltuender, empfindungsloser Schwärze.
Die „Isabella“ erschien zu spät.
Längst war der Kanonendonner verstummt, bevor sie auch nur eine Mastspitze von den kämpfenden Schiffen sichteten. Als sie den Schauplatz des Gefechts erreichten, trieben nur noch ein paar Trümmer in der grauen Dünung des Atlantik.
Friso Eyck und seine Mannen standen mit versteinerten Gesichtern am Schanzkleid und starrten über das Wasser.
Hasard konnte sich vorstellen, wie ihnen zumute war. Der Crew ging es genauso, selbst die sonst immer munteren Zwillinge spürten die lastende Stille und drängten sich unbehaglich aneinander. Die „Oranje“ war in die Tiefe gefahren, daran gab es keinen Zweifel. Aber der Gefechtslärm hatte den Seewölfen verraten, daß sie sich lange und zäh zur Wehr gesetzt hatte. Zwischen den anderen Trümmern tanzte ein großes hölzernes Kreuz auf den Wellen – Zeichen dafür, daß die spanischen Galeonen zumindest nicht heil aus dem Kampf hervorgegangen waren.
Friso Eyck fuhr sich mit der Hand über die Augen.
Ruckartig wandte er sich ab – und im selben Moment klang Bills helle Stimme aus dem Großmars.
„Deck! Verwundeter Mann querab Steuerbord!“
Mit drei Schritten stand Hasard am Schanzkleid des Achterkastells.
Sein Blick suchte die graue, bewegte Wasserfläche ab, dann entdeckte auch er den blondhaarigen Mann, der jetzt mit einer matten Bewegung zu ihnen herüberwinkte. Er hatte sich auf ein zerfetztes Querschott gezogen. Blut lief von der Schulter her an seinem Arm herunter, ein Schnitt klaffte an seiner Stirn. Aber die Verletzungen konnten nicht allzu schwer sein, denn er brachte es noch fertig, sich auf dem schwankenden Schott hochzustemmen und den gesunden Arm zu schwenken.
„Es ist Henk!“ schrie einer der Geusen. „Henk Bakker!“
„Klar bei Jolle!“ befahl Hasard knapp. „Backbrassen, die Fahrt aus dem Schiff!“
Das Boot wurde ausgeschwenkt und abgefiert. Hasard wollte nicht riskieren, den Mann über die Jakobsleiter aufzunehmen: Er war verletzt, und in der Dünung konnte es nur zu leicht passieren, daß er sich den Kopf an der Bordwand einschlug. Friso Eyck enterte selbst ab, zusammen mit Stenmark und dem rothaarigen Ferris Tucker, und Minuten später hatten sie den Verletzten geborgen.
Der hünenhafte Schiffszimmermann grinste matt, als er den Mann an Deck hievte. Der Holländer war zusammengebrochen und hatte das Bewußtsein verloren: die unausweichliche Reaktion auf alles, was hinter ihm lag. Aber er kam rasch wieder zu sich, stemmte sich taumelnd hoch und starrte aus flakkernden Augen die Männer an, die ihn umstanden.
An dem flachshaarigen Steuermann der „Anneke Bouts“ blieb sein Blick hängen.
„Friso?“ murmelte er. „Friso Eyck?“
„Ja, Henk. Wir sind unter Freunden, Engländern. Dies ist das Schiff Philip Hasard Killigrews, des Seewolfs.“
„Aber – eure ‚Anneke‘ – Meerens …“
„Kapitän Meerens ist tot. Wir liefen im Sturm auf ein Riff, und die Engländer halfen uns. Was ist geschehen, Henk? Was ist mit van Helder?“
Einen Moment schien der Blick des Verwundeten durch alles hindurchzugehen. Seine Lippen zuckten, die Kiefermuskeln traten wie Stränge hervor.
„Fünf spanische Galeonen“, stieß er hervor. „Und wir hatten im Sturm den Besanmast verloren. Einen der Dons konnten wir auf Tiefe schicken, und die anderen wissen jetzt auch, wer die Meergeusen sind.“ Er biß die Zähne zusammen und sog scharf die Luft ein. „Es waren zu viele. Die ‚Oranje‘ sank. Einen der Spanier haben wir noch geentert. Ich schwöre dir, Friso, da sind die Fetzen geflogen. Marius hat allein sechs oder sieben von den Kerlen niedergeschlagen, bevor er gefangengenommen wurde.“
„Er ist gefangen? Er lebt?“ Scharf und atemlos stieß der blonde Steuermann die Frage hervor, und in seine Augen trat jäh ein Hoffnungsschimmer.
„Ja, er lebt, das weiß ich genau. Er und sechs oder sieben andere. Ich war ein Stück ins Steuerbordhauptwant geklettert, um da einen Don herunterzuholen, der Marius von oben in den Nacken springen wollte, aber Marius nutzte es nichts mehr. Die letzten von uns gingen mit fliegenden Fahnen unter. Ich war als einziger noch bei Bewußtsein, und sie hatten mich nicht bemerkt. Da bin ich außenbords gesprungen …“
Er verstummte abrupt.
Ein langes Schweigen folgte seinen Worten. Friso Eyck hatte die Hände geballt, und in seinen blauen Augen brannte ein wildes Feuer.
„Wir holen ihn heraus“, flüsterte er. „Wir werden Marius van Helder befreien. Jan Joerdans ist noch da. Wir haben noch die ‚Hoek van Holland‘ …“
„Und wie willst du sie erreichen? Schwimmend?“
„Auf dem abgerissenen Schott, wenn es sein muß! Ich schwöre dir …“
„Ich schlage vor, daß Sie die Planken der ‚Isabella‘ vorziehen“, sagte Hasard trocken. „Die ist nämlich schneller als das Schott. Und viel Zeit wird Ihnen nicht bleiben.“
Friso Eyck wandte sich um. Seine hellen Augen brannten.
„Das – wollen Sie wirklich für uns tun?“ fragte er leise.
„Ja“, sagte Hasard nur. „Wir schulden den Geusen etwas.“
Dabei wanderte sein Blick nach Süden, wo er weit hinter der Kimm die spanische Küste wußte.
In ein paar Stunden konnten sie die Insel erreichen, wo Jan Joerdans mit der „Hoek van Holland“ wartete. Aber der Seewolf ahnte bereits, daß die Sache damit noch nicht vorbei sein würde.
Feuer flackerten auf der unübersichtlichen, wild zerklüfteten Hochfläche in den Kantabrischen Bergen.
Zikaden schrillten, Wind strich durch das niedrige Gestrüpp und die Kronen der Korkeichen. In einer Mulde zwischen den Felsen drängte sich ein Dutzend Zelte, und in einiger Entfernung waren die raschelnden Schritte von Wachtposten zu hören, die sich ablösten.
Hier in seinem versteckten, unzugänglichen Felsennest fühlte sich El Vasco völlig sicher.
Der baskische Rebellenführer kauerte am Feuer, hob ab und zu den Weinschlauch und ließ einen dünnen Strahl der roten, funkelnden Flüssigkeit in seine Kehle rinnen. Neben ihm hockte ein graubärtiger alter Mann auf den Fersen, dessen Gesicht wie aus dunkler Baumrinde geschnitzt wirkte. Ein junger Bursche zupfte gedankenverloren an den Saiten einer baskischen Soinua, doch das war eher Ausdruck nervöser Spannung und bestimmt nicht der Fröhlichkeit.
„Ein guter Plan“, sagte der Alte in seinem Eskuara-Dialekt. „Aber ein Plan voller Verrat. Machst du nicht deine Feinde stark, El Vasco?“
Das Saiteninstrument gab einen schrillen Ton von sich. Der Junge hob ruckartig den Kopf.
„Was scheren uns die Geusen?