Operation Terra 2.0. Andrea Ross
lieben Sauberkeit und Ordnung über alles. Es leben viele Ausländer dort. Allerdings mögen sie Juden nicht so gerne. Ist aber nicht tragisch, denn ihr werdet ja als traumatisierte Syrer einreisen«, grinste Levi hintergründig.
»Wisst ihr was? Ich bringe morgen mal meinen Rechner mit. Dann können wir ein paar Fotos von Deutschland angucken und das Jobportal nach schlecht bezahlten Hilfsarbeiten durchforsten. Vergiss gleich den Raketenwissenschaftler, aber vielleicht kannst du dich auf dem Bau verdingen. Zimmermann … da sollte was gehen. Für deine Alte sieht es schlechter aus. Eine Lehrerin ohne Papiere stellt garantiert niemand ein.
Außerdem nehme ich mit einem Bekannten Kontakt auf, der seinerseits jemand Bestimmten kennt – wegen den Ausweisen. Was hältst du vom Familiennamen Goldberg? Eure Vornamen sollten wir übrigens auch ändern, die sind zu auffällig.«
»Dann würde ich gerne Maria heißen«, verkündete Kalmes.
»Gerafft. Und du?«
»Jes … äh … Joshua.«
»Geht klar. Aber es gibt nichts ohne Gegenleistung. Sobald du in Lohn und Arbeit stehst, will ich Kohle sehen. Der Preis richtet sich nach dem Aufwand, den ich mit euch haben werde. Ihr haut mir nicht nach Syrien ab, bis die Schulden vollständig bezahlt sind. Habe ich dein Wort?«
»Einverstanden«, nickte Solaras und drückte Levis Hand.
»Nur eine Frage hätte ich noch. Wo finde ich einen mildtätigen Heilkundigen, der ohne Bezahlung arbeitet oder mir die Kosten einer Behandlung zumindest stundet?« Er deutete vielsagend auf Kalmes‘ Bein.
»Vergiss es! Ihr habt vorläufig keine Krankenversicherung und keine Kreditkarte, da ist nichts drin mit Arzt oder Krankenhaus. Umsonst ist nur der Tod. Ich besorge eine Salbe, vielleicht hilft ihr die ein bisschen. Bis morgen dann, wir bringen wieder Essen mit. Das setze ich selbstverständlich alles auf die Rechnung. Falsche Bescheidenheit ist weniger mein Ding.«
Die Freunde rappelten sich auf, trollten sich palavernd.
In dieser Nacht schüttete es wie aus Eimern. Frierend klammerte sich Kalmes an ihren Gefährten, ihre Zähne klapperten. Sie standen unter dem zugigen Dach einer Bushaltestelle.
»Die Menschen haben kein Herz mehr. Meine Mutter hat damals wenigstens Unterschlupf in einem Stall gefunden, als ich vor zweitausend Jahren auf Terra wiedergeboren wurde. Und heute? Alles abgesperrt und verrammelt. Soweit jemand um diese Zeit auf der Straße ist, sucht er bloß nach einem flüchtigen Vergnügen und interessiert sich nicht für die Not seiner Mitmenschen«, klagte Solaras.
*
Levi hatte es tags darauf satt, mit den beiden mutmaßlichen Outlaws am regenfeuchten Strand zu hocken. Ein kühler Wind blies vom Meer her, ließ alle vier frösteln.
So schlug er vor, sich in eine nahe Imbissbude zu setzen.
»Ich habe in den letzten Tagen ein paar nicht ganz legale, aber gute Geschäfte gemacht. Eure Burger gehen ausnahmsweise auf mich«, meinte der MöchtegernRastafari augenzwinkernd.
»Burger … auf dich … was bedeutet das bitte?«, fragte Solaras verunsichert.
»Was zum Beißen, Mensch! Kostenloses Essen. Eines sag ich dir. Sobald wir bestellt haben, bist du mir ein paar Erklärungen schuldig. Wenn wir das Ding mit den Ausweisen zusammen durchziehen wollen, müssen wir uns gegenseitig vertrauen können. Ihr wisst dann einiges über mich und meine Kontaktleute, dafür sagt ihr mir klipp und klar, wer ihr seid und woher ihr kommt. Nazareth … klar, der Dialekt würde passen. Aber euer Gehabe nicht. Also, abgemacht?«
Solaras zögerte, sah zu Kalmes hinüber. Die wirkte blass, ihre Gesichtszüge verhärmt. Aus ihren Augen sprach Angst.
»Na schön«, wisperte sie. »Wir haben ja keine andere Wahl.«
Der langhaarige Tiberianer straffte seinen Rücken, atmete tief durch. »Na gut. Vertrauen gegen Vertrauen, ein fairer Handel. Hoffentlich verkraftet ihr die Wahrheit.«
»Alter … hast du eine Ahnung, wen du hier vor dir hast«, lachte Aaron und zog eine Riesentube Heparinsalbe aus seiner Jackentasche. Er reichte sie Kalmes über den Tisch. »Morgens und abends einreiben, das Bein so ruhig wie möglich halten, wenn möglich viel hochlegen. Habe ich aus der Hausapotheke meiner Mutter geklaut.«
»Du hast sie für mich gestohlen? Aber das …!«
Solaras fiel ihr ins Wort. »Sei froh, dass er dir hilft, Kalmes. Außerdem darf ich dich daran erinnern, dass auch wir im Begriff stehen, illegale Dinge zu tun – und denke an diejenigen, welche wir bereits getan haben. Den … das Gerät unter dem Sand bei Jad Mordechai eingeschlossen.«
Kalmes blieb still, nickte nur beschämt. Die bestellten Hamburger und eine Runde Cola light wurden geliefert. Herzhaft bissen die ausgehungerten Flüchtlinge in erstere hinein.
Levi spitzte die Ohren. »Oh, nun wird es interessant! Also woher kommt ihr und wer seid ihr?«
Solaras deutete mit tragikomischem Blick gen Himmel. »Wir kommen von einem fernen, bewohnten Planeten namens Tiberia, und der ist ungefähr zweitausenddreihundert Lichtjahre von hier entfernt. Unsere Leute führen gerade auf dem Mars eine Mission durch. Wir konnten uns mit einem Raumgleiter hierher absetzen. Die Flucht wurde notwendig, weil wir in unserer Heimat nicht zusammen leben durften und sich dort derzeit alles zum Schlechteren hin verändert. Vor langer Zeit haben wir beide Terra, oder die Erde, wie ihr sie nennt, schon einmal besucht. Deswegen beherrschen wir eure Sprache. Das ist die Kurzform einer langen, bewegten Geschichte«, schloss Solaras seinen kleinen Vortrag.
Aaron und Levi saßen mit offen stehenden Mündern am Tisch. Sie hatten glatt das Weiteressen versäumt. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Aaron schallend loslachte und Levi stinksauer dreinblickte.
»Verarschen kann ich mich alleine! Du willst aus der Sache also ein großes Geheimnis machen, ja? Na schön, ganz wie du willst. Dann wird meine Hilfe aber teurer. Für Freunde hätte ich einen Superpreis gemacht«, stieß er mit einem harten Unterton in der Stimme hervor. Sein Blick flackerte unstet.
»Aber ich kann es dir beweisen! Unser Raumgleiter ist südlich von hier versteckt. Ich müsste vor unserer späteren Weiterreise sowieso nochmals dorthin, um einen wichtigen Gegenstand zu holen. Und ja, der stammt von meinem Heimatplaneten. Es handelt sich um ein Gerät, mit dem man holographische Bilder erzeugen kann. Wir sollten dieselbe Buslinie nach Jad Mordechai nehmen, mit der wir vor ein paar Tagen hierhergekommen sind. Im Schutze der Nacht können wir uns gemeinsam zum Raumgleiter aufmachen.«
Levi saß immer noch mit verschränkten Armen da, glaubte kein Wort. Aarons Augen jedoch weiteten sich, hingen aufmerksam an Solaras‘ Lippen.
»He, lass uns einfach mit denen hinfahren. Was haben wir schon zu verlieren? Falls der Typ die Wahrheit sagt, wäre das die Sensation. Ach komm schon …!«
Levi knabberte lustlos an seinem kalten Hamburger und grübelte. Er hatte sich darauf eingestellt gehabt, eine grausige Geschichte über Drogenschmuggel, Mord und Totschlag zu hören. Vielleicht, dass sich die seltsamen Fremden wegen einer schweren Straftat lange in den Bergen versteckt gehalten hätten. Aber so etwas Krankes, Abgedrehtes?
»In Ordnung. Gleich am kommenden Wochenende. Aber wehe dir, wenn du irgendwas Blödes im Schilde führen solltest. Ich trage immer ein Messer und nur wenig Geld bei mir, das solltest du bedenken. Die Busfahrten gehen übrigens komplett auf deine Rechnung«, knurrte er skeptisch.
An diesem Abend lotste Levi Solaras und Kalmes noch zu einem Fotoautomaten, um Passbilder anzufertigen. Dann saßen die beiden wieder frierend an ihrem Strandabschnitt, zum Schutz vor Nässe auf je einem Plastikbeutel. Zum Glück besaßen sie inzwischen wenigstens eine löchrige mausgraue Wolldecke, die Kalmes am Nachmittag aus dem Müllcontainer einer Wohnanlage gezogen hatte. Sie stank bestialisch, aber sie wärmte.
*
Der Linienbus aus Tel Aviv bog am frühen Nachmittag auf den Busparkplatz vor dem Restaurant Nefilim ein.
Es