Operation Terra 2.0. Andrea Ross
tief in Deckung. Sie wollten keinesfalls riskieren, von einem der Dorfbewohner erkannt zu werden. Ihre Rückkehr mit den beiden Jungs im Schlepptau hätte Fragen aufgeworfen, auf die ihnen eine plausible Antwort fehlte.
Von hier aus waren es noch rund drei Kilometer Fußmarsch in östlicher Richtung, bis man zu der Bodensenke auf der kleinen Brachfläche gelangte, in der sie den Raumgleiter vor neugierigen Blicken verborgen hatten.
»Wir müssen warten, bis es dunkel wird. Nach Jad Mordechai können wir nicht, dort kennt man uns. Wie wäre es, wenn wir hier im Restaurant warten würden?«, fragte Solaras in die Runde. Levi trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. Er verspürte keine Lust, schon wieder die Zeche für alle zu bezahlen, doch wie hätten sie sonst die Zeit totschlagen sollen? Murrend willigte er ein.
Einer nach dem anderen betraten sie den Gastraum, der ein wenig düster wirkte. Das lag einerseits an der Tatsache, dass wegen der geschlossenen Bauweise nur sehr wenig Tageslicht hereinströmte, andererseits war der Raum mit dunklen, kunstlederbezogenen Stühlen und passenden Tischen ausgestattet. Die in mattem Maisgelb getünchten Wände zierte eine Unmenge an gerahmten Fotografien. Ein Fernseher, befestigt mittels Wandhalterung, plärrte die neuesten Nachrichten. Unter den dunkelbraunen Balken hing ein blutrot lackierter Luftabzug von der Decke, der das Ambiente zusätzlich verunstaltete.
Um diese Uhrzeit saßen nur wenige Gäste im Lokal. Ein verliebtes Touristenpärchen und drei Einheimische, die sich an der Bar Zeitungen vor die Gesichter hielten. Die Neuankömmlinge wählten einen schummrigen Ecktisch.
»Dein Ausweis ist in Arbeit. Du wirst ihn aber selbst abholen müssen, weil ich damit nicht in Verbindung gebracht werden möchte. Ich gebe dir was Bestimmtes für den Fälscher mit, das du ihm zur Entlohnung überlässt. Den Gegenwert musst du mir, wie vereinbart, später erstatten.«
»Geht es denn hier auf Terra immer nur ums Geld?«, fragte Solaras angewidert.
Die beiden Jungs nickten bestätigend. Dann fragten sie ihm über seine angebliche Heimat auf Tiberia die sprichwörtlichen Löcher in den Bauch. Solaras beantwortete bereitwillig sämtliche Fragen, sparte jedoch vorsorglich die Information über sein früheres Wirken als Jesus von Nazareth aus. Das wäre eindeutig zu viel des Guten gewesen.
»Alter … der Stoff ergäbe ein rasantes SciFiMovie! Steven Spielberg würde sich die Finger danach lecken«, stöhnte Aaron fasziniert.
»Ein was? Und wer ist dieser Spielberg?«, hakte Solaras nach.
»Tja, entweder kommst du tatsächlich aus der Zukunft und aus dem Weltall, oder du lügst uns mit einer Wahnsinnsfantasie die Hucke voll. Bin schon echt auf nachher gespannt. Du wirst uns doch hoffentlich nicht enttäuschen?«
»Keineswegs.«
Sie aßen schweigend von einer traditionellen Spezialitätenplatte, die sie sich teilten. Anschließend erzählten Aaron und Levi ein paar Schwänke aus ihrem jungen Leben, ließen aber ebenfalls das Eine oder Andere aus der Biografie weg. Aaron zählte achtzehn, Levi fast dreiundzwanzig Jahre.
Die sinkende Sonne im Rücken, machten sie sich am späten Nachmittag bei angenehmen 18 Grad Lufttemperatur auf den Weg zum Ziel ihres Ausflugs. Mehrmals mussten Kalmes und Solaras zum Ärger ihrer Begleiter unterwegs stehen bleibenund nach einprägsamen Landmarken suchen, um den Gleiter wiederzufinden. In der Dämmerung gestaltete sich das schwierig.
»Hier, das ist die Stelle«, vermeldete Kalmes schließlich und bat die jungen Männer, nach möglichen Passanten Ausschau zu halten. Dann machten sie und Solaras sich geschäftig daran, eine Ecke des Gleiterparkplatzes von Pflanzen, Erdreich und Tarnnetz zu befreien. Schließlich öffnete sich zischend die Einstiegsluke des Fluggeräts.
»Kommt her, ihr könnt einen kurzen Blick ins Innere werfen. Hinterher schnappe ich mir den Holographen und wir müssen alles wieder sorgfältig vor neugierigen Blicken verbergen. Wer möchte zuerst?«, rief Solaras in die relative Dunkelheit. Das schwache Licht der Sterne verlieh dem unwirklich erscheinenden Szenario etwas Feierliches.
Zwei Stunden später saß die Gruppe keuchend im letzten Bus dieses Tages nach Tel Aviv, den sie gerade noch erwischt hatten. Niemand sprach, jeder hing seinen persönlichen Gedanken nach. Die beiden Jungs knabberten hart an der Tatsache, mit zwei leibhaftigen Außerirdischen in einem Omnibus zu sitzen.
Erst als Solaras und Kalmes wieder allein und vom Busbahnhof auf dem Weg zum Strand waren, schmiegte sich die Frau müde an die Schulter ihres geliebten Tiberianers.
»Hoffentlich haben wir da heute keinen riesengroßen Fehler gemacht. Ich traue den beiden nicht«, sagte sie leise.
»Uns blieb leider keine andere Möglichkeit, um in nächster Zeit überleben zu können, Kalmes. Ich bin mir nahezu sicher, dass die beiden Luftikusse wohl kaum auf Dauer den Mund halten werden. Daher müssen wir zusehen, dass wir so schnell wie möglich dieses ungastliche Land verlassen. Sobald ich Levi kein Geld mehr schulde, wird es aus und vorbei mit der Rücksicht sein. Er wird dann die Information über den Raumgleiter zu barer Münze machen wollen. So langsam erkenne ich die terrestrischen Strukturen«, antwortete er traurig.
»Warum können wir nicht einfach mit dem getarnten Raumgleiter nach Deutschland fliegen und ihn dort verstecken?«
»Weil man in dieses ferne Land nicht einfach einreisen darf. Man braucht Papiere von der Grenze, eine Registrierung, sagt Aaron. Wir müssen die Einwanderung von Beginn an auf legale Füße stellen.«
»Verstehe einer die Terraner.«
*
In der folgenden Woche übernachteten Kalmes und Solaras mehrfach auf dem Fußboden in Levis Zimmer, weil es draußen immer wieder Regenschauer gab. Auch an diesem Donnerstag im Dezember saßen sie im Schneidersitz auf dem abgetretenen Teppich. Levi machte die beiden Außerirdischen auf seinem Notebook mit der Errungenschaft namens Internet vertraut.
»Wir haben auf Tiberia ähnliche Systeme, auch wenn diese erheblich interaktiver und mit Gestensteuerung ausgestattet sind. Was ich aber hier überhaupt nicht verstehen kann: Wieso kommt bei euch jeder Benutzer wahllos an sämtliche Informationen und an ein Riesenangebot an total überflüssigen Inhalten heran?«
»Überflüssig? Was meinst du damit?«
»Na, du hast mir doch vorhin so eklige Sexseiten, Spiele und Unterhaltung gezeigt. Du weißt schon, das, wo man vor dem Bildschirm sitzt und sich stundenlang Szenen aus dem Leben fremder Leute ansieht. Das ist alles vollkommen sinnlos.«
»Du meinst Kinofilme? Das Glotzen macht einfach nur Spaß, okay? Genau wie PCGames. Mann, habt ihr auf eurem komischen Planeten denn niemals Freude, oder tut in eurer Freizeit etwas einfach zum Zeitvertreib?«
»Oh nein. Lebenszeit ist viel zu kostbar, als dass man sie auf solche Weise vergeuden würde. Wir erleben jeden Augenblick unseres Lebens intensiv. Soweit wir Computersysteme nutzen, geschieht das zum Zwecke des Informationsgewinns. Man gibt seine Kennung ein und kommt dadurch ausschließlich in Bereiche hinein, die der jeweiligen Sektion, also dem Arbeitsund Lebensbereich, und der Funktion des Benutzers innerhalb dieser Gemeinschaft gerecht werden. Niemand verbringt längere Zeit an jenen Geräten, und wozu sollte er das auch tun?«
Levi sah zu Aaron hinüber, der mit den Augen rollte.
»So. Bevor wir uns die Jobportale ansehen, bist du uns eine Vorführung deiner Technik schuldig.« Er zeigte auf den Stoffbeutel, der den Holographen beherbergte.
Solaras nickte, nestelte an der Schnur, die den Beutel verschloss. »Ist deine Zimmertür abgesperrt?«
»Ja. Nur keine Sorge, niemand bekommt dein abgefahrenes Alien-Zeugs zu sehen. Nun leg schon los!«
Der etwa vierzig Zentimeter hohe, anthrazitgraue Holograph in Form einer Schachtel mit Loch an der Oberseite stand auf einem kleinen Opiumtisch. Solaras drückte den rechten Daumen auf eine nicht näher gekennzeichnete Stelle am Gehäuse, und das Ding erwachte augenblicklich zum Leben. Ein Spinnennetz aus feinen Ritzen im Material wurde rundum sichtbar. Grünliches Licht drang aus ihnen nach draußen, wanderte flimmernd über die Wände