Operation Terra 2.0. Andrea Ross

Operation Terra 2.0 - Andrea Ross


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      Die sechs Astronauten der ESAAuroraMission verließen den Mars mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Natürlich, sie hatten großartige Entde

      ckungen gemacht, die ihnen auf der Erde Ruhm und Ehre auf Lebenszeit bescheren würden. Aber es hätte eben noch so viel mehr zu erforschen gegeben. Sie hatten lediglich an der toten Oberfläche eines faszinierenden Himmelskörpers gekratzt.

      Nach dem Fund der großen Versammlungshalle waren sie unter dem Sand auf einige erheblich kleinere, fast vollständig verfallene Bauwerke in der weiteren Umgebung gestoßen, die sie jedoch wegen des nahen Strahlungslecks nicht näher untersuchen konnten. Es wäre auch zwecklos gewesen, denn außer den Grundmauern gab es dort offenbar nichts mehr zu sehen.

      Thomas Maier war untröstlich. Seine Träume, eine unterirdische Stadt in den Lavaröhren zu finden, hatten sich nicht erfüllt. Das Areal um den Olympus Mons war einfach viel zu weitläufig. Die Wahrscheinlichkeit, zufällig auf den Eingang zu einer weiteren Lavaröhre zu stoßen, entsprach in etwa der eines Lottosechsers. Der oxidrote Sand lagerte sich in Dünen überall ab, verbarg alles unter seinem Mantel.

      »Mach dir nichts draus«, beruhigte ihn Sheila. »Wir hatten unseren Triumph. Spätestens 2038 sind die Russen und Amerikaner so weit, dass sie die erste bemannte Mission losschicken können. Beide Nationen arbeiten mit Hochdruck daran. Und die werden finanziell erheblich besser ausgestattet sein, können da oben also mehr bewegen. Wirst sehen, die finden deine unterirdische Stadt.«

      Maier brummte unwirsch in seinen Bart. »Ja, kann sein – und fahren dafür die Lorbeeren ein!«

      »Na und? Wir waren die Ersten auf dem Mars, jedenfalls nach dieser geheimnisvollen Zivilisation. Das kann uns niemand mehr nehmen«, meinte Sheila pragmatisch. »Und jetzt sollten wir uns besser mit vereinten Kräften darauf konzentrieren, dass unsere Jungs heil nach Hause finden.«

      Während dieses Gespräch noch in vollem Gange war, setzte sich auf dem Mars bereits ein Trupp tiberianischer Arbeiter in Bewegung, um die Flagge der Europäischen Union zu beseitigen und zu zerstören.

      Die gefeierte Crew der AuroraMarsmission sollte die Erde indes niemals wiedersehen. Ein kleines, scharfkantiges Stück Weltraumschrott beschädigte die Hitzeschilde der Raumkapsel schwer. Sie verglühte deswegen beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre mitsamt ihren Insassen.

      Die wertvollen Artefakte vom Mars gingen damit unwiederbringlich verloren.

       Terra, 23. August 2017 nach Christus, Mittwoch

      

      Nach mehr als acht Monaten der absoluten Sparsamkeit hatten die Tiberianer ihre Schulden bei Levi endlich los. Sie hatten sich ein Dreivierteljahr fast ausschließlich von trockenem Brot, Zitrusfrüchten und Wasser ernährt, in ihrem bescheidenen Zimmer nur marginal Strom verbraucht. Neben monatlichen Raten hatte der äußerst geschäftstüchtige junge Israeli noch so manchen Gefallen eingefordert. Meist hatten die Tiberianer kleine Päckchen von A nach B transportieren und bei zwielichtigen Gestalten abgeben müssen. Was sich Geheimnisvolles darin befunden hatte, wollte Solaras lieber gar nicht erst wissen.

      Dafür war ihnen Aarons altes Notebook leihweise zur Verfügung gestellt worden. Es reichte aus, um das Internet nach Details über Deutschland und seine Flüchtlingspolitik, über die Küstenregion Libyens, Griechenland und die Balkanroute zu durchforsten. Denn dies war der Weg, auf dem sie semilegal nach Nordeuropa zu reisen gedachten. Solaras wollte eine Bootsfahrt über das Mittelmeer zur Insel Kreta riskieren. Zu groß dünkte ihm die Gefahr, dass die Türkei sie an der Grenze zurückweisen könnte. Sie benötigten zwingend europäische Registrierungspapiere.

      Es war ratsam, etwas Arabisch zu lernen und sich genauestens über die vom Islamischen Möchtegernstaat kontrollierten Gebiete und ihre kulturellen Besonderheiten zu informieren. Levi hatte Solaras vorgewarnt, dass er den skeptischen Deutschen eine glaubhafte Geschichte auftischen müsse, um als Kriegsflüchtling anerkannt zu werden. Kalmes solle bei der Ankunft in Griechenland besser ein Kopftuch tragen und sich devoter als sonst verhalten, hatte Aaron gemeint. Außerdem müsse man sich klangvolle arabische Namen ausdenken und die lückenlose Geschichte der Flucht aus Syrien ersinnen.

      Das bedeutete für die syrischen Flüchtlinge in spe, jeden Tag nach Feierabend zu büffeln und sich gegenseitig abzufragen, auch wenn das wegen der hohen Beanspruchung durch die Knochenjobs manchmal extrem schwer fiel. Inzwischen war dank effektiver tiberianischer Lernmethoden ein veritabler Wissensstand erreicht, der durchaus Anlass zur Hoffnung gab. Noch in der Nacht sollte es losgehen.

      »Ich denke, wir dürfen Levi und Aaron keinesfalls Bescheid sagen, bevor wir den Gleiter holen und nach Libyen fliegen, auch wenn das undankbar erscheinen mag. Ich möchte beim Start lieber keine terrestrischen Zeugen dabei haben. Wir sind den beiden keinen Schekel mehr schuldig«, sinnierte Solaras.

      Kalmes nickte. »Stimmt. Wer weiß, wen die sonst anschleppen würden. Aber ich hätte noch eine Bitte. Könnten wir einen Abstecher nach Nazareth machen? Ich möchte zu gern wissen, wie es dort heute aussieht. Wir bleiben einen Tag und fliegen in der folgenden Nacht weiter.«

      »Geht klar. Es ist auch mein Wunsch, meine alte Wirkungsstätte noch einmal zu besuchen. Und dann bauen wir uns in Deutschland ein neues Leben auf. Hier in Israel hätten wir ja doch keine Chance, jemals wieder in unseren alten Berufen zu arbeiten. Außerdem müssen wir unsere beängstigende Aufzeichnung den richtigen Leuten vorspielen«, lachte Solaras.

      Gegen Mitternacht war der Raumgleiter von Tarnnetz und Erdreich befreit. Außer einer Garnitur Kleidung zum Wechseln, etwas Proviant und Wasser konnte das Paar nichts mitnehmen. Kalmes und Solaras hatten ja wieder mit dem Bus nach Jad Mordechai fahren und die Sachen bis zum Gleiter tragen müssen. Ein Schlauchboot mit Außenbordmotor wollten sie sich erst in der libyschen Küstenstadt Darna besorgen, unmittelbar vor der Überfahrt.

      Die Impulstriebwerke fuhren sirrend hoch. Nahezu lautlos schwebte der Gleiter über das Jordanland hinweg, bis der See Genezareth in Sicht kam. Tausende Lichter spiegelten sich auf dem Wasser.

      »Ich gehe davon aus, dass diese Gegend nun auch viel stärker bewohnt ist als früher. Schau nur hin, überall Siedlungen. Wenn du mich fragst, sollten wir besser gleich weiterfliegen, ohne hier zu landen. Würde man den Gleiter entdecken, wäre unsere Reise vorzeitig zu Ende. Die israelischen Pässe könnten nach unserer Enttarnung als Nicht-Terraner auch nichts mehr verbessern«, sagte Solaras betroffen.

      Kalmes kämpfte einen Moment mit sich, signalisierte dann jedoch ihr Einverständnis. Es stimmte ja. Rund um Nazareth waren keinerlei größeren Flächen zu sehen, die frei von Bebauung waren und eben genug für einen Landung gewesen wären. Weiter weg aufzusetzen hätte nichts gebracht. Längere Fußmärsche nach Nazareth verboten sich von selbst. Die Flucht nach Europa würde noch anstrengend genug werden.

      »Früher lebte man hier angenehmer, hatte mehr Freiraum. Warum machen es sich die Menschen eigentlich heutzutage dermaßen schwer? Hocken frustriert auf engstem Raum aufeinander, ersinnen starre Regelungen und klammern sich ans Geld, überall werden Grenzen hochgezogen … Terra ist nicht mehr das, was es einmal war«, klagte sie wehmütig.

      *

      Die Strecke nach Libyen war innerhalb von zwanzig Minuten zurückgelegt. Zu Solaras‘ Freude gab es in der Nähe der Küste jede Menge wüste, leere Flächen,

      die zur Landung geeignet schienen. So war es hier tatsächlich ein Leichtes, den Gleiter im Wüstensand neben einem Wadi zu verbergen. Er baute das Navigationsgerät samt Energiezelle aus dem Cockpit aus, damit sie sich später auf dem Meer halbwegs nach Himmelsrichtungen orientieren konnten.

      Er klemmte sich das Gerät und den Holographen unter den Arm und Kalmes zog sich ein Kopftuch über, dann machten sie sich auf den staubtrockenen Weg nach Darna. Im Taxi ließen sie sich zu einem Basar nahe der Küstenstraße fahren, der bei Ausländern als Vegetable Market bekannt war. Neben Obst und Gemüse gab es dort Waren aller Art, und Solaras hoffte darauf, dass man ihm zumindest eine Adresse nennen würde, wo man


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