Operation Terra 2.0. Andrea Ross
will uns veräppeln! Das hätte ich mir eigentlich denken können. Komm, lass uns abhauen«, schimpfte der Kleinere und wandte sich zum Gehen.
Solaras steckte die Energiezelle wieder ein und hielt seinen Daumen auf ein kleines schwarzes Feld am Gerät. Ein leises Zischen ertönte, und sogleich erschien ein gestochen scharfes 3DHologramm über der halbrunden Kuppel. Es zeigte eine animierte Landkarte. Darauf waren deutlich Piräus und seine Umgebung zu erkennen. Man sah sogar klitzekleine Menschen auf den Straßen flanieren. Türkisfarbene Zahlenreihen und ein Pfeil erschienen über dem Bild eingeblendet.
»Was zum Teufel …!« Dem Widerling blieben weitere Worte im Hals stecken.
»Dieses Gerät benötigt im Grunde keine Software, sondern scannt und speichert selbsttätig die Daten der Umgebung, in der es sich gerade befindet. Man könnte sagen, es lernt. Der Pfeil zeigt momentan Richtung Kreta, weil dies der letzte Punkt war, den ich eingegeben hatte. Du kannst aber jedes beliebige Ziel ansteuern, dir jeden beliebigen Ort Terras … äh, der Erde in derselben brillanten Bildqualität liefern lassen. Sag, hast du ein Mobiltelefon einstecken?«
»Ja, warum?«
»Gib es mir kurz. Dann siehst du gleich, was die Energiezelle kann.«
Das Smartphone zeigte einen Ladezustand von 44 Prozent an. Solaras nahm es, hielt es für eine Sekunde in die Nähe der Energiezelle. Augenblicklich war es zu hundert Prozent vollgeladen.
»Wow! Das revolutioniert glatt den gesamten Handymarkt. Die Hersteller in Fernost würden sich die Finger nach dieser Technik lecken«, hyperventilierte der Schlepper.
»So ist es. Und diese beiden Schätze würde ich euch überlassen, wenn ihr uns nach Deutschland bringt. Ihr könnt das Gerät bereits auf der Fahrt ausgiebig testen und hinterher auf eure Namen ein Patent anmelden, oder wie man das nennt.«
»Und das Zeug ist echt bislang noch nicht bekannt und im Umlauf?«, fragte der kleinere Typ argwöhnisch. »Das mit der außerirdischen Herkunft nehme ich dir jedenfalls nicht ab. Du bist einfach nur ein Entwickler, der diesen Prototypen in seiner Firma geklaut hat, garantiert!«
»Wenn es etwas Vergleichbares bereits gäbe, hätte man in den Nachrichten davon gehört. Und, hast du das? Natürlich nicht. Glaube was du willst – aber dieses Gerät wird dir deine Zukunft vergolden«, erwiderte der Tiberianer hartnäckig.
»Übergabe bei Abfahrt, die übrigens innerhalb einiger Tage erfolgen muss. Ergreift die Chance, sonst frage ich Konkurrenten. Ihr seid sicher nicht die Einzigen, die Schleuserdienste anbieten«, verfügte Solaras selbstbewusst.
Der Deal kam nach einer kurzen Beratung zustande. Gierig schielten die Fluchthelfer auf den fremdartigen Gegenstand, den der angeblich außerirdische Syrer behutsam wieder in den Stoffbeutel zurück schob.
›Und wieder haben wir Tiberianer ins Weltgeschehen eingegriffen und den terrestrischen Menschen technische Entwicklungshilfe geleistet. Mal sehen, wie lange es dauern wird, bis derartige Navigationsgeräte nebst Energiezellen hier auf den Markt kommen‹, dachte Solaras betrübt.
*
Wie ein lebloses Packstück wurde Kalmes mit ihrem Gefährten auf der Ladefläche eines altersschwachen 7,5 Tonners in eine stabile Sperrholzkiste gesetzt,
wo sie sich bis zum Zielort ruhig verhalten sollten. Einer der etwa fünfzigjährigen Männer verschloss die Ladetüren, dann holperte das Gefährt mit quietschenden Stoßdämpfern los. Es stank unangenehm nach Gummi und Treibstoff.
Bereits nach einigen Kilometern stand fest, dass sich die blinden Passagiere auf der langen Fahrt wohl Prellungen und blaue Flecke holen würden. Die ungesicherte Kiste mit dem menschlichen Inhalt rutschte zwischen anderen Gütern auf der Ladefläche herum, eckte hart an den Bordwänden an. Die Insassen fühlten sich unangenehm an ihre illegale Reise im Frachtraum der Deep Red Planet erinnert.
Solaras umklammerte den grünen Stoffbeutel mit dem Holographen, damit er keinen Schaden nahm. Der kleine Kasten war dick mit Kleidungsstücken umwickelt. Er wusste, dass die Schleuser keinesfalls von seiner Existenz erfahren durften, weil sie ihn sonst vermutlich wegnehmen würden.
Hätten die Tiberianer nach draußen blicken können, hätten sie gesehen, dass an der Grenze zu Mazedonien noch immer tausende von Flüchtlingen, hauptsächlich aus Bulgarien und Rumänien, im Schlamm lebten und unbeirrt auf die Grenzöffnung hofften. Weiter ging es durch die Hügel des Balkans nach Ungarn. Die erfahrenen Schlepper wussten sehr genau, wo der im Jahr 2015 errichtete Grenzzaun der Ungarn Lücken aufwies.
Der mit dem Logo einer Umzugsfirma beschriftete Lastwagen fuhr unbehelligt in Richtung Nordwesten und erreichte schließlich die deutsche Grenze. Das Fahrzeug hielt an. Einer der Männer befreite die beiden Flüchtlinge aus ihrer stinkenden Kiste, in der sie ihre Notdurft hatten verrichten müssen.
»Eines muss ich euch echt lassen! Dieses Gerät funktioniert einwandfrei. Man hätte aus der Vogelperspektive sogar gesehen, wo die Polizei mit ihren Fahrzeugen steht. Sehr hilfreich für die nächsten Transporte. Nun trennen sich unsere Wege. Geht immer da lang, dann gelangt ihr nach Passau«, sagte der Schlepper und zeigte auf einen breiten Schotterweg.
Die Tiberianer verabschiedeten sich, setzten sich in der angegebenen Richtung in Bewegung. Die Männer fuhren weg.
Solaras sah sich um, streckte gähnend seine zerschundenen Glieder. »Das ist also unsere neue Heimat. Es ist schön hier. Sieh nur, wie grün und frisch alles ist. Die Wiese blüht.«
Kalmes zeigte auf ein nahes Waldstück. »Apropos frisch – komm, wir ziehen uns im Schutz der Bäume zuerst einmal frische Kleidung an. Wir stinken ja zum Himmel.«
Der befestigte Feldweg führte erstaunlicherweise direkt zur Passauer Flüchtlingsunterkunft, wo sie eine lächelnde Sozialarbeiterin herzlich begrüßte. Man kontrollierte die Registrierungspapiere aus Griechenland eingehend, sicherte Fingerabdrücke, schoss Passfotos und stellte Fragen zur Herkunft. Die Polizei jagte all das durch den Computer und behandelte die Angaben erkennungsdienstlich, bevor endlich der schriftliche Asylantrag gestellt werden konnte. Die ermüdende Bürokratie war somit das Allererste, was Kalmes und Solaras in Deutschland hassen lernten.
Im Vergleich zu den Verhältnissen in Piräus erwartete den vorgeblichen Syrer Raschid al-Haruni und seine ältere Gefährtin Leyla eine saubere, bestens durchorganisierte Unterkunft in einer Industriehalle. Dort sollten sie auf ihren Platz in einer Erstaufnahme-Einrichtung, irgendwo im Bundesgebiet gelegen, warten. Mittlerweile überstellten die deutschen Behörden zum Glück keine Asylbewerber mehr in jene Länder, in welchen sie zuerst europäischen Boden betreten hatten. Die Einhaltung des sogenannten Dublin-Abkommens verursachte einfach einen zu großen Verwaltungsaufwand.
»Geschafft! Wenn wir noch die Anhörung zur Fluchtursache in ein paar Wochen – oder Monaten – überstehen, ohne Skepsis zu wecken, erhalten wir unsere auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis! Schließlich kommen wir vorgeblich aus einem Kriegsgebiet. Ehrlich gesagt, fühle ich mich so gestresst, als entspräche das der Wahrheit«, stöhnte Solaras und ließ sich wie ein nasser Sack auf sein zugewiesenes Feldbett sinken.
Terra, 16. September 2017 nach Christus, Samstag
Levi blickte ärgerlich drein, nahm das Päckchen entgegen, das Aaron ihm entgegenstreckte. »Was genau soll das heißen: Die sind weg?«
»Dass ich dreimal zu unterschiedlichen Uhrzeiten bei der Adresse in Nave Sha’anan gewesen bin, die du mir gegeben hattest. An der Wohnung öffnet niemand, und die besoffenen Nachbarn wissen alle von nichts.
Außerdem hat mir Solaras vor einigen Wochen mein Notebook zurückgegeben. Er erklärte, er habe inzwischen genug recherchiert. Die beiden sind bestimmt schon unterwegs in die Türkei. Du wirst deine Graspäckchen künftig also wieder selber ausliefern müssen«, meinte Aaron achselzuckend.
»Ohne