Operation Terra 2.0. Andrea Ross

Operation Terra 2.0 - Andrea Ross


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       Terra, 26. Oktober 2116 nach Christus, Montag

      

      Wütend schmetterte der fünfunddreißigjährige Philipp André Emmerson die Küchentür aus Hartplastik hinter sich zu. Er hatte die ständige Jammerei seiner um drei Jahre jüngeren Ehefrau allmählich satt. Besonders nach anstrengenden Tagen wie diesem konnte er alles gebrauchen – nur eben keine leidigen Diskussionen um dieses immer gleiche Thema. Seine Swetlana wollte auf Biegen und Brechen eine der neumodischen Mediatapeten kaufen, die seit einiger Zeit den Markt revolutioniert hatten. Weil inzwischen angeblich jeder Haushalt eine besaß.

      Die arbeitslose Frau dachte gar nicht daran, ihn in Frieden seinen wohlverdienten Feierabend genießen zu lassen. Nach dem Vollzeitjob in der städtischen Kläranlage arbeitete Philipp nebenbei noch als Hausmeister für die total heruntergekommene Wohnanlage in BerlinNeukölln, in der sie wohnten. So sparte er einen Teil der Miete.

      Das einstmals todschicke, siebzehnstöckige Apartmenthaus war 2031 in der Hoffnung erbaut worden, aus dem Kiez Neukölln nach und nach ein Wohnviertel für Gutbetuchte zu machen. Die Stadtväter hatten damals alles drangesetzt, die sozialen Brennpunkte zu entschärfen und der Hauptstadt wieder zu einem besseren Ruf zu verhelfen. Täglich negative Schlagzeilen, das war irgendwann untragbar geworden.

      Die Rechnung war allerdings nicht im Geringsten aufgegangen. Zuerst waren die elf neu erbauten Luxuswohnblocks jahrzehntelang nahezu leer gestanden, dann hatte man die geräumigen Apartments notgedrungen in kleine Sozialwohnungen umgestaltet. Dazu waren einfach weiße Plastikcontainer, die je eine vollmöblierte KleinstWohneinheit von ungefähr vierzig Quadratmetern enthielten, in die Apartments eingebaut worden. Seither lebten im Stadtteil Neukölln, wie eh und je, die sozial Schwachen, viele Migranten und gescheiterte Existenzen auf engstem Raum zusammen.

      Heute hatten die Anrufe und das Klingeln an der Türe der Emmersons kein Ende nehmen wollen. Eine kaputte Glühbirne im Treppenhaus, ein klemmendes Fenster, ein versehentlich ausgelöster Feueralarm, eine rüde Prügelei unter Nordafrikanern im Eingangsbereich, ein umgekippter Müllcontainer … er war am Ende seiner Kräfte. Seine depressive Erkrankung machte sich in letzter Zeit wieder stärker bemerkbar.

      Nun stand seine Frau erneut mit verschränkten Armen im Türrahmen, zog ein ärgerliches Gesicht. »Du musst ja schließlich nicht den ganzen Tag hier herumsitzen, darauf warten, dass der Tag vorüber geht und dich langweilen«, meckerte sie vorwurfsvoll.

      »Dann geh gefälligst spazieren oder suche dir sonst irgendeine Beschäftigung. Zum Beispiel könntest du hier drin wieder mal gründlich sauber machen«, gab er wütend zurück.

      »Das kann ich wohl kaum den ganzen Tag lang tun. In dieser scheußlichen Bruchbude ist das ohnehin vergebliche Liebesmüh. Der helle Kunststoff ist dank unserer Vormieter total verkratzt, den bekommt man nie mehr sauber. Und wo wäre eigentlich das Problem, wenn wir uns so eine Mediatapete holen würden? Sogar die asoziale Sabine von nebenan hat schon eine und ist total glücklich damit!«

      Philipp seufzte. Er hatte es ihr schon so oft erklärt. »Weil wir kein überzähliges Geld besitzen! Jetzt haben wir grade erst das alte Auto abbezahlt, auf dem Konto ist Ebbe.«

      »Aber das ist bei der Sabine auch nicht anders. Sie hat sich einfach so eine NullProzentFinanzierung beim MegatechMarkt besorgt. Wenn sie eines Tages die monatlichen Raten nicht mehr bezahlen kann – na und? Dann geht sie eben in Privatinsolvenz. Das hat sie vor ein paar Jahren schon einmal gemacht. Wer nichts hat, dem kann man auch nichts wegnehmen. Wir sind doch eh ständig pleite. Aber mit Mediatapete könnte ich das sicherlich besser ertragen.«

      »Die Sabine arbeitet nicht, das ist ein großer Unterschied. Mir könnte man jedoch im Zweifelsfall den Lohn pfänden.

      Wir würden am Ende unser Auto verlieren, und wie sollte ich dann bitteschön zur Arbeit, ans andere Ende der Stadt, gelangen? Du weißt doch genau, wie beschissen es um die Öffentlichen Verkehrsmittel bestellt ist. Sie sind zu jeder Tagesund Nachtzeit total überfüllt. Mittlerweile ist es lebensgefährlich, sich in die Bahnhöfe der TransrapidMagnetbahn zu wagen. Erst neulich ist mein Arbeitskollege Erik an der Station Alexanderplatz halb tot geprügelt worden.«

      Swetlana gingen vorläufig die Argumente aus. Sie seufzte resigniert, entfernte sich schmollend.

       Terra, 24. Dezember 2116 nach Christus, Donnerstag

      

      Am späten Vormittag wurden vier Rollen, allesamt in Raumhöhe, bei der Wohnung der Emmersons angeliefert. Swetlana hatte das Sonderangebot des Elektro großmarkts genutzt und, ohne das Einverständnis ihres Ehemanns einzuholen, auf Pump eine halbwegs erschwingliche Mediatapete geordert. Zwei kräftige MegatechMänner schleppten die silbrig glänzenden Rollen fluchend das Treppenhaus hinauf bis zum siebten Stockwerk. In den Aufzug passten die sperrigen Dinger nicht hinein.

      Philipp wollte drei Stunden später vor Wut schier platzen. Noch stand er mit gezückter Chipkarte vor der Wohnungstür, aber schon von hier draußen vernahm er überdeutlich die charakteristische Geräuschkulisse einer Nachrichtensendung, die immer wieder von Werbeeinblendungen unterbrochen wurde.

      Neuerdings waren die Fernsehanstalten dazu übergegangen, selbst die Informationen über das Weltgeschehen mit, scheinbar bestens zum jeweiligen Thema passenden, Werbespots zu durchbrechen. Lief beispielsweise ein Beitrag zu den Gefahren der Privatisierung der öffentlichen Wasserversorgung, wurde gleich danach ein besonders reines Mineralwasser angepriesen.

      Der Berichterstattung über den erneut ausgebrochenen Krieg zwischen Nord- und Südkorea folgte ein holografisches 3D-Game, mit dem man haargenau diesen Konflikt spielerisch im heimischen Wohnzimmer nachvollziehen konnte; so realistisch, als befände man sich tatsächlich im Kriegsgebiet.

      Philipp zog die Karte durch den Schlitz und wartete zwei Sekunden, bis die Kontrollleuchte grünes Licht zeigte. Er atmete tief durch und betrat mit gerunzelter Stirn seine Miniwohnung. Swetlana sah ihn gar nicht kommen, denn sie übte sich vor der riesigen Bildfläche in Gestensteuerung.

      Er tippte ihr auf die Schulter. »Hör mal, musst du mir diesen Tag vollends vermiesen? Es reicht mir schon dicke, dass ich heute ab 18 Uhr Bereitschaft für das Klärbecken aufgedrückt bekommen habe. Wer weiß, was die Leute am Weihnachtsabend wieder alles ins Klo schmeißen!

      Zusätzlich kann ich mir hier im Haus den Hintern aufreißen. Manche Dinge ändern sich eben nie, jedes Jahr dasselbe Theater. Abfackelnde Weihnachtsbäume, Selbstmordkandidaten, tätlich ausgetragene Familienkonflikte … ich könnte kotzen, wenn ich an das letzte Weihnachtsfest zurückdenke. Und zur Krönung des Ganzen bugsierst du uns mit dem verdammten Ding da ins finanzielle Abseits. Eigentlich könnte ich ja gleich aus dem Fenster springen!«

      Swetlana strahlte immer noch, schloss Philipp anstelle einer Erwiderung in die Arme. Er vermochte die merkwürdige Reaktion nicht einzuordnen, blieb hölzern stehen.

      »Nun rege dich bitte wieder ab, mein Schatz. Wir haben heute auf jeden Fall Grund zum Feiern. Zum ersten Januar werde ich eigenes Geld verdienen. Die Hausverwaltung hat mir eine Putzstelle verpasst. Ich säubere in Zukunft unser Treppenhaus. Also können wir uns diese Mediawand durchaus leisten. Na, was sagst du?«

      Philipp war immer noch nicht zum Lachen zumute, doch er liebte seine Frau. Also schluckte er die Bemerkung, dass man üblicherweise zuerst Geld verdiente und es dann erst ausgab, im letzten Moment hinunter.

      »Na schön … wenn das Ding nun mal da ist, sehe ich mir jetzt den Rest der Nachrichten an«, meinte er augenzwinkernd. Gemeinsam setzten sie sich auf die verschlissene Couch.

      » … scheint dank der Mikrorobotik nun endlich der finale Coup gegen die Terrormiliz IS gelungen zu sein. Ferngelenkte Nanodrohnen in Wespenform spritzen den Führungspersonen hochwirksames Nervengift unter die Haut, worauf sie in fürchterlichen Zuckungen einen grausamen Tod sterben. Mittlerweile finden sich für höhere Positionen kaum noch Kandidaten. Dem Dschihad geht allmählich der Nachschub aus«, vermeldete der


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