Makabrer Augustfund im Watt. Manfred Eisner

Makabrer Augustfund im Watt - Manfred Eisner


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Medienberichten und wissenschaftlichen Abhandlungen, die dieser kaum an Widerlichkeit zu übertreffenden Irrung unserer Gesellschaft anhaften.

      Bigott ist, dass nach den Folgezeiten der griechischen Antike, während der institutionalisierte Knaben- und Mädchenliebe gang und gäbe war, ein solches Geschlechtsfehlverhalten von Erwachsenen gegenüber Minderjährigen und Schutzbefohlenen zwar allgemein bekannt war, in der Öffentlichkeit jedoch beflissentlich totgeschwiegen wurde, war es doch ein ›unanständiges‹ Thema, das, wenn überhaupt, nur hinter vorgehaltener Hand Erwähnung fand – denn »darüber spricht man nicht!«. Heute hingegen übertreffen sich Tageszeitungen und Boulevardpresse, aber nicht nur diese, in ihrer Berichterstattung über aktuelle Fälle von Sexualschändung Minderjähriger, über aufgeflogene Ringe von Kinderpornodealern, aber auch endlich und ausführlich über die üblen Praktiken, die von zölibatären, vermeintlichen ›Hirten‹, aber dergleichen von verehelichten Kirchenpriestern aller Ränge seit ehedem an ihren ›Schäflein‹ hemmungslos – und leider zumeist ungeahndet – begangen wurden.

      Dennoch bleibt zunächst einmal grundsätzlich festzuhalten, dass jene unsittlichen Taten, die an Kindern verübt und im heutigen Sprachgebrauch mit der leidigen Bezeichnung ›Kindesmissbrauch‹3 benannt werden, keineswegs mit Pädophilie gleichzusetzen sind.4 Viele Journalisten setzen fälschlicherweise in ihrer Berichterstattung Pädophilie mit Vergewaltigung von Minderjährigen gleich: ein Irrtum, der fatale Folgen haben kann. Wissenschaftlich betrachtet handelt es sich bei dem Begriff ›Pädophilie‹ – gegenwärtig bevorzugen Fachleute anstatt diesem die angemessenere Bezeichnung ›Pädosexualität‹ – um das betonte sexuelle Interesse eines oder einer Erwachsenen an Kindern vor deren Pubertät. Medizinisch wird es eher als eine psychische Störung der Sexualpräferenz diagnostiziert. Diese Erscheinung wird von Sexualpsychologen und Medizinern als Schicksal beurteilt, nicht als freie Wahl.5 Die Wissenschaft weiß bisher nicht, woher eine solche Sexualpräferenz kommt und was sie verursacht. Sie ereilt die Betroffenen wie jede andere Vorliebe auch, nur kann man diese nicht ändern. Bestenfalls können die Betroffenen lernen, sie zu zügeln und mit ihr umzugehen. Nur gezielte psychiatrische Behandlung kann jenen von dieser Neigung betroffenen Personen dazu verhelfen, ihre folgewidrige Pädosexualpräferenz beherrschbar zu machen.

      Bedauerlicherweise verschließt sich manchem Pädosexuellen diese wichtige Erkenntnis – zumeist aus Unwissenheit, unterdrückter Scham oder Schuldgefühlen – und verführt diesen sogar zu kriminellen Handlungen wie beispielsweise der Generierung, Verbreitung und dem Dealen von kinderpornografischen Fotos, Videos und Schriften. Unter diese Tätergruppe fallen jene üblen Subjekte, die unschuldige Kinder in ihrer desolaten Nacktheit benutzen, um Aktfotos oder Videos ins Netz zu stellen. Damit beabsichtigen sie entweder Profit zu machen, Gleichgesinnte zu beglücken, indem sie deren niedere Instinkte befriedigen, oder sogar beides. Hierfür bietet ihnen leider das Internet unbegrenzte Möglichkeiten, verbreitet es doch sekundenschnell und grenzenlos ungehemmt jede noch so abstruse Information ebenso wie jedes unsittliche Angebot in alle Winkel des Globus.

      Erst seit dem Jahr 2015 reagiert der deutsche Gesetzgeber mit mehr Strenge, indem er zunehmend die Gesetze und Befugnisse zur erweiterten Netzüberwachung durch speziell geschulte IT-Ermittler bei Bundes- und Länderkriminalamt verschärft. Neben der Aufdeckung von Dealern kinderpornografischer Werke und Konsorten sollten Kinder vor den Betreibern zunehmender Cyber-Grooming-Net-Adressen besser geschützt werden. Hierbei handelt es sich um anfänglich harmlos erscheinende Chat-Sites, mit denen sich bösartige und meist als Jugendliche getarnte Erwachsene das Vertrauen von Minderjährigen erschleichen, um sie später mit den unredlich ergatterten Informationen unter Druck zu setzen, zu mobben und zu erpressen. Infamer geht’s wohl nicht!

      Inzwischen gilt allerdings als klinisch erwiesen, dass der überwiegende Anteil von Kinderschändern nicht ›pädophil‹ ist, und ebenso, dass kein anerkannter Pädosexueller unbedingt ein derart möglicher Täter ist. Für das abartige Geschlechtsagieren von Menschen, die, wie auch immer, Kinder lediglich als Sexualobjekte benutzen, ohne unbedingt einer pädosexuellen Neigung zu unterliegen – oder ebenso die oben beschriebenen unflätigen Aktivitäten im Netz betreiben –, wäre deswegen die Bezeichnung ›pädokriminell‹ eher angebracht.

      Zusammenfassend bleibt uns daher lediglich die bittere Erkenntnis, dass unsere Welt wegen dieser schändlichen menschlichen Defizite kein Garten Eden ist. Wieder habe ich ein solch schauriges Leitmotiv für diesen Roman gewählt, erscheint es mir doch unerträglich brisant: Wie zuletzt die schier unglaubliche und für Behörden und Jugendamt unverzeihliche Tatenreihe von Lügde, Münster und Bergisch Gladbach in Nordrhein-Westfalen häufen sich notorisch die pädokriminellen Skandale, die ans Licht kommen und unsere Gesellschaft zunehmend belasten. Dennoch sind wie in den vorangegangenen acht Nili-Masal-Ermittlungsfolgen auch die nachstehend geschilderten Geschehnisse sowie sämtliche darin vorkommende Namen und Positionen rein fiktiv und von mir frei erfunden. Eine etwaige Übereinstimmung mit real existierenden Personen, deren Berufen und Dienstgraden oder den geschilderten Begebenheiten wäre rein zufällig.

       Manfred Eisner, im Winter 2020/21

       1. Nilis Geburtstagsfeier

      Dem vorangegangenen nassen und meist zu kühlen Monat Juli folgt diesjährig ein allmählich zunehmend sonniger, warmer und trockener August. Nili Masals vierzigster Geburtstag fiel in die letzte und durch angespannte Aufklärung sowie Jagd nach dem Täter gekennzeichnete Juliwoche.6 Deshalb wurde die obligate Feier mit Familie, Kollegen und Freunden – übrigens unter allseitigem Überstimmen von Nilis vehementem Vetoversuch – auf das jetzt bevorstehende Wochenende verschoben. An diesem Freitagnachmittag verfassen die Kriminalkommissare Robert Zander und Margrit Förster – Angehörige der von der Kriminalhauptkommissarin geleiteten Kieler LKA-Abteilung Sonderermittlungen – gemeinsam ihren schriftlichen Bericht von der letzten Operation. Fachinspektor Ferdinand Csmarits, Leihgabe der Polizei im österreichischen Eisenstadt, der im Rahmen des Europol-Fachaustauschs das Team mit seinem IT-Erfahrungsschatz verstärkt, teilt am Bildschirm seines PCs Erkenntnisse mit dem Jüngsten im Team, Kommissar-Anwärter Timo Bohn.

      Nili sucht wieder einmal in den unzähligen Cold Cases nach ungelösten Fällen, bei denen ihr eine Wiederaufnahme sinnvoll erscheint. Dabei fällt ihr eine fast vier Jahre alte Akte in die Hände, deren Inhalt sie schaudern lässt. Es ist der Fall eines spurlos verschwundenen Kindes aus dem Kreis Steinburg. Trotz intensiver Nachforschungen und monatelanger Ermittlungen in alle Richtungen war es damals der ›SOKO Pascal‹ nicht gelungen, den Verbleib des sechsjährigen Jungen aufzuklären und ihn den todunglücklichen Eltern Eike und Magdalene Heger wiederzubringen. Seine Leiche konnte ebenfalls nicht gefunden werden. Die SOKO wurde nach einem halben Jahr unfruchtbarer Bemühungen schließlich aufgelöst und die Akte durch die Staatsanwaltschaft als ungelöst geschlossen. Sie wanderte – wie leider ebenso viele andere unaufgeklärte Fälle – in den Aktenkeller des Kieler LKA.

      Während sie die zahlreichen Berichte in dem Ordner überfliegt, sinniert Nili über eine ähnlich geartete Suchmeldung, die ihr vor wenigen Tagen aus ihrem Heimatort Oldenmoor zu Ohren kam. Eine Vierzehnjährige war von einem gemeinsamen Wochenende mit einer Freundin in Friedrichskoog am letzten Sonntagabend nicht wieder heimgekehrt. Das verzweifelte Elternpaar Paul und Gitta Schrader musste zunächst von den Eltern besagter Itzehoer Schulfreundin erfahren, dass ihre Anneke diese beiden Tage nicht in deren Wochenendhaus an der Nordsee verbracht hatte. Auch deren Tochter Gesche konnte nicht angeben, wo Anneke gewesen war. Anneke hatte ihrer Freundin lediglich gesagt, dass sie ein ›super-hype cooles Weekend‹ vorhabe und ihr am darauffolgenden Montag davon erzählen werde. Ebenso ergebnislos verliefen die Nachfragen und Anrufe bei Bekannten, weiteren Schulkameraden und deren Eltern. Sämtliche Kontaktversuche auf Annekes Smartphone landeten nur immer wieder auf deren Anrufbeantworter. Nachdem die Schraders schließlich eine Vermisstenmeldung bei der Polizeidienststelle der Elbmarschen-Kleinstadt erstattet hatten, startete die Suchaktion. Beamte der Bezirkskriminalinspektion in der Großen Paaschburg in Itzehoe leiteten umgehend die Fahndung nach Anneke ein.

      Nili richtet ihren Blick auf die beiden Kollegen. »Sagen Sie, Ferdl, haben wir etwas über den Fall der als vermisst gemeldeten Jugendlichen aus Oldenmoor?


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