Big Ideas. Das Feminismus-Buch. Ann Kramer
Löhne bei ungesicherten Bedingungen. Eine verarmte Arbeiterschaft, die vom Land in die Städte gezogen war, bildete eine große, verzweifelte Bevölkerungsschicht. Kündigte jemand oder wurde krank, war sofort Ersatz zur Stelle.
Philosophen und Gesellschaftstheoretiker wie Karl Marx und Friedrich Engels thematisierten die Ausbeutung der Arbeiter und entwarfen sozialistische Alternativen zum kapitalistischen System. Die Rolle der Frau spielte in ihren Schriften jedoch keine zentrale Rolle. Der Kampf für das Frauenwahlrecht englischer Aktivistinnen wie Emma Paterson und Clementina Black basierte auf eigenen Erfahrungen mit Arbeit und Klassenverhältnissen. 1872 wurde Paterson mit 19 Jahren Sekretärin der Gewerkschaft Workmen’s Club and Institute Union, zwei Jahre später gründete sie die Women’s Protective and Provident League, um mehr Frauen für die Gewerkschaften zu gewinnen. Diese stammten vorwiegend aus der Mittel- und Oberschicht und hatten sozialistische Ansichten.
Die Engländerin Clementina Black entstammte der Mittelschicht und war mit der Familie von Karl Marx befreundet. Sie verfolgte einen anderen Ansatz. Zunächst konzentrierte sie sich auf die Macht von Frauen als Verbraucherinnen, um soziale Veränderungen zu bewirken. Sie schuf einen Verbraucherverband, der sich dafür einsetzte, nur von Unternehmen zu kaufen, die ihre Arbeiter fair bezahlten. 1886 trat Black Emma Patersons Frauenliga bei und arbeitete als Sekretärin der Organisation.
Militante Aktion
1888 nahm Clementina Black am Streik der in Zündholzfabriken beschäftigten Frauen im Londoner East End teil. Der Erfolg überzeugte sie davon, dass militanteres, direkteres Vorgehen der beste Weg für gesellschaftliche Veränderung sei. 1889 unterstützte sie die Gründung der Frauengewerkschaft, 1894 wurde sie Herausgeberin von Women’s Industrial News, der Zeitung des Frauenbetriebsrats Women’s Industrial Council (WIC), die über die Lebensqualität und die Arbeitsbedingungen von Arbeiterinnen schrieb.
In den USA war die afroamerikanische Sozialistin und Anarchistin Lucy Parsons 1881 in Chicago an der Gründung der International Working People’s Association (IWPA) beteiligt. Nach ihrem Umzug von Texas nach Chicago mit ihrem Ehemann im Jahr 1873 hatte sie ein Kleidergeschäft eröffnet und Treffen der internationalen Arbeiterinnengewerkschaft International Ladies Garment Workers Union (ILGWU) veranstaltet. Sie schrieb Artikel für The Socialist und The Alarm, zwei radikale Zeitungen der IWPA, die in der Stadt veröffentlicht wurden.
1886 war Parsons an der Organisation einer Maikundgebung beteiligt, bei der in Chicago über 80 000 und US-weit rund 350 000 Arbeiter in Streik traten, um für den Acht-Stunden-Tag zu kämpfen. Am 3. Mai wurde der Streik gewaltsam, als die Polizei in Chicago Schüsse abfeuerte. Als ein Polizist getötet wurde, erfolgte schnelle und brutale Rache. Obwohl Parsons Ehemann nicht beteiligt war, wurde er aufgespürt, verhaftet, des Mordes für schuldig befunden und exekutiert.
Parsons setzte ihre aktivistische Arbeit fort. Als einzige Frau sprach sie bei der Eröffnungsveranstaltung der Industriearbeiter der Welt, einer 1905 in Chicago gegründeten Arbeiterorganisation, und bereiste die Welt, um Vorträge über die sozialistische Sache zu halten.
Die Ausbeutung von Arbeitern durch die Industrialisierung betraf Männer wie Frauen, aber die meisten Gewerkschaften standen Anfang des 20. Jahrhunderts nur Männern offen. Frauen mussten ihre eigenen Verbände gründen, um ihre Interessen zu vertreten. Ihre Kämpfe wurden von den Suffragetten- und Frauenbewegungen fortgeführt. Frauengewerkschaften trugen dazu bei, den Acht-Stunden-Tag (in den USA um 1940) und besseren Lohn für Frauen durchzusetzen und die Konditionen für Kinder zu verbessern.
»Mach dir nie vor, dass die Reichen dir erlauben werden, ihren Reichtum wegzuwählen.«
Lucy Parsons
In Großbritannien kämpfte die National Federation of Women Workers (NFWW) für einen Mindestlohn und prangerte lange Arbeitszeiten, schlechte Arbeitsbedingungen und geringe Bezahlung an. 1906 gegründet, zählte sie 1914 bereits 20 000 Mitglieder.
Sarah Bagley
Sarah Bagley, 1806 in Rockingham County (Neuengland, USA) geboren, zog 1836 nach Lowell (Massachusetts, USA), um dort in einer der vielen Textilfabriken zu arbeiten. Im Verlauf eines Jahrzehnts bemerkte sie, dass Lohn und Lebensqualität der Arbeiter unverändert blieben, auch wenn die Produktion stieg.
Die charismatische Rednerin und starke Persönlichkeit gründete mit zwölf anderen Frauen, den »Mill Girls«, im Januar 1845 die Lowell Female Labor Reform Association (LFLRA), die im Mai 1846 die Arbeiterzeitung The Voice of Industry kaufte, um deren Ideen zu verbreiten. Die LFLRA schloss sich einer wachsenden Anzahl von Arbeiterorganisationen in den USA an, die gerechte Löhne und einen Zehn-Stunden-Tag forderten. Der erste Arbeiterinnenverband der USA wuchs auf 600 Unterorganisationen an.
Später praktizierte Bagley mit ihrem Mann in New York homöopathische Medizin. 1889 starb sie in Philadelphia.
Hauptwerk
1846–1848 The Voice of Industry
Die Zündholzmädchen
1888 gingen die Arbeiterinnen von Zündholzfabriken wiederholt auf die Straße. 1871 hatten sie gegen Steuern auf Zündhölzer protestiert.
1888 legten 1400 Frauen und Mädchen der Zündholzfabrik Bryant & May in London die Arbeit nieder. Die britische Sozialistin Annie Besant machte in ihrer Zeitung The Link den 14-Stunden-Tag, die Handhabung giftiger Materialien und die Ungerechtigkeit der Aktionärsgewinne angesichts der Hungerlöhne der Arbeiter öffentlich. Die Arbeiterinnen beklagten sich über Geldstrafen, die ihren Lohn minderten, und ungerechte Entlassungen. Aufgrund der Phosphordämpfe in der Fabrik litten sie an Atem- und anderen Gesundheitsbeschwerden.
Bryant & May hatte sich gegen öffentliche Kritik gewehrt, indem Arbeiter eine Erklärung unterzeichnen mussten, die ihre schlechte Behandlung leugnete. Zusammen mit einer weiteren unfairen Entlassung löste dies den Streik aus. Die Öffentlichkeit unterstützte die Arbeiter, Bryant & May gab nach. Dieser Erfolg inspirierte viele Streiks in Großbritannien und gab dem Gewerkschaftswesen Aufschwung.
BLOSSES WERKZEUG DER KINDERERZEUGUNG
MARXISTISCHER FEMINISMUS
IM KONTEXT
ZITAT IN DER ÜBERSCHRIFT
Karl Marx und Friedrich Engels, 1848
SCHLÜSSELFIGUREN
Karl Marx, Friedrich Engels, Rosa Luxemburg, Clara Zetkin, Alexandra Kollontai
FRÜHER
Um 1770 Das Werk des schottischen Ökonomen Adam Smith ignoriert die Frau in der Wirtschaft weitgehend.
1821 Der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel äußert, Frauen gehörten nicht in die öffentliche Sphäre.
SPÄTER
1972 Marxistische Feministinnen in Italien starten die Kampagne »Lohn für Hausarbeit«.
2012 Laut Schätzungen in den USA steigern unbezahlte