Big Ideas. Das Feminismus-Buch. Ann Kramer
Elizabeth Cady Stanton
Fabrikarbeiterinnen fertigen um 1860 bei Thomson’s in London Reifröcke. Je mehr die Industrialisierung voranschritt, desto lauter forderten Frauen, ihren Lohn behalten zu dürfen.
Eigentumsfragen
1851 lernte Stanton durch Amelia Bloomer Susan B. Anthony kennen, die gegen Korsette und andere die Frauen einengende Kleidung vorging. Stanton und Anthony ergänzten sich in ihren Persönlichkeiten und Fähigkeiten. Stanton war lebhaft und gesprächig, Anthony ruhig und ernsthaft mit gutem Verständnis für Statistiken – ein starkes Team, um Veränderungen zu bewirken. »Schriftlich waren wir gemeinsam besser als jede von uns allein«, sagte Stanton. Anthony, Lehrerin aus einer Quäker- und Abolitionistenfamilie in Rochester (New York, USA), forderte gleiche Bildungschancen sowie Zugang zu Schule und College für Frauen und ehemalige Sklaven. Sie setzte sich auch für Arbeitsrechte und bei den Temperenzlern ein, durfte als Frau aber bei Versammlungen weder für die eine noch die andere Sache reden. Anthony organisierte ihre erste Frauenrechtskonferenz 1852 in Syracuse. Ab 1853 kämpfte sie für Eigentumsrechte von Frauen. Diese waren vielen Frauen, insbesondere Arbeiterinnen, wichtiger als das Wahlrecht, das nur für gutbürgerliche weiße Frauen vorgesehen war. Während der Married Women’s Property Act 1848 Frauen in New York erlaubte, ererbtes Geld zu behalten, gehörte durch Arbeit verdientes Geld dem Ehemann.
Anthony und Stanton erarbeiteten zusammen Stantons Rede an den Gesetzgeber des Staats New York, die alle Rechte auflistete, die Frauen verweigert wurden, und sie einforderte. Zur selben Zeit wurde eine Petition mit 6000 Unterschriften eingereicht, die die Ausweitung des Married Women’s Property Act von 1848 forderte. Ein Antrag wurde 1854 abgelehnt, die Lobbyarbeit dafür aber fortgesetzt, bis ihm 1860 stattgegeben wurde. Das neue Gesetz gab Frauen das Recht, ihren Verdienst zu behalten, und übertrug ihnen gemeinsam mit ihrem Mann das Sorgerecht für die Kinder. Eine Ehefrau konnte nun Verträge unabhängig von ihrem Mann abschließen, und Witwen erhielten dieselben Eigentumsrechte wie Männer.
Frauenrechtlerinnen aus ärmeren Schichten kämpften auf andere Weise. Die Farmerstochter Lucy Stone arbeitete als Haushälterin, um sich die Ausbildung zur Lehrerin zu finanzieren. Zu heiraten hatte ihr erst widerstrebt, da sie dadurch alle Rechte verloren hätte. Als sie 1855 Henry Blackwell heiratete, verlasen die beiden bei ihrer Hochzeit eine Protestnote, in der sie verkündeten, die Rechtlosigkeit von Ehefrauen, die dem Ehemann eine »schädigende und unnatürliche Überlegenheit« übertrug, nicht zu akzeptieren. 1858 weigerte sich Stone, ihre Steuern zu bezahlen, mit dem Argument – ohne politische Repräsentation keine Steuern. Als Reaktion beschlagnahmte und verkaufte die Regierung ihre Haushaltsgegenstände.
Änderung der Verfassung
Während des Amerikanischen Bürgerkrieges (1861–1865) gewann die Abschaffung der Sklaverei gegenüber den Frauenrechten Priorität. Stanton und Anthony gründeten 1863 die Women’s National Loyal League, die die Verfassungsänderung zur Beendigung der Sklaverei unterstützte. Ihre Petitionen gewannen in 15 Monaten rund 400 000 Unterschriften. Als Abraham Lincoln 1865 mit dem 13. Verfassungszusatz die Sklaverei abschaffte, dachten Stanton und Anthony irrtümlicherweise, die Republikaner würden nun auch das Frauenwahlrecht reformieren.
1866 gründeten die beiden Frauen die American Equal Rights Association (AERA), deren Ziel es war, allen Menschen Rechte zu sichern, ohne Ansehen von Rasse, Hautfarbe oder Geschlecht. Erste Vorsitzende war Lucretia Mott. Stanton, Anthony und Stone führten 1867 in Kansas ein Referendum zum Wahlrecht für Frauen und Afroamerikaner durch. Dessen Scheitern spaltete die Bewegung, da manche dem Wahlrecht für afroamerikanische Männer vor dem für Frauen Priorität gaben. Anthony tobte: »Eher werde ich meinen rechten Arm abschneiden, als dafür zu arbeiten, das Wahlrecht für den Neger statt für die Frau zu fordern.«
1868 veröffentlichten Stanton und Anthony in Rochester die Zeitung The Revolution. Schlagzeile: »Männer, ihre Rechte, nichts mehr; Frauen, ihre Rechte und nichts weniger«. Die von dem rassistischen Unternehmer George Train finanzierte Zeitung enthielt Artikel von Stanton, die die Rechte gebildeter weißer Frauen gegen die ungebildeter schwarzer Männer aus dem Süden ausspielte.
Der 14. Verfassungszusatz – 1868 ratifiziert – sicherte ehemals versklavten Männern Bürgerrechte und Gleichheit vor dem Gesetz zu. Stanton und Anthony stellten erfolglos einen Antrag gegen den Ausschluss von Frauen. Stone unterstützte den Zusatz jedoch als Schritt in Richtung des universellen Wahlrechts. »
1869 spaltete sich AERA in die American Woman Suffrage Association (AWSA) und die von Anthony und Stanton in New York gegründete National Woman Suffrage Association (NWSA). Diese hatte nur weibliche Mitglieder und kämpfte auch für eine Scheidungsreform und Lohngleichheit. 1870 trat der 15. Verfassungszusatz in Kraft, der besagte, »Das Wahlrecht der Bürger der Vereinigten Staaten darf […] nicht aufgrund der Rassenzugehörigkeit, der Hautfarbe oder des vormaligen Dienstbarkeitsverhältnisses versagt […] werden«. Die Frauenrechtlerinnen hatten vergeblich gehofft, das Geschlecht würde mit eingeschlossen. Daher lehnten Anthony und Stanton den 15. Zusatzartikel ab. Stone und die American Women Suffrage Association in Boston unterstützten ihn als Schritt in die richtige Richtung.
»Unsere Doktrin lautet, ›Recht kennt kein Geschlecht‹.«
Frederick Douglass
»Die Massen sprechen durch uns … die arbeitenden Frauen verlangen Entlohnung für ihre Mühsal.«
Elizabeth Cady Stanton
Die Karikatur Das Zeitalter des Größenwahns oder der Triumph der Frauenrechte von 1869 zeigt, dass der Kampf der Frauen als Bedrohung für traditionelle Geschlechterrollen empfunden wurde.
Eine Frau mit einer Fackel erweckt die Amerikanerinnen in dieser Illustration von 1915, die von einem Aufruf in Gedichtform der Frauenwahlrechtlerin Alice Duer Miller in 1915 begleitet wird.
Politischer Druck
Auch in den 1870er-Jahren ging der Kampf um Frauenrechte weiter. Anthony beschäftigte Anwälte, um zu erreichen, dass der 14. Zusatzartikel die Staaten verpflichtete, Frauen wählen zu lassen. 1872 wurden Anthony, ihre drei Schwestern und andere Frauen verhaftet, weil sie in Rochester (New York, USA) gewählt hatten. In der Hoffnung, der Fall würde vor dem Obersten Gerichtshof landen, weigerte sie sich, eine Kaution zu bezahlen, doch ihr Anwalt zahlte, sodass sie keine Gefängnisstrafe bekam und nicht Berufung einlegen konnte.
Anthony ging auf Vortragsreisen. 1877 sammelte sie in 26 US-Staaten 10 000 Unterschriften für Petitionen, doch der Kongress ignorierte sie. 1878 versuchte sie, über Senator Sargent von Kalifornien einen Verfassungszusatz zu erwirken. Dieser wurde vom Senat abgelehnt, in den folgenden 18 Jahren aber immer wieder vorgelegt. In New York und im Mittleren Westen fand die NWSA Unterstützung. Ihr Ziel war eine nationale Gesetzesänderung, die AWSA strebte Änderungen in den einzelnen Staaten an. Als Organisation war AWSA konservativer. Sie arbeitete einzig für das Wahlrecht und keine anderen Themen. Allmählich zahlte sich ihre Beharrlichkeit aus. In Wyoming erhielten Frauen 1869 das Wahlrecht,in Utah 1879, in Washington 1883. Colorado folgte 1893 und Idaho 1896.
1890 vereinten sich NWSA und AWSA zur National American Woman Suffrage Association (NAWSA). Anthony kämpfte weiter für das nationale Wahlrecht, andere für eine Reform der einzelnen Staaten.
»Diese Macht ist das Wahlrecht, das Symbol der Freiheit und der Gleichheit.«