Big Ideas. Das Feminismus-Buch. Ann Kramer
Pionierinnen u. a. in Großbritannien und Schweden Sex und Reproduktion in den Mittelpunkt, da Frauen hier wenig Kontrolle hatten. In Großbritannien und den USA wehrten Frauen sich gegen die männliche Kontrolle über ihre Fortpflanzungsrechte und kämpften um Zugang zu Geburtenkontrolle. Noch Radikalere, etwa die englische Sozialreformerin Josephine Butler, identifizierten einen sexuellen Doppelstandard in der Gesellschaft, der Männern Sexualität zugestand, Frauen aber nicht, was besonders die zwiespältigen Einstellung der Gesellschaft zur Prostitution zeigte.
Etwa ab der Mitte der ersten Welle forderten Feministinnen in Großbritannien und den USA in Massenbewegungen das Wahlrecht. Die Strategien waren unterschiedlich, und in Großbritannien wurde dieser Kampf zunehmend gehässig und gewalttätig. Der Kampf um das Stimmrecht beherrschte bis zum Ersten Weltkrieg (1914–1918) und die Zeit unmittelbar danach alle feministischen Strömungen.
Um 1920 gab es in vielen Ländern feministische Aktivitäten. In Japan erkämpfte Ichikawa Fusae für Frauen das Recht, politisch tätig zu werden. In der arabischen Welt, vor allem in Ägypten, gründeten Huda al-Shaarawi und andere erste Frauenorganisationen.
WER SEINE ARBEITSKRAFT VERKAUFT, VERKAUFT SICH SELBST
GEWERKSCHAFTLICHE ORGANISATION
IM KONTEXT
ZITAT IN DER ÜBERSCHRIFT
Lowell Mill Girls, 1841
SCHLÜSSELORGANISATIONEN
Lowell Mill Girls, Match Girls
FRÜHER
Um 1750 Englische Erfindungen wie Spinnmaschine und Propeller sowie Verbesserungen der Dampfmaschine automatisieren schwere Arbeit.
1833 Der erste Factory Act bietet Kindern, die in Fabriken arbeiten, etwas gesetzlichen Schutz.
SPÄTER
1888 Die US-Aktivistin und Suffragette Leonora O’Reilly ruft eine Frauenabteilung der Arbeiterorganisation Knights of Labor ins Leben.
1903 Mary Harris Jones führt Kinderarbeiter in einer Parade von Philadelphia nach New York, um gegen Kinderarbeit in Fabriken zu protestieren.
Die industrielle Revolution veränderte die Arbeit und das Leben der Menschen grundlegend. Die Mechanisierung ermöglichte die Massenproduktion von Waren, und Unternehmen begannen, zahlreiche ungelernte Arbeiter, auch Frauen und Kinder, zur Bedienung der Maschinen einzustellen. Da diese Arbeit repetitiv war und keine Kenntnisse erforderte, wurde sie nur gering entlohnt. Handwerker konnten nicht mit den niedrigen Kosten der industriell gefertigten Waren mithalten, und schon bald fanden viele Menschen nur Arbeit, indem sie ihre Arbeitskraft gegen Lohn verkauften.
Hürden der gewerkschaftlichen Organisation von Frauen
Frauen, die sich in Gewerkschaften organisieren wollten, sahen sich mit Widerstand von Arbeitgebern und männlichen Kollegen konfrontiert. Auch die Frauen der Mittelschicht, die für das Wahlrecht kämpften, unterstützten sie kaum.
Arbeit für Frauen
Frauenarbeit war traditionell repetitiv und mühsam, im Haus und auf dem Feld. Alte Vorstellungen von »Frauenarbeit« gaben nun vor, welche Arbeiten Frauen in der Industrie offenstanden. Sie übernahmen einen Großteil der schlecht bezahlten Arbeit in Büros, Geschäften und Fabriken. Da Frauen üblicherweise zu Hause nähten und Kleider reparierten, heuerten Textilfabriken zahlreiche weibliche Arbeitskräfte an. Führungsrollen kamen für Frauen kaum infrage, Unverheiratete sollten nur arbeiten, bis sie einen Ehemann fanden, und Fabriken bezahlten Frauen nur einen Bruchteil des Lohnes der Männer.
Um 1800 stellte eine Textilfabrik in Lowell (Massachusetts, USA) junge Frauen von kleinen Farmen als Arbeiterinnen ein. Zu jener Zeit dominierte in Neuengland die Agrarwirtschaft, und nicht wenige Bauernfamilien schickten ihre Töchter zum Geldverdienen in die Fabriken. Die Fabrikbesitzer versprachen, für diese jungen Frauen die Vaterrolle zu übernehmen, sie zur Kirche zu schicken und ihnen eine moralische Erziehung zukommen zu lassen. In Wahrheit beuteten sie die Frauen aus. In Lowell verdienten sie 1845 etwa 4 Dollar pro Woche (was heute etwa 100 Dollar entspricht), die Arbeitszeit wurde verlängert oder die Produktivität gesteigert, ohne dass die Frauen dafür entlohnt wurden. Der Arbeitstag dauerte im Durchschnitt 13 Stunden.
»Ich werde von den Kleinen zu den Großen und von den Schwachen zu den Starken sprechen.«
Annie Besant
Kollektives Handeln
Bereits in den frühen Tagen der industriellen Revolution begannen Frauen, sich zu Verbänden zusammenzuschließen (um in Gruppen und nicht als Einzelpersonen aufzutreten). Sie forderten von ihren Arbeitgebern bessere Bezahlung und gerechtere Behandlung. Schon 1828 gingen die »Lowell Mill Girls«, die erste Frauengewerkschaft der USA, mit Schildern und Transparenten auf die Straße, um gegen die strikten Regeln ihrer Arbeitgeber zu protestieren. Ein Streik von 1500 Arbeiterinnen im Jahr 1836 brachte die Produktion zum Erliegen.
Die Gegenreaktion in Lowell war heftig. Die Arbeitgeber bezeichneten die Frauen als undankbar und unmoralisch. Dennoch wurden die Mill Girls zu einem mächtigen Verband. 1866, als der 13. Zusatzartikel zur US-Verfassung die Sklaverei in den USA abschaffte, gründete eine Gruppe befreiter Wäscherinnen die erste Gewerkschaft des Staates Mississippi. Am 20. Juni sandten sie einen Beschluss an den Bürgermeister der Bundeshauptstadt Jackson, in dem sie einheitlichen Lohn für ihre Arbeit forderten. Jede Frau, die für weniger arbeitete, sollte Strafe bezahlen. Einige Tage später hielt eine von den Frauen inspirierte Gruppe ehemaliger Sklaven eine Versammlung in der Baptistenkirche von Jackson ab und diskutierte einen Streik für bessere Löhne.
Weitere Streiks folgten. In Lynn (Massachusetts, USA) riefen Schusterinnen ihre eigene Gewerkschaft ins Leben. Sie nannten sich »Daughters of St. Crispin«, nach ihrem männlichen Gegenpart, den »Knights of St. Crispin« (St. Crispin ist der Schutzheilige der Schuster). Die Frauengewerkschaft wuchs schnell, mit Ablegern in Massachusetts, Kalifornien, Illinois, Maine, New Hampshire, New York, Ohio und Pennsylvania, und wurde » die erste nationale Frauengewerkschaft der USA. 1870 forderten die Töchter von St. Crispin den gleichen Lohn wie Männer für die gleiche Arbeit. 1872 organisierten sie zwei Streiks: Der erste in Stoneham in Massachussetts war erfolglos, doch der zweite in Lynn brachte Arbeiterinnen mehr Geld. 1874 forderten die Töchter von St. Crispin einen Zehn-Stunden-Tag für Frauen und Kinder, die in der Produktion arbeiteten.
Die Monatszeitschrift Lowell Offering für die Arbeiterschaft von Lowell Mill idealisierte das Leben der Arbeiterinnen. Die Realität war anders: lange Arbeitszeiten, niedriger Lohn.
»Unser gegenwärtiges Ziel sind Gewerkschaft und Arbeit, und wir bleiben in Besitz unserer unbestreitbaren Rechte.«
Streikerklärung der Arbeiterinnen von Lowell
Nähe zum Sozialismus
In Europa schritt die Industrialisierung noch schneller voran als in den USA. In Großbritannien begrenzte der Factory Act von 1847 den Arbeitstag