Big Ideas. Das Feminismus-Buch. Ann Kramer
man, welche Formen der Feminismus im Laufe der Zeit ausgeprägt hat, wie er sich entwickelt hat, welche Stärken und blinde Flecken er hat, welche Kämpfe bereits siegreich ausgefochten wurden und welche erneut gekämpft werden müssen, kann man auf eine historische Reservearmee blicken, die Truppen der Argumente aufstellen und mit dem Wissen in die Schlacht ziehen, dass man nicht allein ist und es nie war.
Hier findet man die Mystikerinnen, Schriftstellerinnen, Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen, Künstlerinnen und viele mehr, die neue Gedanken in die Welt gesetzt haben, neue Einstellungen, neue Definitionen, neue Regeln, neue Prioritäten, neue Einsichten, damals und heute. Was ist Feminismus? Dieses Buch erklärt es.
Lucy Mangan
EINLEITUNG
Seit Jahrhunderten begehren Frauen gegen die Ungerechtigkeiten auf, die sie aufgrund ihres Geschlechts erleiden. Als Konzept wurde »Feminismus« jedoch erst 1837 geboren, als der Franzose Charles Fourier den Begriff féminisme erstmals verwendete. In den folgenden Jahrzehnten stand er in Großbritannien und den USA für eine Bewegung, die die rechtliche, wirtschaftliche und soziale Gleichstellung der Geschlechter anstrebte und die Unterdrückung der Frau durch den Mann beenden wollte.
Infolge unterschiedlicher Ziele und Grade der weltweiten Geschlechterungleichheit entstanden verschiedene feministische Strömungen. Da der Feminismus mit seinen sich stetig weiterentwickelnden Vorstellungen und Zielen Gesellschaften seit seinen Anfängen formt, zählt er zu den wichtigsten Strömungen unserer Zeit – inspirierend, einflussreich und sogar große Bevölkerungsgruppen betreffend, je mehr er sich weiterentwickelt.
Den Weg ebnen
Die männliche Dominanz hat ihre Wurzeln im Patriarchat, das seit Jahrhunderten das Fundament der meisten Gesellschaften ist. Aus welchen Gründen das Patriarchat auch entstand – die Gesellschaften wurden komplexer, mussten stärker reguliert werden, und die Männer schufen Institutionen, die ihre Macht festigten und die Frauen unterdrückten. Die Herrschaft des Mannes wurde in jedem Bereich der Gesellschaft durchgesetzt: Regierung, Gesetz, Religion, Ehe und Heim. Der männlichen Herrschaft untergeordnet und machtlos, galten Frauen intellektuell, sozial und kulturell als minderwertig.
Nachweise von Frauen, die die patriarchalen Grenzen herausforderten, sind rar, auch weil Männer die Geschichte schrieben. Mit Beginn der Aufklärung um 1800 und der wachsenden Bedeutung der individuellen Freiheit machten Vorkämpferinnen auf die Ungerechtigkeiten, denen sie ausgesetzt waren, aufmerksam. Im Zuge der Revolutionen in den USA (1775–1783) und in Frankreich (1789–1799) forderten viele Frauen auch für ihr Geschlecht neue Freiheiten. Damals waren sie nicht erfolgreich, doch dauerte es nicht lange, bis immer mehr Frauen den Kampf aufnahmen.
»Ich habe mich nie minderwertig gefühlt … Dennoch, ›eine Frau zu sein‹ verweist jede Frau auf den zweiten Rang.«
Simone de Beauvoir
Mehrere Wellen
Soziologen unterscheiden drei große »Wellen« des Feminismus. Manche Feministinnen sprechen von einer vierten Welle in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts. Jede Welle wurde durch bestimmte Katalysatoren ausgelöst, wenngleich der Feminismus eine sich beständig fortentwickelnde Bewegung mit einem breiten Spektrum an Zielen ist.
Die erste Welle begann Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA und in Europa. Den Zielen dieser Welle lagen dieselben freiheitlichen Prinzipien zugrunde wie dem Kampf zur Abschaffung der Sklaverei. Frühe Feministinnen (vor allem gebildete Frauen der weißen Mittelschicht) forderten das Wahlrecht, gleichen Zugang zu Bildung und gleiche Rechte in der Ehe. Die erste Welle endete um 1920. Die Frauen in den meisten westlichen Ländern hatten nun das Wahlrecht erhalten. Während des Zweiten Weltkrieges (1939–1945) waren die Energien gebunden. Erst um 1960 nahm die zweite Welle Fahrt auf, beeinflusst durch Schriften, die im Krieg entstanden waren. Der Slogan »Das Persönliche ist politisch« brachte diese neue Welle auf den Punkt. Die Frauen mussten feststellen, dass die in der ersten Phase gewonnenen Rechte ihren Alltag kaum verbessert hatten, und richteten ihre Aufmerksamkeit nicht auf Ungleichheiten am Arbeitsplatz und in der Familie, sondern diskutierten nun sexuelle »Normen«.
Die zweite Welle, angeheizt durch das revolutionäre Klima der 1960er-Jahre, ist als furchtlose Frauenbefreiungsbewegung in die Geschichte eingegangen, die die Unterdrückung der Frau genauer analysierte und beenden wollte. Während neue Kurse in feministischer Theorie an Universitäten die Wurzeln der Unterdrückung untersuchten und die Vorstellungen vom Geschlecht analysierten, nahmen Basisorganisationen die Ungerechtigkeiten in Angriff. Die Frauen holten sich die Kontrolle über die Geburten vom männlich dominierten Berufsstand der Gynäkologen zurück, kämpften für das Recht auf Abtreibung und wehrten sich gegen Tätlichkeiten.
Um 1980 ebbte die zweite Welle ab, geschwächt durch interne Querelen und ein zunehmend konservatives politisches Klima. Doch nun erstarkten der schwarze Feminismus und die Idee der Intersektionalität – die Erkenntnis der Mehrfachbenachteiligung dunkelhäutiger Frauen –, die der Feminismus der weißen Frauen der Mittelschicht nicht adressierte. Dieses Konzept, erstmals 1989 von Kimberlé Crenshaw vertreten, fand außer in den USA und in Großbritannien auch in den ehemaligen Kolonien weltweit Anklang.
Neue Sorgen
Die US-Feministin Rebecca Walker formulierte um 1990 angesichts des Freispruchs eines mutmaßlichen Vergewaltigers die Notwendigkeit einer dritten Welle, da Frauen weiterhin Befreiung bräuchten und nicht nur Gleichheit, die Postfeministinnen für erreicht hielten. Die dritte Welle umfasste verschiedene, oft gegensätzliche Strömungen, die sich u. a. mit sexueller Freiheit, Transfrauen und der Frage, ob feministische Ziele im Kapitalismus erreicht werden können, beschäftigten. Dieser reiche Ideenaustausch setzte sich bis ins neue Jahrtausend fort, gestützt durch Blogs und soziale Medien. Heutige Themen sind sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und die geschlechterspezifische Lohnlücke. Damit ist der Feminismus noch ebenso relevant wie in der Vergangenheit.
»Eine Frau darf nicht akzeptieren. Sie muss herausfordern.«
Margaret Sanger
Dieses Buch
Das Panoptikum der vorgestellten Persönlichkeiten, die für einen besseren Platz der Frau in der Gesellschaft gekämpft haben, ist keinesfalls erschöpfend. Dieses Buch stellt einige der bedeutendsten Ideen vom 18. Jahrhundert bis heute zu diesem Thema vor. Jeder Eintrag konzentriert sich auf einen Zeitabschnitt und ein bedeutendes Zitat einer Frau aus dieser Zeit. Dieses Buch reflektiert, wie fundamental der Feminismus für das Verständnis unserer heutigen Welt ist, und wie viel noch zu tun ist.
GEBURT DES FEMINISMUS
18. — FRÜHES 19. JAHRHUNDERT
1700
In ihrem Buch Some Reflections on Marriage vertritt die Engländerin Mary Astell die Ansicht, dass Gott Männer und Frauen mit Seelen von gleicher Intelligenz geschaffen hat
1734
Das Bürgerliche Gesetzbuch in Schweden gewährt Frauen bestimmte Rechte, insbesondere verbietet es dem Mann, den