Das Versagen der Kleinfamilie. Mariam Irene Tazi-Preve

Das Versagen der Kleinfamilie - Mariam Irene Tazi-Preve


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mit der sexuellen Orientierung beschäftigen. Durch diese Veränderung wird die feministische Bewegung entschärft und zersplittert. Gelder fließen nun in apolitische Forschung zur „Gender-Frage“ und Themen der sexuellen Identität. Die laufenden Debatten um die Ehe für homosexuelle Paare fungieren dabei als Ablenkungsmanöver von den sich real verschärfenden Entwicklungen für Frauen im Patriarchat.

      Das Mutterbild war historisch immer mit der herrschenden Wirtschaftsordnung verknüpft. Wenn eine Welt kreiert wird, in der jegliche soziale Verantwortung, Gegenseitigkeit und Solidarität verlorengeht, kommen auch die Bereiche unter Druck, wo Frauen das Zentrum eines Netzes sozialer Beziehungen sind. Diese mütterliche Kultur entsteht ab dem Tag der Geburt des Kindes, indem Zeit miteinander verbracht wird, wo gekocht und miteinander gegessen wird, durch Handarbeit und Handwerk, durch das Kreieren von Zirkeln und Räumen. All dies soll dem Verständnis einer Welt der Profitmaximierung weichen, indem die Mutter auf ihre Funktion der Menschenproduktion und -betreuung reduziert wird. Wie zu sehen sein wird, stellt die Mutter in der neoliberalen Welt den essentiellen Teil der zur Familien-Maschine transformierten privaten Welt dar.

      Mütter in der Falle

      Das Patriarchat als allumfassende Zivilisationstheorie zu verstehen, bedeutet, die Moderne mit neuen Augen zu sehen, nämlich als „Mordende“ (Werlhof). Der gemeinhin positiv konnotierte Fortschritt entpuppt sich als mörderische Kreation einer künstlichen mutter- und naturlosen Welt. Es geht also gerade nicht um eine Verbesserung oder um eine Anpassung des Menschen an die bestehenden natürlichen Verhältnisse, wie zum Beispiel im Weltbild indigener [44] Gesellschaften, sondern um die Zerstörung des Mutterkörpers und der mütterlichen Kultur. Das heißt, die „Mutter muss verschwinden“ – wie es als Überschrift in einem Artikel zum Muttertag hieß25; sie soll buchstäblich ausgemerzt werden. Die (noch) existierende Mutter bedeutet lediglich einen Zwischenschritt bis zu ihrer kompletten „Mortifizierung“.

      Was geschieht mit der betreuenden Mutter?

      Die Mutter wird also immer noch gebraucht, daher wird sie behandelt wie eine Institution. Der mütterliche Körper, ihre Arbeit und ihr kreatives Potenzial wurden in eine Art administrative Einheit verwandelt. Indem sie Nahrung, Unterkunft und Fürsorge bereitstellt, „verkörpert sie Ökonomie im wahrsten Sinne des Wortes“ (Werlhof). Das ist die Schattenwirtschaft, auf der die offizielle in „parasitärer Weise“ (Vaughan 2015b) beruht. Die Mutter erfährt das Programm von „Überwachen und Strafen“ (Foucault 1993) in allen ihren Lebensbereichen und in ausgefeiltester Form. Seit dem Beginn der Neuzeit, also seit dem 15. bzw. 16. Jahrhundert, wird die institutionalisierte Mutter bevormundet und ihr Verhalten durch Instanzen der Rechtsprechung, der Medizin, der Psychologie und Pädagogik reglementiert. So haben sich zum Beispiel die Empfehlungen zum Stillen seit der Nachkriegszeit permanent verändert.26

      Die Europäische Sozialpolitik wird in den USA, die nicht einmal über den Mutterschutz vor und nach der Geburt verfügt, dafür gepriesen, Mütter zumindest für einen Teil des verlorenen Einkommens zu entschädigen. In Österreich und Deutschland bleiben Mütter nach der Geburt dem Arbeitsplatz weit länger fern als in anderen europäischen Ländern. In der Logik der Arbeitskultur, die ausschließlich auf der Dauer der Erwerbstätigkeit aufbaut, bedeutet die lange Abwesenheit aber einen großen Verlust an Einkommen und Anrechnung für die Rente. Der Europäische Wohlfahrtsstaat fungiert als Ersatz für den – oft abwesenden – Vater27, indem er Familienbeihilfen, Alimentationsvorschüsse und Kinderbetreuungseinrichtungen bereitstellt.

      [45] Seit den 1990er-Jahren verändert sich der Charakter des „sorgenden“ Staates. Die alle Regulierungen aushebelnde neoliberale Gesetzgebung erfasst nun auch die letzten Enklaven der Sozialpolitik. Bildung, Gesundheit und Soziales – worein alle finanziellen und institutionellen Unterstützungsleistungen für Mütter fallen – werden nun „privatisiert“. D.h. sie werden Opfer angeblich notwendiger „Einsparungen“ oder sie werden von Konzernen übernommen – was auch Sparpolitik genannt wird (Kailo 2015). Begleitet wird das Zurückfahren des Wohlfahrtsstaates mit Beschuldigungen derer, die angeblich Leistungen „missbrauchen“, speziell Mütter und sogenannte „Arbeitsunwillige“. Die eigentlichen Verursacher der Armut des Staates, also etwa Konzerne, die kaum Steuern abführen, bleiben dagegen ungeschoren (vgl. Kap. 3). Dass gerade die Lebenserwartung von Frauen entscheidend damit zusammenhängt, wie das soziale und politische Umfeld gestattet ist, zeigen Untersuchungen zur stagnierenden Lebenserwartung amerikanischer Frauen28.

      Der Rahmen, in dem das mütterliche Leben erlaubt ist, ist die Kleinfamilie, die am Beginn patriarchaler Zeiten ersonnen wurde, um die sexuelle Freiheit der Frauen zu beschneiden und eine vaterlose Mutterschaft zu verhindern. Innerhalb der Ehe wurde die Fortpflanzung zur überwachten Pflicht. Die nichtverheiratete Mutter wurde zur Schande, die verheiratete ein Segen. Die Kindeswegnahme des „illegitimen“ Kindes war bis in die 1970er-Jahre eine übliche Praxis.29

      Die patriarchale Mutter muss dem Ideal der heterosexuellen Beziehung (vgl. Kap. 7) folgen, am besten in der Ehe, die angeblich für sie und ihre Kinder der sicherste Ort ist. Diese Lebensform wird als natürlich hingestellt, da Kinder von einem Mann und einer Frau gezeugt würden. Mit dem Bezug auf die „Natur“ werden Frauen und Männer in die Kleinfamilie gezwungen, indem die patriarchale Frau glauben gemacht wird, eine dauerhafte romantische Beziehung sei die Normalität. (Tazi-Preve 2012a). Die Wahrheit widerspricht dem aber deutlich: Zum einen ist die Familie der gefährlichste Ort für Frauen und Kinder überhaupt, die dort der Gefahr des physischen und psychischen [46] Missbrauchs und/oder des gewaltsamen Todes ausgesetzt sind (Kapella et al. 2011a). Zum andern ist die lebenslange Liebesbeziehung nicht die Regel, sondern sie ist ganz im Gegenteil die Ausnahme. Unglückliche Beziehungen, Scheidungen und Trennungen sind dagegen die Norm.

      Und trotzdem bleibt das europäische und nordamerikanische Mutter- und Kleinfamilienideal als Exportgut in nicht-westliche Gesellschaften ein Dauerbrenner. Seit der Kolonialzeit wird es verbreitet, gepredigt oder aber gewaltsam erzwungen. Dies geschieht und geschah in allen nichtpatriarchalen Gesellschaften – in Vergangenheit und Gegenwart – durch Missionare, also religiös begründet, oder durch die Einführung des Privateigentums und der Erwerbsarbeit auf der ökonomischen Ebene und politisch, indem durch das Familienrecht der Vatername eingeführt wird. Zum Beispiel werden derzeit die matrilineare Tradition und die Weitergabe des mütterlichen Namens der Khasi in Assam, Indien, durch das Familienrecht bedroht. Und die Mosuo in Südchina sind mit dem enormen Einfluss der Han-Touristen konfrontiert, die die „sexuell freien“ Mosuo Frauen prostituieren wollen.

      Ein weiteres Charakteristikum der Mutter im Patriarchat ist ihre Idealisierung. Gerade im deutschsprachigen Raum wurde ein Mutterideal kreiert, das wenig mit der Realität zu tun hat. Es ist vielmehr ein Produkt männlicher Phantasie, entworfen von Kirchenmännern, Juristen, Psychologen und politischen Theoretikern, das mit Jacques Rousseau im 18. Jahrhundert seinen Anfang nahm. Der Nationalsozialismus führte im 20. Jahrhundert eine spezielle Form des Mutterideals ein (Weyrather 1993), das bis heute Spuren hinterlassen hat. Seine Merkmale sind: eine normierte Kinderzahl und strikte Erziehungsregeln, die der Mutter vorschreiben, zumindest in den ersten drei Jahren ganz dem Kind zur Verfügung zu stehen. Auch der Umfang der Fürsorge und die Art der Bestrafung des Kindes, um es nur nicht zu „verwöhnen“, waren genau festgelegt. Die faschistische Erziehung strebte danach, Söhne für die Schlachtfelder zu produzieren und Töchter für den Kriegsdienst oder als zukünftige Mütter.30 Heute sind wir von der Zeugung eines Kindes bis zu seinem Schulabschluss mit einem strikt regulierten Familienleben konfrontiert. Speziell die Kleinkindzeit steht unter Dauerbeobachtung. Dem intensiv debattierten Thema „Wieviel Mutter braucht ein Kind?“ hat Lieselotte Ahnert [47] (2010) ein Buch gewidmet. Sie argumentiert, dass die Vorschulzeit zwar wichtig sei, aber nichts dafür spreche, dass die Betreuung ausschließlich durch die Mutter zu erfolgen habe, sondern dass dies die (Familien-)Gruppe durchaus gemeinsam bewerkstelligen könne.

      Mütter stehen unter dem Druck eines rigorosen Wirtschaftssystems mit seinen deregulierten Arbeitsgesetzen, „flexiblen“ Arbeitszeiten und dramatischen Lohnsenkungen. Sie ist gekennzeichnet von einer wachsenden Zahl unterbezahlter sinnentleerter Tätigkeiten, in denen überwiegend Frauen beschäftigt


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