Mit den Narben der Apartheid. Michael Lapsley

Mit den Narben der Apartheid - Michael Lapsley


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die wir auf unsere eigene Art und Weise für uns selbst tun. Wenn Menschen uns helfen, tun sie dies auf ihre Art und nicht auf unsere. Das müssen wir akzeptieren, und das fällt uns manchmal recht schwer. Mein Leben würde von jetzt an völlig anders verlaufen, und ich musste mich fragen, was mir in diesem neuen Leben wichtig sein würde. Letztendlich ist dies eine spirituelle Frage, die einen neuen und tiefgründigeren Abschnitt meines Glaubensweges einleitete.

      Als strenggläubiger Junge, der ganz in seinem Glauben aufging, stellte ich mir oft vor, wie gläubige Christen Stigmata entwickelten, also Wundmale von der Kreuzigung Jesu auf dem Körper eines Gläubigen. Im Laufe der Zeit wurde immer wieder von Stigmata berichtet, besonders von Mitgliedern geistlicher Orden, denen ich ja beitreten wollte. In meinem Fall handelte es sich um frühreife Vorstellungen eines stark religiös geprägten Jugendlichen. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass ich schließlich die erkennbaren traumatischen Zeichen einer Art von Kreuzigung trug. Selbst aus der Sicht eines gereiften Gläubigen war dies eine Möglichkeit, dem Geschehen Sinn zu verleihen.

      Wie so oft in diesen Fällen spricht Gott durch Menschen. Während meiner Genesung erhielt ich viele Botschaften mit Gebeten, Liebesbekundungen und Unterstützung, und ich erinnere mich besonders an die Rolle, die Kinder bei meiner Genesung spielten. Die Wände meines Krankenzimmers waren bedeckt mit Bildern und Zeichnungen, die mir Kinder aus Australien und Kanada, auch meine liebe kleine Nichte Lizzie Bick, zugeschickt hatten. Die kanadischen Kinder hatte ich erst ein paar Wochen vor dem Bombenanschlag kennengelernt, als ich in ihrer Schule in North Bay sprach. Sie waren erschüttert über die Nachricht, weil sie mich kannten und sich mir persönlich verbunden fühlten. Die australischen Kinder hingegen kannten mich nicht, waren aber dennoch von meiner Geschichte ergriffen. Gläubige und nichtgläubige Menschen schickten mir Botschaften der Liebe und des Zuspruchs. Das war das Mittel, mit dem Gott mir ermöglichte, den Anschlag auf mich in Erlösung umzuwandeln, Leben aus dem Tod und Gutes aus Bösem erwachsen zu lassen. „Es war Gottes Wille“, sagen mitunter wohlmeinende Christen. Das weise ich energisch zurück! „Oh, Sie meinen also, dass Gott Briefbomben baut?“, antworte ich darauf. Wenn ich sage, dass mir aus dem Anschlag etwas Erlösendes erwachsen ist, so heißt das nicht, dass das Böse nicht böse bleibt.

      Meine Verluste sind offensichtlich dauerhaft, aber ebenso dauerhaft ist der Gewinn für mich und für andere. Ich habe durch den Anschlag zwar viel verloren, aber ich habe immer noch viel und habe auch etwas hinzugewonnen. Mein Lebensweg hat mich unermesslich bereichert, sodass mein Leben nicht nur aus [21]Bedauern besteht. Natürlich denkt ein Teil von mir: „Wenn ich doch nur bemerkt hätte, dass es eine Bombe war, und sie nicht aufgemacht hätte.“ Aber Gott ermöglichte mir, dem Anschlag etwas Erlösendes abzugewinnen. Manche Menschen, denen Schreckliches widerfahren ist, haben wohl überlebt, bleiben aber Gefangene dieses Abschnitts ihrer Vergangenheit. Meiner Meinung nach muss man einen weiteren Schritt bewältigen, indem man vom passiven Objekt der Geschichte – jemand, dem etwas Furchtbares zugefügt wurde – wieder zum aktiven Subjekt der Geschichte wird. Dazu muss man wieder zu einer Person werden, die sich an der Gestaltung der Welt schöpferisch beteiligt. Ich erkannte, dass ich immer Opfer bleiben würde, wenn ich Hass, Bitterkeit und Rachedurst nachgeben würde. Die Unterdrücker hätten dann zwar nicht meinen Körper getötet, aber sicherlich meine Seele. Die Welle von Liebe und Unterstützung, die ich erfuhr, ermöglichte es mir, den Weg vom Opfer zum Überlebenden und schließlich zum Sieger zu gehen. Das ging nicht schnell und es war auch nicht einfach. Es war ein langer Weg, der auch heute noch nicht zu Ende ist. Zunächst ging es darum, gesund zu werden und zu meinem Leben zurückzufinden, um es dann so erfüllt und mit so viel Freude zu leben wie möglich. Das würde mein Sieg sein.

      Oft äußern sich Menschen sehr wohlmeinend über mich und stellen mich manchmal auch als Vorbild hin. Manches ist angemessen, aber anderes, obwohl es gut gemeint ist, wirkt entmenschlichend. Ich wäre nicht derjenige, der ich jetzt bin, ohne die Unterstützung der vielen, vielen Menschen, die mich liebten und sich um mich sorgten. Es ist nicht nur mein, sondern auch ihr Sieg. Wir neigen dazu Menschen, die wir bewundern, auf ein Podest zu stellen. Aber ich bin keine Heiligenstatue. Fragt den Menschen, der mir im Alltag hilft, er wird sagen, dass an mir nichts Heiliges ist. Mit meinen vielen menschlichen Schwächen kann ich für andere eher ein Beispiel abgeben als eine Heiligenfigur, die alles ohne Schaden zu nehmen und ohne Widersprüche überstanden hat. Wenn ich durch die Straßen Südafrikas gehe, werden Menschen durch mein Aussehen mit der Wahrheit unseres Volkes und mit dem, was wir uns gegenseitig angetan haben, konfrontiert. Es stimmt also, ich bin ein Symbol des Triumphes über das Unheil, aber genauso bin ich als Mensch mit all meinen Unzulänglichkeiten ein Zeichen dafür, dass Barmherzigkeit und Güte stärker sind als das Böse, als Hass und Tod. In ihrer ganzen Menschlichkeit ist diese Erkenntnis allen Kindern Gottes gegeben, nicht nur ein paar Auserwählten. Ich habe gesiegt, aber die Spuren der Vergangenheit haben mich gezeichnet. So gesehen stellt meine Entwicklung vom Freiheitskämpfer zum Heiler, wie die vieler anderer, eine Parallele zur Entwicklung Südafrikas dar. Wir mussten kämpfen und haben schließlich das Ungeheuer Apartheid erschlagen. Dann jedoch begann der lange Weg der Selbstheilung und des Aufbaus einer neuen Nation, in der alle Menschen die Möglichkeit haben, ihr Leben in vollem Umfang zu leben. Das ist nur möglich, wenn man nicht in der Vergangenheit gefangen bleibt.

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      [23]3

      Behinderung – Versehrtheit als Realität

      Es war eine Genugtuung, nach sieben Monaten das Krankenhaus in Australien zu verlassen. Ich hatte nicht nur einen Bombenanschlag überlebt und mehr Operationen überstanden als mir lieb war, sondern war auch wieder auf den Beinen und bereit, mein Leben erneut in die Hand zu nehmen. Meine Widerstandskraft überraschte viele Menschen, ich zweifelte jedoch nie. Es ging einfach darum, das medizinisch Notwendige zu tun. Obwohl meine unmittelbare Zukunft unsicher war, war ich fest davon überzeugt, dass ich eine Zukunft hatte; ich wusste nur noch nicht, wie sie sich gestalten würde. Einerseits war ich noch derselbe unabhängige und dynamische Mensch wie immer, andererseits war nun alles anders. Ohne Hände in der Welt zurechtzukommen bedeutete praktisch, noch einmal ganz von vorn anfangen zu müssen. Ich fühlte mich gleichzeitig verwundbar und zuversichtlich.

      Die nächsten Wochen und Monate entpuppten sich als Intensivkurs zur Bewältigung des Lebens mit einer schweren Behinderung. Es war ein hartes Stück Arbeit. Im Krankenhaus hatte ich immer Unterstützung gehabt, aber nun musste ich die Hilfe, die ich brauchte, selbst organisieren. Es gab furchtbar frustrierende Momente, wenn ich allein war und selbst mit simplen Aufgaben, die ich einst ohne nachzudenken erledigen konnte, nicht fertig wurde. Die Physiotherapeuten hatten mich zwar akribisch mit der Anwendung meiner Prothesen vertraut gemacht, nichts kann uns jedoch auf die unzähligen alltäglichen Herausforderungen vorbereiten, für die wir unsere Hände brauchen und deren Bewältigung körperlich unversehrte Menschen für selbstverständlich halten. Als nächstes kam die soziale Anpassung. Behinderungen rufen in vielen von uns starke Gefühle hervor, wohl weil wir dadurch mit unserer eigenen Verwundbarkeit, Zerbrechlichkeit und auch Sterblichkeit konfrontiert werden. Diese Reaktionen können, auch wenn sie unabsichtlich sind, sehr verletzend sein, besonders für jemanden wie mich, der durch sein neues Aussehen noch verunsichert war. Ein Vorfall kurz nach meiner Rückkehr nach Südafrika prägte sich mir besonders tief ein. Ich bog in einem Büro, in dem ich arbeitete, um eine Ecke und stieß fast mit einer Frau zusammen, die gerade von der Toilette kam. Als sie mein Aussehen bemerkte, schaute sie mich tief erschrocken und entsetzt an. Ich erinnere mich lebhaft an den Stich, den ihr Entsetzen auslöste, und daran, wie ich innerlich zusammenzuckte. Bei einer anderen Gelegenheit kaufte ich mit einem Freund in einem Supermarkt in Kapstadt ein. Das Einkaufen strengte mich an, und so [24]beschloss ich, draußen auf ihn zu warten. Vor dem Supermarkt setzte ich mich auf eine Bank. Ich war erstaunt, als kurz darauf eine Frau auf mich zuging und ein Geldstück aus der Tasche holte. Sie streckte es mir entgegen, weil sie mich für einen Bettler hielt. Natürlich hatte ich keine Hände, um das Geldstück entgegenzunehmen, sodass sie erst etwas herumfummelte, dann die Münze wieder einsteckte und verschwand. Solche Vorfälle hinterlassen tiefe Spuren in der Seele eines Menschen. Manchmal bringen sie uns aber auch zum Lachen. Menschen, die weitaus größere Behinderungen haben als ich, zum Beispiel spastische Lähmungen, rufen noch stärkere


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