hell/dunkel. Julia Rothenburg

hell/dunkel - Julia Rothenburg


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nicht zum Arzt. War auch Zeit, dass das mit der Infusion mal klappt.

      Der Arzt hat es empfohlen, nachdem er sie untersucht hat, sagt Robert. Aber nach ein paar Infusionen wird es wohl wieder. Dann machen sie noch Untersuchungen, um herauszufinden, ob es vielleicht an irgendwas anderem liegt.

      Okay, sagt Valerie wieder.

      Robert reibt sich jetzt mit den Händen auf den Knien herum. Na also, sagt er. Auf jeden Fall habe ich ja vom letzten Mal gelernt, diesmal bin ich mehr da.

      Er schaut beim Reden ständig zu ihr hin, als müsste sie gleich doch noch ausrasten, als wartete er nur darauf. Recht hat er. Aber Valerie hat keine Lust zu streiten. Schon gar nicht, wenn er plötzlich darauf aus ist. Nach all der Stille. Soll er doch selber gucken, wie er damit klarkommt.

      Okay, sagt sie. Sie weiß, dass sie jetzt auch zu ihm hinüberschauen sollte. Wäre sie bloß auf dem Sportplatz geblieben.

      Okay, also, sagt Robert und reibt sich wieder über die Knie. Wir sollten sie dann wohl mal besuchen fahren. Ich würde gerne sofort los. Bevor die im Krankenhaus Stress machen wegen der Besuchszeit. Ist ja schon fast halb sechs. Wie sieht’s aus, kommst du mit?

      Robert schiebt die Zigarettenpackung auf dem Tisch hin und her. Valerie findet es merkwürdig, dass er manchmal so etwas Fahriges hat, dann wieder so eine Gelassenheit. Als könnte er sich nicht entscheiden, in welche Richtung es gehen soll. Wie er wohl ist, wenn ihm niemand zuschaut?

      Ich habe Hausaufgaben.

      Robert schaut ihr in die Augen, das erste Mal ganz direkt, und seine Augenlider zucken, als versuchte er so, seinen Blick scharfzustellen. Du siehst irgendwie müde aus, sagt er.

      Ist ja auch anstrengend.

      Er nickt. Dann also morgen, sagt er. Ich fahre auf jeden Fall jetzt, aber du solltest dich wirklich ausruhen.

      Das klingt so sehr nach einem Vater, dass sie fast lachen muss. Aber sie fühlt sich trotzdem nicht wie ein Kind. Wieso sollte sie auch. Das ist etwas, das nur von ihm ausgeht.

      Valerie verschränkt die Arme.

      Sie stehen auf, stehen wie hingestellt im Zimmer herum. Das ist fast noch peinlicher als alles vorher.

      Na komm her, sagt Robert und nimmt sie in den Arm.

      Du stinkst immer noch, sagt sie, aber das klingt ziemlich lahm.

      Bis später, sagt er, den einen Arm schon in der Jacke.

      Als Robert gegangen ist, steht Valerie noch immer im Zimmer. Aber das fällt ihr erst auf, als über ihr die Kuckucksuhr der Nachbarn gedämpft durch die Wände ruft. Sie lauscht in die Stille dazwischen. Sie hört Roberts Schritte schon nicht mehr, aber sie glaubt, dass die Haustür rumst.

      Eben noch wollte sie unbedingt, dass er wieder geht, jetzt ist es trotzdem merkwürdig. Als würde ihr jetzt erst auffallen, dass sie allein ist. Vielleicht eines der wenigen Gefühle, die stärker sind als Wut.

      Valerie schaltet die Lichter aus und setzt sich, schaut nach draußen, wo die Straßenlaternen genau in diesem Moment angehen. Irgendwann muss es geregnet haben. Gegenüber glänzen die Streben des Friedhoftors wie frisch gestrichen, moosig daneben die Friedhofsmauer.

      Sie schaut, ob sie Robert noch irgendwo entdecken kann, aber die Gehwege liegen verlassen da wie auf einer Postkarte.

      Hier zu sitzen fühlt sich falsch an.

      Valerie steht auf, läuft durch die Wohnung, schaltet im Flur die Lichter an, dann wieder aus, doch wieder an.

      Die Tür zum Zimmer ihrer Mutter steht sperrangelweit auf. Wie eine offene Wunde, denkt Valerie. Gott, wie melodramatisch.

      Man kann darin nichts erkennen, dunkel ist es, das Licht aus dem Flur fällt nur auf den beigen Teppich.

      Im Zimmer ist alles in Unordnung. Die Bettdecke liegt wie ein Ungetüm auf der Matratze, dellt sich in merkwürdigen Formationen. Beinahe wie ein Körper sieht es aus, ein schlafender.

      Valerie geht hin, berührt die Decke. Ansonsten ist hier alles wie immer. Die Schranktüren sind geschlossen, so dass Valerie sich im daran befestigten Spiegel sehen kann. Hat sie als Kind ständig gemacht: Wenn die Mutter nicht da war, saß sie im Schneidersitz vor dem Spiegel und hat sich einfach nur in die Augen gestarrt. Sich selbst anzuschauen ist der sicherste Weg zurück aus dieser Trance, das wusste sie schon damals.

      Im schummrigen Licht des Zimmers erkennt sie sich allerdings kaum. Sie schaltet das Licht an. Ihre Haare kleben ihr im Gesicht, getrockneter Schweiß. Ihre Wimperntusche ist etwas verlaufen. Valerie drückt ihre Nase gegen den Spiegel, bleibt so, wischt sich die Schminke weg, dann den fettigen Fleck, den ihre Nase auf dem Glas hinterlassen hat. Hinter ihr spiegelt sich das Deckenungetüm.

      Valerie tritt zum Bett, schlägt die Kissen aus, ordnet die Decke. Breitet sogar die Tagesdecke darüber, die zerknüllt auf dem Boden liegt. Daneben die Wolldecke, die ist immer so schwer. Valerie schlägt sie über den Arm.

      Was macht sie hier eigentlich? Albern ist das.

      Als würde sie sich dadurch besser fühlen, als brächte das irgendwem was.

      Sie könnte natürlich auch ihre Jacke nehmen statt der doofen Wolldecke, Robert hinterher. Mit ihm gemeinsam diese Sache durchstehen, die Mutter besuchen, für heute alles getan haben. Irgendwo gibt es noch eine zweite Version von ihr, die genau das tut. Die andere Valerie hat Robert schon eingeholt, läuft jetzt mit ihm zur U-Bahn. Oder laufen sie die Straße entlang?

      Valerie fällt auf, dass sie nicht einmal weiß, in welches Krankenhaus Robert geht. Ins Urbankrankenhaus oder doch ins Westend? Sie muss sich entscheiden, sonst kippt die Szene.

      Valerie und Robert steigen in die U-Bahn. Gemeinsam sitzen sie auf anderthalb Plätzen, weil neben ihnen wie ein gestrandetes Walross ein Mann liegt, die Augen geschlossen im dicken Gesicht. Robert erzählt von den vergangenen Wochen. Er macht seinen neuen Ausbilder nach, der jedes letzte Wort im Satz schreit. Dabei schauen sie immer wieder zum Walross hin, ob es aufwacht. Aber nur träge hebt sich die Brust, über der sich wie eine weiche Tierhaut ein grauer Pullover spannt. Valerie kichert.

      Die andere Valerie steht hier wie bekloppt mit dieser Wolldecke, sieht sich selbst von der Seite im Spiegel, nur sich selbst, keinen Robert und keine auf die U-Bahn-Scheibe gedruckten Brandenburger Tore.

      Einen Moment lang hat sie das Gefühl, dass beide Valeries gleich unwahrscheinlich sind, dass es weder die in der U-Bahn gibt noch die Valerie, die hier steht und nichts tut, die wütend ist und nicht weiß, wohin damit. Als klemmte die Entscheidung zwischen den beiden Valeries sie irgendwo in ihrer Mitte fest, im Nirgendwo. Aber das ist Unfug.

      Sie wirft die Wolldecke aufs Bett, schließt die Tür.

      Dann macht sie die Tür doch wieder auf. Geschlossene Türen haben so etwas Unheimliches.

      Im Wohnzimmer setzt sie sich erneut auf das Sofa, greift zu dem Buch, das irgendwer auf den Couchtisch gelegt hat.

      Heute Nacht hatte sie lange darin gelesen, ewig her ist das jetzt. Sie konnte nicht schlafen, die Dielen knarrten, wenn die Mutter jede halbe Stunde auf die Toilette ging. Aus dem Klo regelmäßig das Rauschen der Spülung, sonst nichts, aber Valerie brauchte das Würgen nicht zu hören. Sie hatte sich Stöpsel ganz tief in die Ohren gesteckt, aber die Geräusche waren in ihrem Kopf.

      Irgendwann musste sie zu dringend aufs Klo. Sie war schnell gehuscht, die Mutter hatte sie trotzdem getroffen. Als hätte sie gelauert, auf irgendeine Regung von Valerie gewartet, um dann herauszukommen.

      Das Schattenspiel im Flur schnitt eine Grimasse in ihr ohnehin schon mürrisches Gesicht. Geh wieder schlafen, sagte die Mutter, hier gibt es nichts zu gucken.

      Valerie schaltet den Fernseher ein. Irgendeine Show, der Moderator grinst, die Gäste grinsen. Valerie sieht zu, wie sie sich die Hände schütteln, ein Clip wird eingeblendet. Danach wieder das Studio, einer der Gäste schaut grimmig drein, lächelt dann wieder wie angeknipst. Valerie muss lachen, sie kann es kaum unterdrücken. Wie sie dasitzt, in der leeren Wohnung, in die Leere hineinlacht,


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