hell/dunkel. Julia Rothenburg

hell/dunkel - Julia Rothenburg


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glaube sie gar nicht so recht, was sie da sieht.

      Robert bleibt einfach in der Tür stehen, tut so, als ließe er Valerie den Vortritt. Wie er da plötzlich wie ein Schluck Wasser steht. Das ist das Problem mit Familie, jedes einzelne Bild beschwört eine Kaskade von anderen herauf. Nichts steht jemals allein, immer ist da sie selbst, wie sie vor Robert ins Zimmer tritt, dabei ist er doch der Ältere, dabei spricht am Ende er doch meistens und kriegt er den Ärger, und trotzdem ist Valerie immer schon zuerst eingetreten, kriegt als Erste den Gesichtsausdruck ab, welcher da auch kommen mag. Bitte, geh schon, Valle, du kannst so lieb gucken, frag doch mal, ob wir –

      Hallo Mama, sagt sie.

      Meine Lieben, sagt die Mutter. Na, jetzt kommt doch schon näher.

      Valerie findet, dass man hier in diesem Raum erst richtig sieht, wie krank sie ist. Dabei hat sich gar nichts verändert: Das Haar war auch gestern Morgen schon so dünn und flusig, wie aufgescheucht auf dem Kopf, die Wangen eingefallen, der Hals voller Falten. Sie trägt keine Krankenhauskleidung. Valerie ist froh darüber. Das ist etwas, an dem man sich festhalten kann. Das letzte Mal, dass die Mutter Krankenhauskleidung anhatte, ist drei Monate her. Der plötzliche Darmdurchbruch. Die schlimmsten Tage ihres Lebens, eingewickelt mit dieser beschissenen grünen Krankenhauskleidung. Dazu das Wissen, dass alles vorbei ist. Und dann das Wissen, dass es doch nicht vorbei ist, wieder einmal. Viel zu viel Geheule wegen nichts.

      Die Mutter trägt ihre übliche Kleidung, ausgewaschenes T-Shirt, dazu die Strickjacke. Die Hose sieht man nicht, da liegt die Decke drüber.

      Schön, dass du auch mitgekommen bist, Valerie.

      Ja, sagt Valerie. Der Vorwurf ist ihr nicht entgangen.

      In ihren Augenwinkeln zuckt es, weil Robert sich immerzu über die Arme fährt. Noch immer hat er keinen Ton von sich gegeben, noch immer steht er in der Tür.

      Habt ihr mir neue Anziehsachen mitgebracht?, fragt die Mutter, setzt sich zurecht.

      Oh, entschuldige, nein, sagt Robert hinter ihr. Er hat schnell geredet, dazu ist er einen Schritt nach vorne gekommen, hastig, aber das Gesicht der Mutter hat sich ohnehin schon verzogen. So schnell geht es manchmal, dass man gar nicht sagen kann, was sich da zuerst zusammenzieht, die Augen oder der Mund, am Ende sind da nur Wutfalten.

      Meine Güte, sagt die Mutter, das kann doch nicht wahr sein. Da habt ihr mal eine Aufgabe, und dann –

      Es tut mir leid, sagt Robert. Er hat diesen Gesichtsausdruck aufgesetzt, mit dem er wieder so jung aussieht.

      Ich kann hier nichts machen, ich liege hier und warte, und ich kann nichts machen.

      Ja, Mama, ist ja gut, sagt Valerie. Reg dich nicht auf.

      Was soll ich denn tun, Valerie, wie soll ich mir das denn selbst besorgen? Hast du eine Ahnung, wie –

      Ist ja gut, Mama, sagt Valerie, sie muss es laut sagen, um die Mutter zu übertönen. Wir bringen dir die Sachen eben morgen, reg dich ab.

      Es ist außerdem meine Schuld, sagt Robert. Ich hatte es einfach vergessen, tut mir leid. Wenn du willst, geh ich noch schnell.

      Ach, jetzt ist es doch auch egal. Die Mutter macht einen Wink aus dem Handgelenk. So sieht sie immer aus in diesem Moment, in dem sie langsam aufhört, sauer zu sein: wie ein bockiges Kind.

      Robert zögert, und einen Moment stehen sie alle einfach nur herum, Valerie mit verschränkten Armen und Robert, der auf seinen Fußballen wippt. Dann geht Robert um sie herum, stellt zwei Stühle hin.

      Komm, setz dich.

      Valerie lässt sich auf den Stuhl fallen, und dann sitzen sie da wie aufgereiht, während die Mutter noch immer ein wenig schmollt, den Mund nach unten, die Augen zusammengekniffen.

      Ich habe furchtbare Kopfschmerzen, sagt sie.

      Sollen wir einen Arzt …?

      Nein, lass.

      Wieder ist da nur Schweigen, irgendwann seufzt die Mutter.

      Also erzähl doch mal, Robert. Wie läuft es bei dir? In den letzten Zügen? Gibt es schon Aussichten auf eine Arbeitsstelle?

      Man weiß es noch nicht, sagt Robert.

      Aber du willst in Marburg bleiben?, fragt Valerie. Wie merkwürdig, dass sie nicht einmal das mehr über ihn weiß.

      Robert schaut nicht zu ihr, sondern auf den Bettrahmen, ein Eisengestell, wie immer im Krankenhaus, darunter bloß der weiße Boden.

      Weiß ich ehrlich gesagt auch noch nicht, sagt er. Ganz schön klein auf Dauer.

      Das war von Anfang an klar, sagt die Mutter, dass das nicht auf Dauer ist. So eine kleine Stadt, das ist nichts für dich.

      Vielleicht. Robert zuckt mit den Schultern.

      Die Tür geht auf und eine Frau schlurft herein, die Haare sind blond und hochtoupiert.

      Oh, hallo, sagt sie.

      Meine Kinder, sagt die Mutter. Valerie, Robert.

      Hallo, sagt Robert.

      Valerie zwingt sich zu einem Lächeln.

      Ach wie schön, sagt die andere. Sie hat Schweineaugen, die hin- und herflitzen. Bei Robert bleibt ihr Blick lange, huscht nur zwischendurch kurz zu Valerie.

      Du bist der Ältere, was, sagt sie.

      Ja, sagt Robert.

      Na, das sieht man.

      Sie lacht. Die Mutter lacht auch, das Bett wackelt. Valerie weiß nicht, was es da zu lachen gibt.

      Aber ähnlich sehen die beiden sich ja auch sowieso nicht, sagt die Mutter dann. Die Valerie und der Robert, haben schon immer alle gesagt, niemals würde man denken, dass das Geschwister sind. Halbgeschwister. Daher wahrscheinlich.

      Valerie schaut zu Robert und verdreht die Augen.

      Ja, die eine so hell, der andere so dunkel, das ist was, sagt die Frau, stapft zum Bett.

      Was machen sie denn jetzt alles für Untersuchungen, Mama, fragt Valerie, während hinter ihnen der Kleiderschrank rumst, dann das Bett quietscht.

      Hui, heut ist es vielleicht frisch, sagt die Blondtoupierte hinter ihnen. Ein Scheißwetter ist das.

      Die Mutter sieht schon wieder ganz verkniffen aus.

      Ich weiß es doch auch nicht, Valerie, wenn die Ärzte mal etwas sagen. Aber zwei Infusionen hatte ich schon, nachher kommt Dr. Brink. Dann wird man sehen.

      Okay, sagt Valerie. Gut zu wissen.

      Gut, sagt Robert.

      Sie schweigen.

      Ich glaub, wir gehen dann mal, sagt Robert und reibt sich mit den Händen auf den Knien herum. Ist es okay, wenn ich später wiederkomme mit den Sachen?

      Nein, jetzt lass schon, Robert, sagt die Mutter, ein halbes Lächeln im Gesicht. Jetzt ist es auch egal. Bring sie morgen, das reicht.

      Stört es Sie, wenn ich den Fernseher anmache?, fragt die Frau von drüben.

      Nein, nein, sagt die Mutter, das Gesicht wie eine Eisskulptur.

      Valerie schaut zu Robert und verdreht noch einmal die Augen. Einen Moment lang sieht es so aus, als würde er ihr zuzwinkern.

      4

      Sie sitzen im Imbisshäuschen und warten. Valerie hat das Kinn auf den Händen aufgestützt wie ein kleines Kind. Robert findet aber, dass sie nie älter gewirkt hat. Den ganzen Weg über hat sie nicht geredet, sondern nur in den Wind geblinzelt.

      Der Imbissbesitzer, ein dicker Türke, kommt herüber und stellt ihnen die Pommes hin.

      Danke, sagt Valerie, lächelt schmal. Sie hat denselben Mund wie die Mutter, aber bei ihr sieht er anders aus. Vielleicht hat die Mutter früher genauso ausgesehen. Vielleicht saß auch sie einmal in so einem Imbiss, vielleicht


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