hell/dunkel. Julia Rothenburg

hell/dunkel - Julia Rothenburg


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sie nicht will, dass Robert sie hier findet, geht sie in ihr Zimmer. Wartet im Bett, die Arme überkreuzt, in einem Ohr einen Stöpsel, um Musik zu hören, das andere Ohr zum Lauschen, horcht auf Schritte.

      Aber da ist nichts, manchmal nur macht der Bass sie glauben, dass sich Schritte nähern.

      In ihrem Zimmer ist es stockdunkel, aber wenn jemand den Hof betritt, blitzt Licht auf. Dann ist es so lange hell, wie derjenige braucht, um sein Fahrrad anzuschließen. Nur, wenn draußen jemand ist, hat ihr Zimmer wieder Wände.

      Valerie wird unruhig, als es zehn wird, dann halb elf. Wieso lässt Robert sich so viel Zeit? Was treibt er so lange?

      Aber sich jetzt Sorgen zu machen ist verlorene Zeit. Sie hat schon viel zu viel Zeit an so einen Scheiß verplempert.

      Sie versucht sich abzulenken, sucht in ihrem Kopf nach etwas anderem. Irgendwann taucht Alis Gesicht auf. Ja, Ali, den könnte sie mal wieder anrufen. Auf seine letzte SMS hat sie nicht geantwortet. Aber er ist bestimmt nicht sauer. So ist es immer zwischen ihnen. Er ist nicht so anstrengend wie die anderen.

      Sie sieht Ali dabei zu, wie er in seinem Lieblingsplattenladen steht und durch die Platten kämmt. Sie steht daneben, tut so, als würde sie auch nach den Platten schauen. Sie hat keine Ahnung, wonach sie suchen soll. Ali lächelt, winkt sie näher.

      Aber Alis Gesicht passt irgendwie nicht hierher, nicht in diese Dunkelheit, die in ihrem Zimmer liegt, wenn im Hof niemand ist. Nicht in dieses komische Gefühl in ihr, das sie hat, weil Robert einfach nicht nach Hause kommt. Und weil Robert einfach nach Hause gekommen ist. Stattdessen mischt sich Robert in ihre Gedanken hinein, sein Gesicht, seine Bewegungen.

      Sich Robert vorzustellen war schon immer am einfachsten, vor alldem hier war er ihr Lieblingsschauspieler gewesen. In ihrer Vorstellung tut er alles mit einer Bestimmtheit, die die Handlung vorantreibt.

      Ist er in eine Bar gegangen, trinkt dort, die Ellbogen auf die Theke gestützt? Redet er mit einem Fremden? Hat er eine Frau kennengelernt? Küsst er vielleicht in diesem Moment jemanden, irgendwo in einer schummrigen Ecke, gräbt einer Blondine seine Hände ins Haar? Oder sitzt er mit hängendem Kopf am Bett der Mutter, während sie schläft, mit offenem Mund, der ihre rote Zunge zeigt? Vielleicht ist das Zimmer aber auch dunkel, nur piepsende Apparate, blinkende Lämpchen und dazu von draußen das kalte Mondlicht?

      Valerie kann nicht aufhören, daran zu denken, die Musik in ihrem Ohr der Soundtrack dazu.

      Sie schaut auf ihr Handy, keine Nachricht. Es ist elf, und Valerie schließt die Augen.

      Fast ist sie eingeschlafen, als es plötzlich rumst. Erst denkt sie, es ist die Musik, aber die ist schon längst verstummt, der MP3-Player ist ausgegangen und liegt hart und kalt auf ihrem Bauch.

      Dann hört sie einen Schlüssel auf den Tisch klirren, feste Schritte, die nur zu Robert gehören können.

      Einen Moment lang überlegt sie, aus ihrem Zimmer zu gehen, das Licht anzuschalten. Robert steht mit hängenden Schultern in der Wohnung. Robert schaut sie müde an, schüttelt den Kopf, als hätte sie etwas gefragt.

      Valerie bleibt liegen, sieht zu, wie unter ihrer Tür das Licht hindurchkriecht, hört, wie Robert den Flur entlangstreunert, wie Türen knarren. Ist er unruhig? Ist er erschöpft?

      Soll er doch, denkt sie.

      Valerie schließt die Augen. Hinter ihren Lidern zuckt es. Aber es sind keine Träume, die da kommen. Alles bleibt schwarz.

      2

      Sie schläft schon, als er die Tür öffnet. Ob sie weiß, wie sie aussieht, wenn sie schläft?

      Natürlich nicht, denkt Robert. Das weiß ja keiner von sich. Man kennt sich selbst doch nur als festgefrorenes Gesicht auf einem Foto, als Wackelbild im Spiegel. Es fehlt immer das Wesentliche.

      Wie ruhig Valerie jetzt wirkt. Sie hat vergessen, sich abzuschminken. Mit dem dunklen Lidstrich und den hellrosa Wangen sieht sie aus wie eine bemalte Porzellanpuppe.

      Ein Streifen Licht huscht über ihren Körper, als er die Tür noch ein Stückchen weiter öffnet und dann wieder schließt.

      Sie wacht nicht auf. Er ist merkwürdig enttäuscht. Ein wenig rumpelt er absichtlich gegen die Wände. Er horcht immer wieder nach. Nichts regt sich. Armselig, das weiß er. Aber so leise, so ruhig kommt ihm die Wohnung irgendwie komisch vor, falsch. So ohne jeden Herzschlag.

      Selbst im Wohnzimmer wirkt alles gespenstisch verlassen. Sie hat aufgeräumt, oder kommt es ihm nur so vor? Die Arbeitsplatten glänzen regelrecht, darauf eine Schale mit Obst, wie eine Dekoration im Möbelprospekt.

      Im Sofa sinkt er ein, als wäre es uralt. Tatsächlich hat er aber keine Erinnerungen daran. Dann fällt ihm doch etwas ein, ein kurzes Aufblitzen nur, er sieht sich selbst mit Valerie dort sitzen, die Fernbedienung in der Hand nach oben gestreckt, Valerie hüpft auf ihm herum, greift nach ihr. Gellend hört er ihr Schreien im Ohr, ihr Lachen, sein eigenes Lachen. Irgendwann hat sie natürlich geheult, meistens hat sie irgendwann geheult. Beinahe muss Robert lächeln. Woran man sich immer erinnert. Als gäbe es nichts Wichtigeres in all seinen Erinnerungen als dieses Heulen.

      Robert steht wieder auf, durchsucht die Schränke, findet aber keinen Alkohol. Besser so, denkt er. Er wollte schließlich auch damit endlich aufhören.

      Dann findet er doch etwas: Unter der Spüle steht noch eine angebrochene Flasche Wein. Er stellt sie vor sich auf den Couchtisch, schaut eine Weile darauf. Irgendwann nimmt er doch einen Schluck. Der Wein ist sauer und warm, wird auch nach ein paar weiteren Schlucken nicht besser.

      Wie er hier sitzt mit der halbvollen Flasche, nicht mal mit einem Glas, das ist beschämend und albern zugleich. Seine Mutter stirbt, und er sitzt im Wohnzimmer und lässt sich volllaufen, starrt in die Dunkelheit um sich, als suchte er eine Antwort, kippt noch einen nach, weil da nichts kommt.

      Aber was hat er erwartet?

      Das ist die Frage, die ihm die Psychotante immer zuerst gestellt hat. Was haben Sie denn erwartet? Augenbrauen hochgezogen, verständnisvoller Blick, leicht nach vorne gebeugt, nicht zu sehr, damit er sich nicht bedrängt fühlt. Ist ja sein Raum, seine Stunde. Da ist sie ganz offen, das kann er ganz frei – dabei macht doch schon das Knarzen dieses blöden Therapiestuhls, dass nichts mehr frei ist. Dass er über jede Bewegung extra nachdenkt, weil jedes Zurechtrücken, jedes Beinüberschlagen schon dazu führt, dass man es im engen Raum hört, als hätte er damit etwas zugegeben. Ein Geständnis seiner Körperhaltung, er muss gar nicht den Mund aufmachen, die Psychotante guckt auch so schon, als wüsste sie alles. Ohne ihn anzusehen natürlich, Blick diskret an ihm vorbei.

      Ja, was hat er erwartet? Irgendeinen Knall vielleicht. Schließlich ist es ewig her, seit er das letzte Mal hier war. Zumindest gefühlt. Vor drei Monaten war er kurz im Krankenhaus, davor hatte er an Weihnachten vorbeigeschaut. Aber da hatte er gleich gesagt, dass er arbeiten müsse, dass er deswegen nicht lange bleiben könne, dabei hat die Firma über Silvester ja zu.

      Ansonsten die Stimme der Mutter am Telefon. Und am Telefon klang die Mutter so anders, blechern und gleichzeitig fröhlich, auf eine distanzierte Art, genau so wie sie vermutlich mit ihren Kollegen geredet hatte, damals, als sie noch arbeitete.

      Wie kommt er jetzt eigentlich darauf? Er war ja nie mit ihr im Büro, nicht in der Firma vorher und schon gar nicht bei dieser komischen Wohltätigkeitsorganisation, wo sie als Buchhalterin gearbeitet hatte. Aber das eine Mal, jetzt erinnert er sich, da hatte sie von zu Hause gearbeitet. Valerie hatte die Windpocken oder so. Auf jeden Fall war ihm furchtbar langweilig gewesen, und er hatte im Wohnzimmer gespielt. Er hörte sie telefonieren, und einen Moment war er nicht sicher, ob das wirklich sie war. Diese andere Stimme plötzlich. Diese andere Mutter, die sie war und dann gleich schon nicht mehr war, als sie nämlich auflegte und rummeckerte, weil er vergessen hatte, seinen Spielzeugkran wieder wegzuräumen.

      Das letzte Mal, als er hier war, haben sie kaum ein Wort miteinander gesprochen. Wobei das nicht ganz stimmt. Robert weiß nicht mehr, was er gesagt hat, oder ob er überhaupt irgendwas gesagt hat. Die ganze Erinnerung ist schemenhaft, dabei


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