hell/dunkel. Julia Rothenburg

hell/dunkel - Julia Rothenburg


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fällt auf, dass er sich seine Eltern überhaupt nicht mehr zusammen vorstellen kann. Wie lang ist es überhaupt her, dass er sie in einem Raum gesehen hat?

      Dass sie überhaupt jemals in einem Raum gewesen sein sollen, kommt ihm schon vor, als hätte er sich das ausgedacht. Als träumte man zwei Fantasiehelden zusammen. Superman und Spiderman. Immerhin einmal müssen seine Eltern wohl zusammen gewesen sein, das ist bewiesen.

      Aber doch, er erinnert sich jetzt auch zumindest an dieses eine Essen im Restaurant. Valerie war schon den ganzen Abend hibbelig gewesen, weil sie zu einem von Marcos Auftritten mitkommen durfte. Auftritte, so nannte Marco das. Robert fand es peinlich, ihm dabei zuzusehen, wie er in irgendwelchen überteuerten Restaurants Akkordeon spielte, dabei den lustigen Italiener mimte. Marco schenkte Valerie und der Mutter eine Blume, zwinkerte so komisch dazu, als wäre das alles ganz normal. Das war, bevor die Mutter und er sich endgültig verkrachten. Und das war das einzige Mal, dass sie zu dritt bei so einem bescheuerten Auftritt waren. Also saßen sie da an einem dieser gedeckten Tische mit allem Drum und Dran, sogar einem hässlichen kleinen Sträußchen in der Mitte auf der Tischdecke, und Robert aß eine Tomatensuppe, weil er sich nicht traute, etwas anderes zu bestellen, alles viel zu teuer. In solche Restaurants ging man einfach nicht, das wusste er auch schon mit elf oder zwölf. Valerie hatte glasige Augen, der Kellner brachte ihr einen Lolli.

      Robert kann sich, wenn er an seinen Vater denkt, nur an solche Restaurants erinnern. Vielleicht, weil ihre Treffen immer so stattfanden. Marco spielte, und Robert saß an der Seite, geduldet von den Kellnern, nur ein kleiner Junge, ach, gebt dem Knirps doch mal ’ne Cola.

      Woher weiß man eigentlich, fragt sich Robert, dass diejenigen, die behaupten, deine Eltern zu sein, das auch wirklich sind? Müsste man das nicht irgendwie spüren? Ein Wissen ganz tief drinnen? Stattdessen kann er sich seinen Vater ja kaum vorstellen, das Bild erscheint nur ganz langsam, und am leichtesten fallen ihm dabei immer die behaarten Unterarme. Unterarme, das ist es also, was am Ende bleibt. Von seiner Mutter hat er wenigstens Valerie, lauter Erinnerungen, lange her zwar, alle schon löchrig geworden durch die Zeit, aber eine Kindheit immerhin, etwas, das sich zusammensetzen lässt.

      Warum guckst du so komisch?, fragt Valerie.

      Der dicke Imbissbesitzer steht noch immer da. Lasst es euch schmecken, sagt er und schaut einen Moment zu lang zu Valerie. Valerie streicht ihr Haar nach hinten, sticht in ihre Pommes, ohne zurückzuschauen. Valerie kaut, schluckt. Robert vergisst fast seine eigenen Pommes.

      Danke, dass wir zusammen hingehen konnten, sagt sie. Ich finde es alleine immer unheimlich.

      Robert nickt. Die Pommes sind heiß, er schiebt sie im Mund herum. Valerie knabbert am fettigen Rand.

      Was hattest du für einen Eindruck?, fragt er.

      Die Frage ist blöd, das weiß er selbst, aber Valerie guckt noch immer so, als wäre sie gar nicht da. Ständig wandert ihr Blick umher.

      Ich weiß nicht, sagt sie. Okay? Wie immer.

      Sie ist richtig dünn geworden, sagt Robert.

      Valerie nickt. Stimmt. Aber sie war auch vorher schon dünn. Nicht so wie ich.

      Du bist nicht dick, sagt Robert. Doch überhaupt nicht.

      Valerie lächelt, ein ehrliches Lächeln, kurz huscht ihr Blick zu ihm.

      Weiß ich ja.

      Sie schweigen wieder, kauen. Der Imbissbesitzer schnippelt am Dönerspieß herum und summt dabei. Robert glaubt, dass er andauernd herüberschielt.

      Guck mal. Valerie zeigt nach draußen. Hinten haben sich die Wolken auseinandergeschoben, lila ist darunter der Himmel, davor die Bahngleise. Es sieht aus wie eine Berlin-Postkarte vom Touristenstand.

      Kitschig, sagt Robert.

      Aber schön, sagt Valerie.

      Wenn du meinst.

      Stell dir vor, sagt Valerie und wirkt auf einmal doch wie ein Kind. Sie rutscht sogar auf dem Stuhl herum. Stell dir vor, alles würde auf einmal wegbrechen, einfach zusammenbröckeln außerhalb dieses Fensters. Ich seh das so richtig vor mir. Wie in einem Film, man sieht uns hier sitzen in diesem Imbiss, und genau da, wo das Gebäude endet, bricht der Asphalt weg, einfach nach unten, als wäre die Straße ein Wasserfall.

      Du bist ein bisschen unheimlich, Valle.

      Nee, im Ernst, stell dir das mal vor.

      Sie hat sich vorgebeugt. Ihre Haare hängen schon fast in den Pommes.

      Ja, schon gut, ich seh’s ja vor mir.

      Ist doch irre, oder?

      Ja, ziemlich irre. Du bist irre.

      Idiot. Valerie schlägt in seine Richtung, trifft die Pommes, sie schlittern über den Tisch. Auf der schwarzen Platte ist jetzt ein Fettfleck, einige Pommes liegen verstreut drumherum.

      Jetzt musst du mir welche von deinen abgeben, sagt Robert.

      Valerie lacht.

      Der Imbissbesitzer glupscht schon wieder zu ihnen herüber.

      Du bist ein Idiot.

      Meinetwegen, sagt Robert und fängt Valeries Hand auf, bevor sie ihn trifft.

      Du guckst wohl noch immer so gerne Filme, sagt Robert.

      Wer schaut nicht gerne Filme, sagt Valerie.

      Wir könnten mal zusammen ins Kino, wenn du willst.

      Valerie guckt ein bisschen misstrauisch, findet er.

      Okay?, sagt sie. Es klingt wie eine Frage.

      Seine Stimme wird etwas zu hastig: Wir gucken auch, was du willst.

      Sie schweigt. Im Ernst, Robert, sagt sie dann und schiebt ihm ihre Pommes hin. Du musst mich echt nicht behandeln, als wär ich ein Baby oder so.

      Mach ich nicht, sagt Robert, er sagt es vielleicht schon wieder einen Tick zu schnell.

      Ich würde gern mit dir ins Kino. Wir stecken doch da jetzt zusammen drin. Aber wir müssen deswegen ja auch nicht zu Hause versauern oder so.

      Valerie nickt. Hatte ich nicht vor, sagt sie. Aber danke.

      Er hat es verkackt, er weiß es. Dabei hatte er das doch alles so gut durchdacht. Wenn Sie Ihrer Schwester das Gefühl geben wollen, da zu sein, dann müssen Sie das auch klar artikulieren. Schreiben Sie ihr doch einen Brief.

      Wie er es hasst, dass er sich alles, was die Psychotante gesagt hat, so gut merken kann. Na ja, fast alles. Manchmal hat er sich auch nur das Nebensächlichste gemerkt. Sandra hat immer gesagt, dass er hinterher alles aufschreiben soll, die wichtigsten Punkte, die neuen Erkenntnisse. Hier, in dieses Notizbuch. Sie hielt ihm ein kleines blaues Ding hin mit einem Kugelschreiber dazu. Der Aufkleber von Woolworth war noch dran.

      Einmal hat er es sogar versucht, aber seine Gedanken sind anders, wenn er sie aufschreibt, haben eine andere Stimme. Das bringt nichts. Da könnte er auch gleich Fantasy-Geschichten schreiben. Oder einen ausgedachten Dialog mit Sandra.

      Trotzdem würde er sich dann jetzt vielleicht an mehr erinnern als an diese blöden Merksprüche. Oder an den faltigen Ausschnitt der Psychotante, der Krater zwischen ihren Brüsten, der links und rechts von feinen Rissen gesäumt ist.

      Valerie kaut auf einer Pommes herum, schaut ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

      Ich werde jetzt erst mal hierbleiben, sagt Robert. Bis wir wissen, wie’s weitergeht. Also, du musst dir keine Sorgen machen, dass ich – wir stehen das zusammen durch. Wirklich, versprochen. Hundert Prozent. Und das hat nichts damit zu tun, dass du ein Baby bist. Auch Hundert Prozent.

      Valerie sagt nichts dazu, aber sie lächelt ein wenig.

      Der Imbissbudenbesitzer stellt das Radio lauter und Valerie schaut nach draußen.

      Später sitzt Robert auf dem Sofa und fühlt sich irgendwie an gestern Nacht erinnert. Schon wieder ist es draußen fast schwarz, weil das Licht


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