hell/dunkel. Julia Rothenburg

hell/dunkel - Julia Rothenburg


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      In der Küche sitzt Robert am Tisch und blättert in der Zeitung. Valerie wusste gar nicht, dass er sich für Politik interessiert. Robert liest mit gerunzelter Stirn, in der einen Hand hält er ein halb angegessenes Brötchen.

      Robert schaut auf. Ich hab Brötchen geholt, sagt er. Setz dich.

      Danke, lieb von dir.

      Bevor Valerie irgendwas machen kann, hat er ihr schon einen Teller geholt, ein Glas Orangensaft eingeschenkt. Er trägt wieder das weiße T-Shirt, die Ärmel sitzen so, dass man einen Teil seiner Oberarme sehen kann. Sie sind weißer als der ganze Rest von ihm, wahrscheinlich die weißeste Stelle an seinem Körper, denkt Valerie.

      Ich dachte, weil heut doch Samstag ist, sagt Robert. Hast du irgendwas Besonderes vor?

      Nein, sagt Valerie. Du?

      Nein, sagt Robert.

      Ach doch, ich muss ja lernen, Lerngruppe, Mathe. Sie nimmt die Tasse Kaffee, die Robert ihr jetzt hinhält. Bei Ivana.

      Ich glaube, ich erinnere mich an sie, sagt Robert, nickt, schaut dann wieder in die Zeitung. Valerie findet, er hat heute etwas bemüht Gleichgültiges. Noch nie hat er so erwachsen gewirkt. Nicht mal rasiert hat er sich.

      Hattest du einen schönen Abend?, fragt er.

      Ja, sagt sie. War okay.

      Sie denkt daran, wie plötzlich Alis Freunde aufgetaucht sind. Ein Zufall, sagte Ali, aber sie waren den ganzen Abend geblieben. Valerie hatte dazwischen gesessen und gelächelt und genickt, ganz automatisch, sie hasste das, aber die Art, wie die anderen sprachen, war ihr fremd. Ab und zu hatte Ali den Arm um sie gelegt und zu ihr hingeschaut. Er redete wie immer viel zu laut, damit alle ihn hören konnten. Worum war es noch mal gegangen? Valerie hatte das Buch nicht gelesen, ihr fällt nicht mal mehr der Titel ein. Wie lächerlich ihr das jetzt vorkommt.

      Auch mit Ivana?, fragt Robert und schaut ganz schnell zu ihr hin, wieder weg. Sie verbrennt sich die Zunge an dem Kaffee, heiß kraucht es ihr die Speiseröhre entlang bis ins Herz hinein.

      Nein, sagt sie. Ich war mit einem Freund unterwegs. Ali, fügt sie hinzu, weil Robert immer noch guckt.

      Robert nickt, schaut zur Zeitung, schaut zu ihr zurück.

      Dein Freund?

      Valerie zuckt mit den Schultern, Robert stopft sich sein Brötchen in den Mund. Sie denkt wieder an Alis Arm, den er wegzog, wenn einer der Freunde zu lange zu ihnen herüberschaute. Valerie wäre es lieber gewesen, er hätte sie gar nicht erst angefasst.

      Und bei dir? Wie läuft’s da. Frauentechnisch?

      Jetzt zuckt Robert mit den Schultern, grinst dazu. Valerie muss auch grinsen. Wie Idioten sitzen sie da.

      Valeries Handy piept.

      Du bist ja sehr gefragt, sagt Robert, er sagt es spöttisch, trotzdem ist da noch dieses leichte Lächeln in seinem Gesicht.

      Ivana fragt, ob wir uns hier treffen können. Ihr Bruder hat Magen-Darm, sagt Valerie.

      Klar, sagt Robert. Ich stör auch nicht.

      Er faltet die Zeitung zusammen. Es sei denn, natürlich, ihr führt Mädchengespräche.

      Halt die Klappe, sagt Valerie. Sie grinst noch immer. Aber jetzt ist es anders, Robert zwinkert und steht auf, bleibt kurz bei ihr stehen, geht dann doch weiter.

      Heute bist du dran mit Einkaufen, ruft er von der Tür.

      Ivana und Nathalie wirken wie Fremdkörper in der Wohnung. Seit die Mutter weg ist, nur Robert und sie da sind, ist hier alles so ruhig geworden. Beinahe fühlt es sich erst jetzt wie ein Zuhause an. Valerie merkt das, weil sie es nicht leiden kann, wie Ivana und Nathalie den Küchentisch zumüllen, ihre Jacken auf das Sofa schmeißen. Ivana nimmt alles in die Hand, so macht sie das immer, als könnte es dadurch ihr gehören. Valerie mag es nicht, wie sie ihre Blicke über die Bilder im Flur gleiten lässt. Eines zeigt Robert und sie als Kinder, es wirkt irgendwie deplatziert. Auch das fällt Valerie erst jetzt auf. Es ist schrecklich, dass sie in dem Moment, wo die anderen hingucken, automatisch auch alles noch einmal kritisch beäugt: die von den Schuhen dreckige Tapete, der zerkratzte Fußboden, die feine Staubschicht auf dem Bücherregal, in dem ein vergilbtes Glas mit Cent-Münzen steht. Und diese blöde Porzellanfigur, die der Mutter so wichtig ist. Beinahe ärgert sie sich, dass sie sie nicht weggeräumt hat. Dabei ist ihr die Figur nie wirklich aufgefallen. Nur jetzt schaut ihr dieser Engel so kindlich und schaurig im Flur entgegen. Als wolle er sie prüfen oder so.

      Robert kommt, als sie fast mit den Hausaufgaben durch sind. Seine Haare sind nass und liegen platt am Kopf. Und er trägt ein Hemd, als hätte er sich schick gemacht.

      Robert sieht ihren Blick, nickt den anderen nur schnell zu und verschwindet wieder.

      Ich wusste gar nicht, dass dein Bruder auch da ist, sagt Ivana.

      Zu Besuch, sagt Valerie. Ivana nickt und lächelt ganz komisch, ihre Augen hat sie aufgerissen. Will er sich nicht zu uns setzen?

      Nee, lass uns das zu Ende machen, wir werden sonst nicht fertig. Ich hab keine Lust, hier ewig rumzusitzen.

      Ist ja gut, sagt Ivana und spitzt die Lippen. Ich meine ja nur.

      Ich hab sowieso keine Lust mehr, sagt Nathalie, die Stimme ganz weinerlich. Wieso müssen wir das können? Ich hasse das. Nie wieder werde ich das später brauchen, stimmt doch, oder?

      Ich finde, dein Bruder sieht echt gut aus. Ivana nickt schon zur Tür, hinter der man Robert im Flur rumpeln hört. Dann kommt er doch wieder in die Küche, schaut in den Kühlschrank.

      Na, wie kommt ihr voran?, fragt er über die Schulter.

      Super, sagt Ivana. Aber wir haben keine Lust mehr.

      Ist ja auch Mathe, sagt Robert.

      Nathalie schaut schüchtern auf ihr Heft, aber Ivana wirft jetzt die Haare nach hinten. Beinahe noch schlimmer ist das, als all ihre Sachen in der Wohnung liegen zu sehen.

      Wie wär’s, willst du uns vielleicht ablenken?, fragt sie, die Stimme plötzlich ganz hell.

      Robert dreht sich um, lächelt, ein anderes Lächeln, als Valerie es kennt. Kriegt er so die ganzen Frauen rum? Valerie möchte es ihm am liebsten aus dem Gesicht wischen. Seine Haare liegen nach wie vor platt da, es sieht lächerlich aus. Sie weiß gar nicht, wo diese Wut plötzlich herkommt, aber sie sitzt ihr jetzt im Schoß wie ein kläffender Hund.

      Ich glaube, das fände Valerie nicht so gut, sagt Robert, lächelt noch breiter. Sie nimmt das mit dem Abi doch sehr ernst.

      Na ja, wir sehen das nicht alle so, sagt Ivana, lächelt auch noch breiter.

      Von mir aus können wir auch aufhören, sagt Valerie, steht auf.

      Nathalie rutscht erschrocken ein Stück zurück.

      Aber dann lasst uns wenigstens was anderes machen und nicht blöd hier drin rumsitzen.

      Vielleicht rempelt sie Robert absichtlich ein wenig an.

      Mein Stichwort, sagt Robert, ich muss dann mal. Bis später, Valerie. Und bis bald, er schaut zu Ivana. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.

      Würde mich freuen. Ivana klickt mit den Fingernägeln ganz komisch auf dem Küchentisch.

      Valerie wendet sich zum Fenster und verdreht die Augen, der Baum auf der anderen Seite der Straße winkt mit kahlen Zweigen zurück.

      Will jemand einen Kaffee?, fragt sie dann, weil sie nicht wirken will wie ein bockiges Kind.

      Aufatmen kann sie trotzdem erst, als die Tür zufällt. Robert ist weg. Nathalie schaut sie an wie eine Seekuh und Ivana lächelt mit gespitzten Lippen.

      Echt süß, dein Bruder, sagt sie. Kaffee, mit Milchschaum, wenn du hast.

      6

      Von der Straße aus wirkt das Haus dunkel, wie Insektenaugen


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