hell/dunkel. Julia Rothenburg

hell/dunkel - Julia Rothenburg


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heute, heute wollte er ja, heute hätte er endlich gekonnt. Und genau heute hat er nicht mit ihr sprechen können. Nur kurz war sie aufgewacht, als er kam. Davor hatte er allerdings schon minutenlang dort gestanden und sie angestarrt. Das Bild, wie sie da liegt, schlafend, aber nicht friedlich, nicht wie Valerie schläft, so ruhig und gleichmäßig, sondern eher wie ein Stein, hat sich eingebrannt. Trotzdem sieht sie im Schlaf gar nicht so krank aus. Erst im Reden verzerrt sich ihr Gesicht zu dieser Schmerzensmaske.

      Robert, hatte sie gesagt, schön, dass du gekommen bist. Ob da wirklich Freude war hinter dieser Maske? Er hatte auf Wut gewartet, genau wie bei Valerie, stattdessen auch bei ihr nur Schweigen.

      Wo hast du Valerie gelassen?

      Sie konnte nicht, die Schule, sagte er, und sie sagte nichts dazu, sondern verzog nur weiter das Gesicht, ließ es dann plötzlich erschlaffen und schloss die Augen.

      Nichts sieht älter aus, denkt Robert jetzt, als dieses Erschlaffen, Spannung verlieren, wie ein alter, schon schrumpelig gewordener Ballon. Als wäre es möglich, noch im Leben alles aus einem Gesicht abzulassen, als eine Art Vorgeschmack auf den Tod, auf das völlige Luftverlieren.

      Es ist schön, sagte sie, man bekommt ja so selten Besuch.

      Du bist doch erst seit ein paar Stunden hier, wollte er sagen, sagte es aber nicht, sondern setzte sich.

      Wie ist die andere?, fragte er.

      Eine unerträgliche Person, sagte die Mutter und ließ die Augen geschlossen. Immerzu muss sie sich beschweren.

      Du kannst ruhig wieder gehen, sagte sie irgendwann.

      Aber Robert blieb sitzen. Erst als lärmend die Tür geöffnet wurde, stand er auf. Eine ältere Frau kam herein, begleitet von drei jüngeren, dahinter huschte eine Pflegerin durch den Gang, blieb schließlich stehen und nickte ihm zu.

      Ich bin der Sohn, sagte er, aber er sagte es in den leeren Gang, die Pflegerin war schon fort.

      Erst jetzt, wo die Anstrengung ihm langsam aus den Gliedern sickert, merkt er, wie müde er ist. Wie erschöpft, als liefe auch aus ihm alles heraus.

      Er muss sich noch das Bett in der Kammer beziehen, oder das Sofa, oder aber, er legt sich einfach so auf das Sofa, wartet, dass er wegdöst, genau wie Valerie, die sich ja schließlich auch nicht abgeschminkt hat. Wahrscheinlich ist sie einfach beim Musikhören eingeschlafen.

      Auch das hatte er sich anders vorgestellt. Schließlich ist er das vorher tausendmal durchgegangen, das Wiedersehen. Damit er diesmal alles richtig macht. Er hatte sich auf einen Streit eingestellt, auf Weinen. Auf irgendwas. Er hätte es genommen, wie es gekommen wäre.

      Stattdessen: nichts. Er hat keine Ahnung, was hinter Valeries Puppengesicht vor sich geht, hinter dieser zerbrechlichen Härte.

      Robert holt sich eine Decke, legt sich hin, schließt die Augen. In der Wohnung unter ihm muss der Fernseher laufen, er hört es durch den Fußboden. Er lauscht auf das Murmeln, irgendwo gibt es ein Knacken, von draußen vielleicht.

      Wie viel sich verändert hat, denkt Robert, seit er das letzte Mal hier war. Selbst die Wohnung fühlt sich anders an. Fremd und trotzdem vertraut. So, als wäre es eine neue, die man ihm anstelle der alten untergeschoben hat, die genauso aussieht, dieselben Möbel, dieselbe Schwester. Aber alles Statisten. Selbst die Vorhänge.

      Robert lauscht seinem eigenen Atem. Der Schlaf kommt nur langsam. Irgendwann in der Nacht fängt es wieder zu regnen an.

      3

      So sonnenbestrahlt ist die Welt am nächsten Morgen, dass Valerie sich erst blinzelnd daran gewöhnt. Es ist ungewöhnlich warm, die Küche schimmert gelblich wie im Sommer. Wenn es nur wirklich Sommer wäre, denkt sie. Wie sie diese Zwischenzeiten hasst. Immerzu dieses Warten.

      Und jetzt wartet sie auf Robert. Aber sie versucht wenigstens, irgendetwas anderes zu machen. Ein Kreuzworträtsel, Hausaufgaben. Wie ein Bürokrat hat sie alles auf dem Küchentisch aufgereiht, in kleinen Häufchen nebeneinander, als wollte sie alles abarbeiten. Stattdessen schiebt sie es nur hin und her.

      Als Robert in die Küche kommt, isst sie gerade eine Schale Müsli.

      Na du, sagt Robert und hebt die Arme zum Kratzen. Er trägt ein weißes T-Shirt, unter dem seine Haut irgendwie dunkel aussieht, viel dunkler als ihre, ohnehin ist alles an ihm dunkler. Valeries Haare sind blond, wie Weizen oder wie Sonne oder wie ein Pissfleck in giftigem Gelb. Aber das erst, seitdem sie vor ein paar Monaten versucht hat, sie zu färben. Wie sie da standen, in Ivanas kleinem Bad. Sieht doch gar nicht mal so schlecht aus, sagte Ivana, und während sie das sagte, befummelte sie ihr eigenes Weizenhaar. Nathalie machte ein Gesicht wie ein verschrecktes Reh und schaute in die Dusche, wo alle zehn Sekunden der Wasserhahn einen Tropfen in die Wanne spuckte. Oh Gott, sagte Valerie und musste dann lachen. Über alles und am meisten über Nathalies Gesicht im Spiegel neben ihr, neben ihren Pissehaaren und ihrem Gesicht, das noch so rund war, dabei ist das gar nicht so lange her.

      Valerie steht auf. Dann setzt sie sich doch wieder, blättert stattdessen in einem Buch, in welchem, weiß sie nicht, sie schaut gar nicht hin, nicht zu dem Streifen Haut über Roberts Hose, den man jetzt sieht, schwarze Härchen wie eine Dreckspur nach unten.

      Na du, sagt Robert noch mal und setzt sich gegenüber, lässt sich richtig fallen, als müsste er sich selbst etwas beweisen. Er sieht müde aus, seine Haare sind verstrubbelt.

      Du warst lange weg, sagt Valerie und ärgert sich, weil sie klingt wie die Mutter. Aber das stimmt nicht ganz, die Mutter hätte gar nichts gesagt, nur geguckt hätte sie mit einem Blick, der viel mehr sagt und der einem viel nachhaltiger das schlechte Gewissen in den Magen pumpt.

      Ich weiß. Robert fährt sich mit den Händen über das Gesicht.

      Wie geht es Mama?, fragt Valerie und fragt sich, wieso sie sich eigentlich so anstrengt, unbeteiligt zu klingen.

      Ich hab mir Sorgen gemacht.

      Sie sieht echt nicht gut aus, sagt Robert. Ganz bleich und so, aber na ja, du hast sie ja gesehen. Sie kriegt jetzt Blut, das wird schon.

      Okay, sagt Valerie. Aber haben sie?

      Nein, nein. Robert schüttelt den Kopf dazu, als reichten die Worte nicht. Ist erst mal okay so, denke ich. Scheint alles okay zu sein. Aber sie ist natürlich nicht so froh, dass sie wieder da ist.

      Sie schweigen, und Valeries Löffel klirrt in der Müslischale.

      Okay. Und wann willst du sie das nächste Mal besuchen?

      Heute, sagt Robert. Vielleicht können wir ja gehen, wenn du aus der Schule kommst. Ich meine, wenn du willst.

      Ich habe aber bis Nachmittag, sagt Valerie, wieder klirrt es, und sie legt den Löffel beiseite. Na gut, okay. Sie seufzt. Meinetwegen.

      Okay, Valle, so machen wir das. Er kneift die Augen ein bisschen zusammen, wie wenn er echt lächelt, wenn er es ernst meint, hat er schon immer. Und obwohl seine Augen nur noch kleine braune Schlitze sind, sind sie ganz auf sie gerichtet.

      Da ist plötzlich ein warmes Gefühl in ihr, das sie schon lange nicht mehr gespürt hat. Sie lächelt zurück, und ihr fällt auf, dass sie auch das schon lange nicht mehr gemacht hat.

      Das leichte Lächeln bleibt in ihrem Gesicht, als sie auf die Straße tritt. Aber ihr Rucksack ist schwer von all den Büchern, und nach wenigen Schritten ziehen sich ihre Mundwinkel ganz von alleine nach unten. Jetzt ist ihr nur noch übel, weil sie zu wenig gegessen hat.

      Je näher sie der Schule kommt, desto absurder erscheint ihr das alles. Als liefe sie gar nicht zur Schule, als gäbe es gar keine Schule, als versuchte sie, etwas ganz Unmögliches zu erreichen, unerreichbar und doch sichtbar wie hinter einer Glaswand.

      Vor den Toren stehen schon die anderen, in Gruppen wie zusammengeklumpte Zellen, ab und zu stößt jemand daraus hervor, meistens ein Junge, stolpert auf die Straße, auf der sich die Autos schieben.

      Vom Sportplatz gegenüber kommt ein Pfeifen, in der Mitte sieht man Figürchen


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