hell/dunkel. Julia Rothenburg

hell/dunkel - Julia Rothenburg


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Zimmer und lernt. Zumindest hat sie das gesagt. Man hört leises Dudeln von Musik. Am liebsten würde Robert klopfen, noch mal mit ihr sprechen. Nur, worüber, weiß er auch nicht so recht.

      Sein Handy klingelt erneut. Er schiebt es unter das Sofakissen, er will Valerie nicht stören. Wahrscheinlich hört sie es ohnehin nicht. Er zieht das Handy wieder hervor, starrt auf den Namen.

      Wenn Sandra doch einfach mal aufhören würde, immer genau dann anzurufen, wenn es ihm am wenigsten passt.

      Er wartet, bis es aufhört zu klingeln, dann schreibt er eine SMS, schickt sie nicht ab.

      Seitdem er hier ist, kommen ihm seine Probleme mit Sandra weit weg vor, und noch weiter entfernt ist der ganze Rest, der ganze Azubischeiß, die Firma, die anderen.

      Seit er hier ist, ist alles, was mit Marburg zu tun hat, irgendwie verflogen, in ihm verstreut. Er könnte es sicher zusammenkratzen, wenn er wollte. Er hatte das vorgehabt. Sich mal hinsetzen und nachdenken, nach vorne schauen. Nicht ganz so, wie die Psychotante ihm das geraten hat. Nicht mit diesen Kärtchen. Aber trotzdem, einfach mal alles ordnen. Jetzt, wo er wieder auf dem Damm ist, wo er alles in Ordnung bringen kann. Nur, jetzt hat er keine Lust mehr dazu. Jetzt ist es auch egal.

      Robert steht auf, sucht in den Schränken. Es ist überhaupt nichts mehr zum Essen da. Nicht einmal Nudeln. Er fragt sich, wie Valerie und die Mutter hier zusammen gewohnt haben. So wie es in den Schränken aussieht, war bestimmt kaum jemand hier. Beide sind irgendwie verschwunden, die Mutter in der Krankheit und Valerie, wohin, weiß er auch nicht.

      Ich geh einkaufen, brüllt er in den Flur. Es kommt keine Reaktion, nur die Musik dudelt weiter. Okay, ruft Valerie dann, ein dünnes Stimmchen.

      Die frische Luft draußen ist angenehm. Er überlegt, vielleicht jemanden anzurufen, ein Bier zu trinken. Aber wen könnte er schon fragen? Seine alten Kiffer-Kumpels bestimmt nicht, jetzt, wo er das endlich alles hinter sich hat. Aber das andere Früher ist schon zu lange her, seine Schulfreunde, er kennt ja kaum noch die Namen. Dann fällt ihm Eric ein. Ein Aussteiger wie er. Aussteiger, das klingt natürlich nach viel zu viel. Aber genauso fühlt er sich schließlich.

      Wenn er darüber nachdenkt, hat er doch keine Lust auf Eric. Allein die Fragen. Trotzdem, er muss jetzt gut aufpassen, sich nicht hängen lassen. Das hatte er schon, er kennt die Gefahr. Vielleicht könnte er Fußball gucken gehen mit Eric, irgendwas Unverfängliches.

      Er hat das Handy schon in der Hand. Als er die SMS von Sandra sieht, steckt er es schnell zurück.

      Im Kaiser’s ist es rappelvoll. Er erinnert sich gut an die Arbeit hier, er hatte meistens die Spätschicht. Hoffentlich trifft er niemanden, den er kennt. Aber die Kassierer sind alle jung, vermutlich Schüler, sitzen genauso gelangweilt da wie er damals. Es war trotzdem ein tolles Gefühl, Geld zu haben, das weiß er noch. Wie stolz er war, als er an die Kasse durfte, nicht nur Regale einräumen. Nicht, dass das was gebracht hätte. Er hat es natürlich versiebt damals, so wie alles.

      Valerie ist nie über das Regale-Einräumen hinausgekommen, soweit er weiß. Als die Mutter krank wurde, hat sie aufgehört.

      Das ist so lange her, er erinnert sich kaum noch an die Details. Vielleicht sollte er Valerie fragen, wie es für sie war. Vielleicht sollten sie sich zusammensetzen und alles durchsprechen, sich gemeinsam erinnern. Der Kaiser’s ist eigentlich ein guter Ansatzpunkt. Damals waren sie beide anders und das Leben irgendwie gleichförmig. Damals hätte ihm die Psychotante das mit den Kärtchen gar nicht erst erzählen müssen.

      Robert hievt seine Einkäufe auf das Band und wartet, bis der kleine Pickelige alles über den Scanner gezogen hat.

      Könnte ich Ihren Ausweis sehen?, fragt der Junge, schaut ihm dabei nicht in die Augen. Entschuldigen Sie, ich muss das fragen.

      Klar, sagt Robert, möchte fast lachen.

      Ich bin dreiundzwanzig, sagt er. Bitteschön.

      Er weiß, dass er auf dem Ausweis ganz anders aussieht, dicker, glücklicher. Das Bild ist fünf Jahre alt.

      Der Pickelige nickt, der hinter ihm wartet schon und Robert schiebt seinen Wagen davon.

      Zu Hause steht Valerie im Flur und hat bereits ihre Jacke an.

      Wo willst du hin?, fragt er.

      Mal raus, sagt sie.

      Bist du verabredet?

      Sie sieht irgendwie anders aus. Hat sie sich noch mal nachgeschminkt? Ihr Puppengesicht ist jetzt wieder da, ihre Augen sind groß und glasig.

      Ja, sagt Valerie, ein Freund.

      Aha, sagt Robert. Ich wollte eigentlich was kochen.

      Sorry, sagt Valerie. Hat sich spontan ergeben.

      Nein, nein, schon okay, sagt Robert, versucht, entspannt zu wirken. Sie sieht so erwachsen aus mit diesem roten Mund. Es steht ihr nicht. Es sieht billig aus, wenn die Lippen so glänzen. Das hat er mal zu Sandra gesagt. Zu Valerie würde er so was nie sagen. Stimmen tut es trotzdem.

      Dann ein anderes Mal, du musst schließlich auch mal was Richtiges essen.

      Valerie verdreht die Augen.

      Sie stehen sich im Flur gegenüber, und vom Hausflur zieht muffig feuchte Luft herein.

      Ich geh dann mal, sagt Valerie. Warte nicht, ich weiß nicht, wie spät es wird.

      Robert fragt nicht nach, er will es, aber er hält sich zurück. Gibt es eine Uhrzeit, wann sie zu Hause sein muss? Ist das überhaupt seine Aufgabe? Sie ist erwachsen, sagt er sich, sie weiß, was sie tut. Nicht bedrängen, leben lassen.

      Viel Spaß, sagt er.

      Danke, dir auch.

      Wie kann es sein, denkt er dann, dass zwischen dem hier und vorhin im Imbiss nur wenige Stunden liegen. Dass man in dem einen Moment so ein Gefühl hat, so eine Stimmung, und im anderen ein ganz anderes Gefühl, als hätte es nie einen Übergang gegeben, als sei alles, was man fühlen oder denken kann, ganz unverbunden, kleine Fetzchen im Nichts.

      Die Tür rumst, bevor er noch etwas sagen kann. Und wie ein Idiot steht er da mit seinen Taschen, während über ihm die Lampe im Takt von Valeries Schritten wankt.

      5

      Valerie liegt im Bett und denkt an Ali. Immer, wenn sie sich treffen, hat sie danach noch so ein Summen im Kopf. Alles, was er gesagt hat, wirbelt dann in ihr herum, will gar nicht mehr aufhören. Dazu sein Gesichtsausdruck, leicht mürrisch, die verstrubbelten Haare, die Kleidung, die ihm zu groß zu sein scheint und doch sitzt wie angegossen.

      Draußen scheint heute die Sonne und Valerie blinzelt, als das Licht ihr Kissen trifft. Sie hört Robert in der Wohnung lärmen, aber sie will nicht aufstehen.

      Wie kommt es nur, dass sie Ali am nächsten Morgen immer so lächerlich findet? Dabei ist sie jedes Mal, wenn sie ihn trifft, in diesem Strudel, sie will dann ja gar nicht weg von ihm. Über Nacht erst zeigen die Bilder in ihrem Kopf ihr ein albernes Männchen. Seine großen Ohren sind nahezu grotesk hässlich, jetzt, wo sie sie so vor sich sieht. Nur, wenn sie ihm direkt gegenübersteht, versprüht er seinen Charme.

      Das war schon bei ihrem ersten Treffen so, damals auf der fête de la musique. Er tanzte nicht, wippte nur mit den Knien auf und ab, und Valerie hatte kurz gedacht: Was für ein alberner Vogel. Aber die Schiebermütze gefiel ihr, darunter quollen die braunen Haare hervor, wie bei einem Jungen in so einem alten Film. Sie hatte ihn die ganze Zeit heimlich beobachtet, und als er sie schließlich ansprach, war sie furchtbar aufgeregt gewesen. Erst später war ihr aufgefallen, dass ausschließlich er geredet hatte, seine Musik, seine Bücher, die Gedichte, die er schrieb. Er schickte ihr eines, es war lächerlich. Aber irgendwie wollte Valerie sehen, wohin das führte. Ob er ihr auch eines schreiben würde, nur zum Spaß.

      Aber Spaß, das ist auch etwas, das man aushalten muss.

      Wenn der nächste Tag nicht wäre und seine Stimme dann nicht andauernd in ihrem Ohr weiternäseln würde, wäre es einfacher.


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