Geheilt statt behandelt. Prof. Dr. Harald Prof. Dr. Schmidt

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und massives Übergewicht werden gern als eine Pandemie bezeichnet, mit dramatischen Folgen für unser Gesundheitssystem beziehungsweise mit Einschränkungen der Lebenserwartung und Lebensqualität für Millionen von Menschen. Doch im Vergleich zu der Covid-19-Pandemie ab 2019 ist Diabetes keine schicksalhafte, schwer zu verhindernde, über die Welt hereingebrochene Pandemie. Mit den einfachen, gezielten und nachhaltigen Lebensstilmaßnahmen wäre es möglich, die Krankheitsrate von Diabetes wieder auf das Niveau der 1950er-Jahre zurückzubringen und das ohne Medikamente. Dann hätten wir auch wieder nur Alters- und keinen jugendlichen Typ-2-Diabetes mehr. Für Altersdiabetes, der auch ohne Über- und Fehlernährung auftritt, gibt es wahrscheinlich Risikogene, über die Forschung und eine vorbeugende Arzneimittelentwicklung sinnvoll sein könnten, nicht aber für den überwiegenden Rest der heutigen Diabetiker. Deren Diabetes mellitus ist überwiegend kein medizinisches, sondern vielmehr ein politisches Problem: der fehlende Wille zu echter Prävention und diese zudem auch durchzusetzen und zu finanzieren. Nicht viel anders ist es in weiteren Feldern von Lebensstilrisiken: Auch hier mangelt es an gesundheitspolitischem oder ökonomischem Willen zur echten Prävention.

      Rotes Fleisch

      Den Ball bei Zucker flach zu halten, ohne ihn ganz zu verbieten, und dies auf verschiedene Weisen auch durchzusetzen wäre einer der wichtigsten Präventionsimperative. Der einfachste Ansatz wäre, eine Zuckersteuer zu erheben, die auf all die gesundheitlichen Langzeitschäden einzahlt, die Zucker verursacht. Andere Länder haben es schon vorgemacht.46

      Ähnlich deutlich wie bei Zucker ist die Sachlage bei rotem Fleisch, dem Muskelfleisch von Rind, Schwein, Lamm oder Wild.47 Zucker und rotes Fleisch (insbesondere verarbeitet48 in Wurst- und anderen Fertigwaren) sind die Lebensmittel, bei denen eine Reduktion den deutlichsten Effekt auf die Gesundheit hat. Rotes Fleisch erhöht das Risiko für Gesamtsterblichkeit, vor allem für Krebs. Immer mehr junge Menschen, vor allem im Alter von 20 bis 2949, erkranken an Darmkrebs, während dieser bei 50-Jährigen durch Früherkennungsdarmspiegelungen rückläufig ist. Eigentlich müsste das Screening-Alter dringend auf 45 Jahre gesenkt werden. Dasselbe gilt für das Sterblichkeitsrisiko infolge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen; auch dieses korreliert mit dem Verzehr von rotem Fleisch. Ursächlich beteiligt hieran scheint Trimethylamin-N-oxid (TMAO) zu sein, eine Substanz, die unser Darm-Mikrobiom aus Cholin, Phosphatidylcholin (Lecithin) und L-Carnitin herstellt.50 Lebensmittel mit hohem Cholin- und L-Carnitin-Gehalt sind Fleisch, Energydrinks und Eiweiß-Shakes. Rotes Fleisch verändert auch die Darmflora hin zu TMAO-produzierenden Bakterien; umgekehrt werden diese durch vegetarische Ernährung oder weißes Fleisch verringert.51

      Alkohol

      Neben Rauchen, von dem inzwischen jeder weiß, dass es – trotz Tabakwerbeverbot und erhöhter Tabaksteuer – noch immer die Gesundheit vieler Menschen massiv schädigt, taucht auch Alkohol unter den acht wesentlichen und vermeidbaren Gesundheitsrisiken auf. Da könnte der geneigte Leser spontan entgegenhalten: Aber ein geringer Alkoholkonsum, das Gläschen Rotwein am Abend, ist doch gesund? Leider nein. Die Diskussion um Alkohol ging in den letzten Jahrzehnten hin und her. Von „kein Alkohol“ zu „möglichst wenig“, von „welcher Alkohol ist egal“ zu „nur Rotwein ist gesund“ und wieder, dass es egal sei, woher der Alkohol komme, Hauptsache wenig. Aktueller Stand durch eine gigantische vorausschauende Untersuchung an einer halben Million Menschen über zehn Jahre hinweg, also keine rückschauende Korrelation: Es steht nun fest, dass es keine gesunde Höchstmenge an Alkohol gibt. Gen-Varianten erklären etwa die Hälfte des durchschnittlichen Alkoholkonsums; Umweltfaktoren wie Stress sind zusätzliche Auslöser. Alkohol erhöht also generell das Risiko für einen Schlaganfall um etwa ein Drittel pro 280 Gramm Alkohol pro Woche. Bei keiner Menge kommt es zu einer schützenden Wirkung durch leichten oder mäßigen Alkoholkonsum.52 Warum auch? Es muss ja nicht alles im Leben gesund sein, was Spaß macht oder Genuss bringt. Daher muss man Alkohol nicht verbieten, aber eine Steuer entsprechend dem damit assoziierten gesundheitlichen Risiko, das ja dann wieder von der Solidargemeinschaft, also uns allen, aufgefangen werden muss, wäre wie beim Zucker angebracht. Prost!

      Pflanzlich und frisch

      Nach den drei einzig sinnvollen Ernährungsbeschränkungen (Zucker, rotes Fleisch und Alkohol) folgt noch eine einzige sinnvolle positive Ernährungsempfehlung. Was ist nun erwiesenermaßen gesundheitsförderlich? Eine pflanzliche Ernährung mit viel Gemüse und Obst. Sie wird oft als mediterrane Diät bezeichnet, aber das trifft es eigentlich nicht ganz.53 Zum einen fallen nicht alle Komponenten der mediterranen Ernährung darunter, zum anderen ist es keine Diät. Fakt ist jedoch, dass in Ländern des Mittelmeerraums wie Spanien, Griechenland und Italien die Sterblichkeit aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Vergleich zu nordeuropäischen Bevölkerungsgruppen oder den USA niedriger ist. Genauer lässt sich eine gesundheitsfördernde Ernährung mit ihrem Gehalt an löslichen und unlöslichen Ballaststoffen beschreiben54, und dies erzielt man eben am besten durch eine pflanzliche Ernährung (Gemüse, Obst und Vollkornprodukte).55 Lösliche Ballaststoffe befinden sich vor allem in Obst und Gemüse, unlösliche Ballaststoffe vorwiegend in Getreide und Hülsenfrüchten.56 Leider ernährt sich nur ein Bruchteil der Menschen in Deutschland gesund, frisch und ausgewogen. Daher ist es fatal, dass nur noch 40 Prozent der Deutschen jeden Tag selbst kochen; die anderen essen hochgradig prozessierte Industrieprodukte57, die die Menschen dazu veranlassen, noch mehr zu essen.58

      Diese zwei Leitlinien – viel pflanzlich, wenig Zucker/rotes Fleisch/Alkohol – beschreiben hinreichend die relevante Evidenz, was Prävention durch gesunde Ernährung betrifft. Mehr müssen Sie nicht wissen. Mehr Wissen gibt es auch nicht. Es ist mir ein Rätsel, wie selbst ernannte Ernährungsgurus ohne jegliche wissenschaftliche Evidenz hiervon abweichende, mit religiöser Inbrunst vertretene Ernährungsmythen generieren oder wie deren Jünger ihnen folgen und mehrere 100 Seiten dicke Ernährungskompasse lesen können. Gesunde Ernährung ist simpel, sollte in jedem Kindergarten geübt und Teil des Schulunterrichts werden, einschließlich selbst kochen.

      Bewegung plus Kraft plus Beweglichkeit

      Das nächste wichtige Risikoverhalten ist zu wenig Bewegung und mangelhafte körperliche Fitness. Sitzen ist das neue Rauchen, ganz besonders in Corona-Zeiten. Um die körperliche Fitness zu steigern, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention zweieinhalb Stunden körperliche Aktivität pro Woche und 10.000 Schritte täglich. Gerade letztere Zahl wurde zum Dogma erhoben und ich bin mir sicher, viele schaffen diese nicht jeden Tag auf ihrem Schrittzähler und sind frustriert. Aber sie müssen das auch nicht schaffen. Wenn man „länger leben“ als Ziel nimmt, hören die Vorteile schon bei 4.400 Schritten pro Tag auf.59 Es braucht also keine herausfordernden Trainingspläne oder Work-outs, die einen ans Limit treiben. Schon wer jede Woche zweieinhalb Stunden – das sind 21 Minuten pro Tag, jeden (!) Tag – flott spazieren geht, reduziert drei der Hauptrisikofaktoren chronischer Erkrankungen: Blutdruck, Cholesterin und Diabetes.60 Das sollte ja wohl jeder schaffen. Doch das ist nicht alles. Altern beeinträchtigt das Wachstum der Skelettmuskulatur und führt zu einer Verringerung der Muskelmasse und Muskelkraft; zwei Faktoren, die direkt mit der Sterblichkeitsrate älterer Menschen in Zusammenhang stehen.61 Eine starke, gesunde Muskelmasse führt zu verbesserter Gesundheit, Unabhängigkeit und Funktionalität und wirkt Osteoporose entgegen.62 Und als dritte Komponente ist noch ein leichtes Flexibilitätstraining notwendig, um die Lebensqualität zu erhalten und gelegentliche Schmerzsymptomatiken (Rücken, Schulter) zu behandeln oder, noch besser, zu verhindern.63 Diese drei simplen, leicht machbaren Fitness-Grundsätze – Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit – sollte jeder kennen und regelmäßig beherzigen. Sie haben einen großen Einfluss auf körperliches Wohlbefinden und das Vermeiden von Osteoporose und Fragilität. Das Wissen um die einfachsten Grundsätze eines gesunden Lebensstils erhält oder schafft Gesundheit und Wohlbefinden. Es wäre wichtig, auch dies in Schulen zu lehren, am Arbeitsplatz anzubieten und auch privat zu praktizieren.

      Psyche: Schlaf plus Stress

      Die


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