Geheilt statt behandelt. Prof. Dr. Harald Prof. Dr. Schmidt

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oder Stressbewältigung als Hauptelementen – auch wieder Dinge, die man lernen kann beziehungsweise die gelehrt werden sollten.

      Viel problematischer als Adipositas- beziehungsweise Diabetes-„Pandemien“ ist etwa chronischer Mangel an erholsamem Schlaf, zum Beispiel dadurch, dass man sehr lange braucht, um einzuschlafen, nachts unruhig schläft, aufwacht und lange wach liegt oder morgens viel zu früh aufwacht und nicht wieder einschlafen kann. Tagsüber fühlen sich dann viele Menschen müde und abgeschlagen. Etwa jeder fünfte Erwachsene und sogar 30 Prozent aller Kinder sind hiervon betroffen.64 Die normale Schlafdauer ist jedoch individuell sehr verschieden und beträgt altersabhängig zwischen fünf und neun Stunden. Dass der Schlaf vor Mitternacht der gesündeste ist, ist ein Mythos. Am erholsamsten sind allerdings die ersten drei bis vier Stunden Schlaf pro Nacht. Daher ist es auch keine Katastrophe, wenn Sie mal nur drei bis vier Stunden schlafen konnten; Sie schaffen es dann schon durch den Tag. Allerdings darf das nicht ständig passieren, denn langfristige Schlafstörungen erhöhen das Risiko für Übergewicht, Diabetes65 und Alzheimer66. Neben mangelnder Schlafhygiene kann unverarbeiteter Stress, zum Beispiel am Arbeitsplatz oder in Beziehungen, Schlaf beeinträchtigen und ebenso die Häufigkeit und Sterblichkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen.67 Allerdings ist Stress und möglicherweise auch Stressmanagement stark vergesellschaftet mit niedriger Bildung und einem Arbeitsplatz mit einem Missverhältnis zwischen erhöhten psychologischen Anforderungen und fehlender Kontrolle über die eigene Tätigkeit. Das Deutsche Ärzteblatt diskutiert68, welche Maßnahmen geeignet sein könnten: „Ein höheres Einkommen könnte ebenfalls die Situation entspannen – wobei allerdings offenbleibt, ob Menschen mit niedrigem Bildungsniveau ihre zusätzlichen finanziellen Ressourcen tatsächlich in eine Verbesserung ihrer Gesundheit investieren würden.“ Dem würde ich entgegenhalten, dass die Reihenfolge, wie bei allen Gesundheitspräventionen, Bildung, Bildung, Bildung heißen muss. Wer gebildet ist, kann sich seinen Job und die Bedingungen eher aussuchen als derjenige, der darauf angewiesen ist, den Job annehmen zu müssen, der ihm angeboten wird.

      Was tun?

      Damit haben wir alle acht Risiken und Verhaltensweisen besprochen, die 80 Prozent aller chronischen Erkrankungen weltweit befördern, wahrscheinlich zusammen mit Risikogenen. Eines der acht Risiken, schlechte medizinische Versorgung, spielt in Deutschland wohl keine Rolle; eher haben wir zu viele unnütze Check-ups. Das Risiko, Vorsorgemaßnahmen wie Impfungen und Früherkennungen nicht in Anspruch zu nehmen, betrifft in Deutschland – wenn überhaupt – vor allem Männer.

      Was also bleibt, ist das magische Dreieck aus Ernährung (Zucker, rotes Fleisch, Alkohol), Körper (Bewegung, Kraft und Beweglichkeit) und Psyche (Schlaf und Stress). Und was ist zu tun? Ich denke, das, was beim Risikofaktor Rauchen nach jahrzehntelangem Kampf gegen die Lobby der Tabakindustrie auch möglich war.69 Das könnte bedeuten: den Zuckerkonsum gegen den Widerstand und Fehlinformationen durch die Zuckerindustrie massiv zu senken; den Konsum von rotem Fleisch (auch aus vielen anderen Gründen wie dem Tierwohl und dem Klimagas Methan70) massiv zu reduzieren; Bildung, Aufklärung und massives Coaching, um gesunde und frische Ernährung, körperliche Fitness, gesunden Schlaf und Stressvermeidung zu lehren. Das wäre nicht billig, aber erheblich billiger, als den Karren in den Dreck zu fahren und dann bei chronisch Kranken aufwendig bis zum Lebensende Symptome zu therapieren. Hinzu kommen hohe Steuern auf Zucker und Alkohol genauso wie auf Tabak sowie Aufklärung und die deutliche Kennzeichnung gesundheitsschädlicher Produkte und stark verarbeiteter Fertiglebensmittel. Die 2019 lediglich auf freiwilliger Basis eingeführte Lebensmittelampel ist nur ein Minischritt in diese Richtung, aber ein richtiger.

      KAPITEL 5

      MANN UND UNGEBILDET: DOPPELTES PECH

      Der Check-up-Erfolg beim Hausarzt, der Check-up-Erfolg beim Zahnarzt, weniger Diabetes, gesündere Ernährung, geringerer Alkoholkonsum, mehr Bewegung, besserer Schlaf, weniger Stress, das alles korreliert, wie ich bereits erwähnt habe, mit besserer Bildung. Die Chancen auf ein langes Leben in Gesundheit werden stark durch Bildung beeinflusst1 und praktisch gar nicht von den jeweiligen Gesundheitssystemen. Mit am unterschiedlichsten in Bezug auf das Gesundheitssystem sind zum Beispiel die USA und Großbritannien. In den USA sind die Menschen bis 65 meist privat krankenversichert, oft durch den Arbeitgeber; in England ist der Gesundheitsdienst kostenlos und wird aus Steuermitteln finanziert. Wie sich in beiden Ländern Bildung auf die Gesundheit im Alter auswirkt, untersuchten zwei Studien: die britische „English Longitudinal Study of Ageing (ELSA)“2 und die US-amerikanische „Health and Retirement Study“3. Das Ergebnis: Die Unterschiede in beiden Gesundheitswesen wirken sich kaum auf die zu erwartenden Lebensjahre in Gesundheit aus. Anders ist dies bei Bildung.

      Ungebildet = Minus 10

      Menschen mit höherer Bildung haben in England eine bis zu sechs Jahre längere Lebenserwartung; in den USA sogar neun Jahre. Mit Bildung korreliert natürlich auch Einkommen. Die wohlhabendste Schicht der 50-Jährigen hat noch eine weitere Lebenserwartung ohne chronische Krankheiten von 31 Jahren; in der ärmsten Gruppe sind es nur 22 Jahre, also bis zu neun Jahre weniger. Als Begründung wird ein gesünderer Lebensstil vermutet. Die Möglichkeit eines leichteren Zugangs zu medizinischen Leistungen fällt in England als Begründung weg.

      Diese Daten sind eins zu eins auf Deutschland übertragbar.4 Auch hier haben die oberen Einkommensklassen eine um mehrere Jahre höhere Lebenserwartung als die unteren, und zwar über alle Altersgruppen und Geschlechter hinweg. Männer mit niedriger Bildung und Einkommen sterben zehn Jahre, Frauen acht Jahre früher als gut gebildete Männer und Frauen. Betrachtet man nur die gesunde Lebenserwartung, das heißt die Lebensjahre, die in sehr gutem oder gutem allgemeinen Gesundheitszustand verbracht werden, macht der Unterschied zwischen der niedrigsten und höchsten Einkommensgruppe sogar 13 Jahre bei Frauen und 14 Jahre bei Männern aus. Und diese Erkenntnis ist keineswegs neu. Schon 1847 beschrieb der Armenarzt, Medizinalreformer und -statistiker Salomon Neumann den Kern des Problems so: „Wohlstand und Bildung drücken sich zählbar – und dies ist eine amtliche Tatsache – in den Gesetzen der Sterblichkeit aus.“5

      Diese Abhängigkeit der Gesundheit und Lebenserwartung von der Bildung beginnt schon in der Kindheit. Ein höherer Bildungsgrad von Müttern beschert ihren Kindern ein längeres Leben.6 Hatte eine Mutter ab den 1940er-Jahren mindestens einen Realschulabschluss, haben ihre erwachsenen Kinder ab 65 Jahren eine im Durchschnitt zwei Jahre höhere Lebenserwartung als Kinder, deren Mütter damals höchstens einen Volksschulabschluss hatten. Besser gebildete Mütter achten wahrscheinlich auf eine gesündere Lebensweise ihrer Kinder, was eine ausgewogene Ernährung, Rauchverhalten, Alkoholkonsum und Bewegung betrifft.

      Mann = Minus 5

      Neben Bildung ist auch allein das Geschlecht ein Risikofaktor. Die Gesundheit und Lebenserwartung von Jungen und Männern ist wesentlich schlechter als bei Mädchen und Frauen.7 Diese geschlechtsspezifische Ungleichheit hat sich jedoch in der Gesundheitspolitik kaum niedergeschlagen und wird, auch von sogenannten Gender-Wissenschaftlern, fast als gegeben bis hin zu selbstverschuldet (riskantes Verhalten) akzeptiert. Die Global Burden of Disease Study 2010 zur globalen Krankheitslast zeigte, dass Frauen im Zeitraum von 1970 bis 2010 eine längere Lebenserwartung hatten als Männer. In diesem Zeitraum stieg die Lebenserwartung von Frauen bei der Geburt von 61,2 auf 73,3 Jahre, während die der Männer von 56,4 auf 67,5 Jahre stieg.8 Diese Zahlen zeigen, dass sich die Kluft in der Lebenserwartung zum Nachteil der Männer von 4,8 auf 5,8 Lebensjahre vergrößert hat. Osteuropa zeigt den größten Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen: 11,6 Jahre.9

      Wie lässt sich diese Kluft zwischen den Geschlechtern erklären? In vielen Gesellschaften genießen Männer im Allgemeinen mehr Möglichkeiten, Privilegien und Macht als Frauen, doch diese vermeintlichen Vorteile führen nicht zu besserer Gesundheit. Als Erklärungen werden angeführt:

      •Gefährlichere Berufe: ein höheres Maß an beruflicher Exposition gegenüber physischen und chemischen Gefahren.


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