Vernehmungen. Heiko Artkämper

Vernehmungen - Heiko Artkämper


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für eine Inhalts- und Konstanzanalyse auf:

      –Detailreichtum der Aussage,

      –individuelle – ausgefallene – Besonderheiten,

      –raum-zeitliche Verknüpfung mit objektivierbaren Faktoren,

      –Konstanz in wesentlichen Teilen,

      –Homogenität der Aussage,

      –ungeordnete – aber psychologisch erklärbare – Beschreibungen,

      –spontane Erweiterungen,

      –Objektivität durch Beschreibung be- und entlastender Umstände.

       1.6.1Detailreichtum

      53Der Detailreichtum einer Schilderung stellt das erste inhaltliche Beurteilungskriterium dar: (Nur) Wer etwas auch tatsächlich erlebt hat, kann dies plastisch schildern und quasi wie einen Film für den Vernehmenden abspulen. Wird man in die Lage versetzt, anhand der Schilderung beobachtender Teil des Geschehenen zu werden, spricht viel für eine wahrheitsgetreue Schilderung.

      54Besondere Probleme treten hier allerdings dadurch auf, dass es auch Situationen gibt, in denen

      –etwas bereits tatsächlich Erlebtes in eine andere Lebenssituation projiziert wird,

      –etwas anderweitig Wahrgenommenes einem Transfer unterzogen wird. Eine allzu ausführliche Berichterstattung in den Medien, Darstellungen im Internet und die sogenannten Realityshows führen dazu, dass Unbeteiligte über scheinbares Insiderwissen, das detailreiche Schilderungen ermöglicht, verfügen.

      55Hier ist es die schwierige Aufgabe des Vernehmenden, einen derartigen Transfer zu erkennen; allerdings lehrt die Gedächtnispsychologie, dass eine solche Übertragung an den zu Vernehmenden hohe Anforderungen stellt und daher eher selten vorkommt.

       1.6.2Individuelle – ausgefallene – Besonderheiten

      56Schildert eine Aussageperson individuelle – ausgefallene – Besonderheiten in ihrer persönlichen Ausdrucksweise, spricht dieses weitere Inhaltskriterium für eine wahre und erlebte Begebenheit. Es erfolgt nicht etwa eine Schilderung aus einer Art Vogelperspektive, sondern eine emotionale und individuelle Wiedergabe, die Nebensächlichkeiten, Belangloses und Assoziiertes teilweise in den Mittelpunkt rückt; auch ein teilweise geschildertes eigenes Unverständnis stärkt die Individualität und damit die Glaubhaftigkeit der Aussage.

       1.6.3Raum-zeitliche Verknüpfung mit objektivierbaren Faktoren

      57Letztes inhaltliches Kriterium ist die raum-zeitliche Verknüpfung mit objektivierbaren Faktoren. Es stützt – was ohne weitere Erläuterung einleuchten dürfte – die Richtigkeit einer Aussage, wenn sich deren Inhalte in objektivierbare und beweisbare Ermittlungsergebnisse einfügen.

       1.6.4Konstanz in wesentlichen Teilen

      58Ein strukturelles Kriterium ist die Konstanz in wesentlichen Teilen; hier ist zu überprüfen, ob die Aussage inhaltlich, sprachlich und situativ gleich bleibt. Dies gilt insbesondere bezüglich einer gleichmäßigen Schilderung von relevantem und irrelevantem (Tat-)Geschehen und dem Fehlen innerer Widersprüche.

       1.6.5Homogenität

      59Sofern sich unterschiedliche Teile der Aussage decken und sich, zunächst scheinbar unwichtige, Details wie bei einem Puzzle zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenfügen lassen, spricht auch dieses strukturelle Kriterium für eine wahre Aussage.

       1.6.6Ungeordnete – aber psychologisch erklärbare – Beschreibungen

      60Auch bei diesem Punkt wird die Struktur einer Aussage analysiert: Schildert eine Auskunftsperson ein scheinbar zusammenhangloses, zunächst unverständliches Detail, das sich später in das Ermittlungsergebnis einfügt, begründet dies keinen Zweifel an der Wahrheit.

      61Auch eine ungeordnete, nicht chronologische Wiedergabe ist hier ein Wahrheitskriterium, da der Lügner zu einer solchen Leistung – bleibt der Aussageinhalt konstant – nur selten in der Lage sein wird.

       1.6.7Spontane Erweiterungen

      62Der Lügner steht vor seinem Lügendilemma;24 der Ausweg für ihn besteht scheinbar darin, Widersprüche zu unterdrücken bzw. nicht aufkommen zu lassen, indem er sich beharrlich auf seine ursprüngliche Version beruft und von dieser nicht abrückt. Zu spontanen Erweiterungen und Ergänzungen dieser Angaben ist er nicht in der Lage und auch nicht darauf vorbereitet. Spontane Erweiterungen sind aus seiner Sicht gefährlich und werden daher unterlassen.

      63Positiv ausgedrückt sind daher Lückenauffüllungen, spontane Präzisierungen und Erweiterungen ein deutliches Indiz für eine wahrheitsgemäße Aussage.

       1.6.8Objektivität durch Beschreibung be- und entlastender Umstände

      64Letztlich ist auf die Objektivität durch Beschreibung be- und entlastender Umstände zu achten. Wer die Wechselbeziehungen der Beteiligten eines Geschehens wirklich wahrgenommen und erlebt hat, wird regelmäßig selbst bei schwerwiegenden Straftaten auch Positives über den Täter berichten können. Günstige und ungünstige Schilderungen in dieser Richtung – aber auch in Richtung des Opferzeugen – werden in einer Mischform vorliegen und, werden sie wiedergegeben, die Neutralität der Auskunftsperson bestärken.

       1.6.9Resümee

      65Aus den beschriebenen Fakten ergibt sich eine grobe Checkliste zur realistischen Einschätzung und Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Aussage:25

Praxistipp:
66 Für die Glaubhaftigkeit spricht, wenn die Aussageperson –ihre Schilderung frei reproduzieren konnte, –auf Vorhalte reagiert, –eine originelle, stimmige Aussage ohne Widersprüche tätigt, –nicht durch verbale oder non-verbale Suggestionen beeinflusst wurde und/oder –Gedankenfehler auszuschließen sind.

       1.7Lügensignale

      67Der Lügner steht vor der misslichen Situation, dass er etwas präsentiert, das er selbst nicht – oder nicht so – persönlich erlebt hat und er daher kaum in der Lage ist, eine lebensnahe und lebendige Schilderung zu liefern; er wird also versuchen, dies mit einer detaillierten Darstellung zu überspielen, wohl wissend, dass die Entdeckung einer Lüge umso wahrscheinlicher ist, je umfangreicher eine Aussage wird.

      68Dieses „Lügendilemma“ eröffnet für den Vernehmungsbeamten die Möglichkeit, Kriterien aufzustellen, um erfundene Schilderungen aufzudecken und damit die Lüge zu enttarnen.26


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