Vernehmungen. Heiko Artkämper

Vernehmungen - Heiko Artkämper


Скачать книгу
Disziplinarverfahren geführt, erfolgt regelmäßig eine Vernehmung durch Beamte des Strafvollzuges, in deren Verlauf die Betroffenen die Vorwürfe möglicherweise einräumen. Im daraufhin eingeleiteten Strafverfahren sind – so das LG Detmold – bei einem entsprechenden Widerspruch des Angeklagten dessen ursprüngliche Angaben nicht verwertbar, da die besondere Drucksituation in der JVA und die fehlende Belehrung über das Auskunftsverweigerungsrecht im Rahmen des Disziplinarverfahrens zu einem Beweisverwertungsverbot führen.35

       1.7.1.4 Falschangaben bei Verkehrsdelikten

      82Ein Fahrverbot und/oder der Fahrerlaubnisentzug nebst Sperrfrist beeinträchtigen den Beschuldigten in seiner Lebensführung und treffen ihn deshalb oftmals härter als die (eigentliche) Strafe. Daher häufen sich gerade im Bereich der Straßenverkehrsdelikte die Fälle, in denen der Beschuldigte versucht, den Verdacht von sich (auf andere) abzulenken. Zur Beantwortung der Frage, ob die Grenze zu einer Straftat nach § 164 StGB bzw. dem formell subsidiären § 145d StGB bereits überschritten ist oder sich der Beschuldigte noch im Rahmen „strafloser Selbstbegünstigung“ bewegt, wird überwiegend auf eine Differenzierung nach Fallgruppen zurückgegriffen:

      –Schlichtes Bestreiten:

      Keine Straftat.36

      –Bezichtigung einer bislang unverdächtigen Person:

      Falsche Verdächtigung.37

      –Bezichtigung einer tatsituativ verdächtigen Person:

      Nach vorherrschender obergerichtlicher Rechtsprechung nicht strafbewehrt, da die Person auch durch das bloße Leugnen in den Verdacht der Ermittlungsbehörden geraten wäre.38 Abweichendes gilt jedoch dann, wenn der Beschuldigte weitere, den anderen belastende Umstände vorträgt oder die Beweislage verfälscht.39

      –Angabe falscher Personalien:

      Grundsätzlich falsche Verdächtigung.40 Die Absicht im Sinne des § 164 StGB kann aber fehlen, wenn der Beschuldigte von faktischen Verfahrenshindernissen ausgeht – also etwa weiß, dass der Namensträger ohne festen Wohnsitz ist41 – oder wenn sich der Beschuldigte unter falschem Namen verfolgen lassen will.42

      –Bezichtigung des Belastungszeugen mit einer Falschaussage durch Bestreiten:

      Aufgrund der Alltäglichkeit von „Aussage gegen Aussage“-Situationen, der rechtsstaatlichen Bedeutung des nemo-tenetur-Prinzips und der bekannten Unzuverlässigkeit von Zeugenangaben wird sich aus der Einlassung des Beschuldigten nicht nur die objektive Unrichtigkeit der Zeugenbekundungen, sondern darüber hinaus ein zumindest bedingter Vorsatz (§§ 153, 154 StGB) oder Fahrlässigkeit (§ 161 StGB) ableiten lassen müssen, um das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 164 StGB anzunehmen.43

      –Aufrechterhaltung/Wiederholung der Verdächtigung:

      Keine Eignung, behördliches Verfahren herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, es sei denn, die Unterbreitung neuer Tatsachen führt zu einer Verdichtung des Tatverdachts. Nach anderer Auffassung liegt eine Tat im Rechtssinne vor, bei Wiederholung der Verdächtigung vor einer anderen Stelle dürfte dann Tatmehrheit anzunehmen sein.44

      –Bezichtigung eines Unbekannten:

      Umstritten, ob eine Beteiligtentäuschung im Sinne des § 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB vorliegt.45 Denkbar wäre auch eine Strafbarkeit nach § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB, sofern der Beschuldigte durch seine Einlassung den Verdacht hervorruft, dass eine weitere prozessuale Tat begangen worden sei (der Beschuldigte einer Verkehrsunfallflucht behauptet, das Fahrzeug sei vor einigen Tagen von einer unbekannten Person entwendet worden).

      83Für einen transparenteren Umgang mit Beschuldigtenlügen plädiert Krell46 und will die Frage der Strafbarkeit an den betroffenen Interessen messen: Sofern ausschließlich staatliche Belange tangiert seien, soll die Straffreiheit der Beschuldigtenlüge aus der grundgesetzlich garantierten Selbstbelastungsfreiheit folgen. Bei Eingriffen in Rechtsgüter Dritter würden diese den Bereich der Grenzen der Legalität jedoch verlassen. Folge soll eine regelmäßige Strafbarkeit von wahrheitswidrigen Vorgaben des Beschuldigten sein, sofern sie unter § 164 StGB fallen, wohingegen sie bei § 145d StGB straffrei bleiben. Es sei nicht nachzuvollziehen, dass die Selbstbegünstigung in § 145d StGB unter Strafe gestellt werde, während sie in anderem Zusammenhang – etwa bei Gefangenenbefreiung (§ 120 StGB) oder Strafvereitelung (§ 258 StGB) – sanktionslos bleibe. Die angebliche überflüssige Arbeitsveranlassung sei nur scheinbar ein Argument für eine derartige unterschiedliche Behandlung selbstbegünstigenden aktiven Tuns. Entsprechende Konsequenz dieser von Krell vorgeschlagenen konsequente(re)n Abgrenzung von straffreiem und strafbewehrtem selbstentlastenden Handeln wäre etwa, dass die rechtfertigende Einwilligung des zu Unrecht Verdächtigten die Strafbarkeit nach § 164 StGB entfallen ließe, da dann – der Tatbestand schützt nach herrschender Meinung sowohl private als auch staatliche Interessen – nur noch die zuletzt genannten betroffen wären. Ferner wäre § 145d StGB aufzuheben. Insgesamt ist eine Lösung de lege ferenda wünschenswert.

       1.7.2Guter oder schlechter Leumund

      84Ein beliebter und nicht auszurottender Irrglaube dokumentiert sich in einem alten Sprichwort: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“. Dies ist eine Fehleinschätzung, die auf der Grundlage beruht, dass sich die Glaubwürdigkeit einer Person und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage über die Persönlichkeit, den Lebenswandel und das Vorverhalten erschließt.

      85Diese Vorstellung ist schlichtweg unzutreffend: Es gibt keine personenbezogene – quasi allgemeine – Glaubwürdigkeit und damit keinen Leumund. Der BGH trägt dieser Feststellung dadurch Rechnung, dass er Fragen an Zeugen, die deren Verhalten in vorangegangenen vergleichbaren Situationen (uneidliche falsche Aussage oder gar Meineid in einem vorangegangenen Gerichtsverfahren) aufklären sollen, als grundsätzlich unzulässig erachtet.47 Falschaussagen werden nicht durch stabile Persönlichkeitsmerkmale, sondern durch situative und damit variable Faktoren hervorgerufen.48

      86Diesem Gedanken trägt auch die neue Gesetzgebung Rechnung; zum 1.10.2009 wurde durch das 2. Opferrechtsreformgesetz § 68a Abs. 2 S. 1 StPO neu eingefügt.

       § 68a StPO Beschränkung des Fragerechts aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes

      (2) Fragen nach Umständen, die die Glaubwürdigkeit des Zeugen in der vorliegenden Sache betreffen, insbesondere nach seinen Beziehungen zu dem Beschuldigten oder der verletzten Person, sind zu stellen, soweit dies erforderlich ist.

      87Vor diesem Hintergrund erscheinen auch empirische Untersuchungen, nach denen Männer mehr lügen als Frauen und geringer gebildete Menschen eine verminderte Lügenquote aufweisen,49 zweifelhaft; sie können jedenfalls für eine konkrete Vernehmungssituation keine brauchbaren Parameter liefern.

      88Das Verhalten und die Unbeholfenheit „der Justiz“ – gemeint sind Richter und Staatsanwälte – dokumentierten sich im Kachelmann-Verfahren als einprägsames Negativbeispiel. Hier wurden Leumundszeugen in allen Richtungen benannt und vernommen, was bei genauer Betrachtung schlichtweg überflüssig ist.

       1.7.3Fehlen von Realitätskriterien

      89Die Realitätskriterien wurden bereits erörtert; es bedarf daher an dieser Stelle nur der Benennung des daraus folgenden Umkehrschlusses: Das Fehlen von Realitätskriterien ist ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen einer Lüge.

       1.7.4Weitere Warn- und Lügensignale


Скачать книгу