Vernehmungen. Heiko Artkämper

Vernehmungen - Heiko Artkämper


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      387Zur besseren Veranschaulichung und als Zusammenfassung der Transfermöglichkeiten und -grenzen soll die nachfolgende Übersicht dienen.

Übersicht: Reproduktion von Aussagen aus dem Ermittlungsverfahren
Legende:

      388Wichtig ist dabei allerdings, dass im Strafverfahren eine Rekonstruktion durch die Vernehmung der Vernehmungsperson nur dann erfolgreich ist, wenn sich diese – ggf. nach einem entsprechenden Vorhalt – an den Inhalt erinnern kann.

      389Verwertbar ist nur das, was der Zeuge als sein Erinnerungsbild deklariert, da § 253 StPO in dieser Konstellation keine Anwendung findet; das gilt für Polizeibeamte und Staatsanwälte18 ebenso wie für Richter.19

       4.5Anhang: Polizeibeamte als Zeugen vor Gericht

      390Treten Polizeibeamte als Zeugen vor Gericht auf, sind sie in großem Maße für das Ergebnis der Hauptverhandlung verantwortlich; in der strafrechtlichen Hauptverhandlung bzw. später im Urteil erlangt die polizeiliche Vernehmung ihre forensische Bedeutung.20

       4.5.1Neue Tendenzen

      391In der Hauptverhandlung trifft der Polizeibeamte als Zeuge auf das Gericht, den Staatsanwalt, den Angeklagten21 und den Verteidiger des Angeklagten. Aufgabe sämtlicher Verfahrensbeteiligter ist es, die Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit durch intensives Nachfragen zu testen, was der Zeuge meist als verunsichernd, bedrohlich und ihn verängstigend erfährt.

      392Hinzu kommt, dass es bei der Vernehmung eines Polizeibeamten oftmals um die Schilderung von Vorgängen geht, die er alltäglich in seinem Berufsleben wahrnimmt und die länger zurückliegen, sodass aus der verblassten Erinnerung auf entsprechende Nachfragen Widersprüche entstehen können, die zu Zweifeln an der Objektivität des Aussagenden führen können.

      393Bereits dieser Überblick macht es verständlich, dass sowohl Normalbürger als auch Polizeibeamte einer Gerichtsverhandlung mit Angst und Sorge entgegensehen und verunsichert sind.

Praxistipp:
394 Darüber hinaus gerät der Polizeibeamte in dieser Situation in eine Doppelrolle, da er in vielen Fällen seine Ermittlungsergebnisse gegen Angriffe der Verfahrensbeteiligten verteidigen muss und zugleich als objektiver Zeuge auch verpflichtet ist, die Umstände vorzutragen, die der Entlastung des Angeklagten dienen. Die damit verbundenen Schwierigkeiten, Gefährdungen und psychologischen Hemmnisse entbinden ihn allerdings nicht davon, zu versuchen, Wahrnehmungs- und Wiedergabefehler in größtmöglichem Maße zu vermeiden und damit zur Wahrheitsfindung beizutragen.

      395Die Charakterisierung der Belastbarkeit polizeilicher Zeugenaussagen war stets breit und reichte von einem „mangelhaften Beweismittel“ über „guter“ bis hin zu „idealer Zeuge“.22 In jüngster Zeit mehren sich kritische Stimmen:23 Hof gelangt in einer Veröffentlichung mit dem Thema „Polizeizeugen – Zeugen im Sinne der StPO?“ zu folgendem Ergebnis: „Sagen Polizeibeamte vor Gericht aus, stellt dies daher an das Gericht entgegen noch verbreiteter Auffassung nicht geringere, sondern höhere Anforderungen …. Bei Vermerken und Aussagen muss deren Entstehung geklärt werden. … Bestehen … Anhaltspunkte dafür, dass der Beamte entweder keine eigenen Wahrnehmungen oder keine eigene Erinnerung … bekunden kann, stellt seine Zeugenaussage keine Zeugenaussage im Sinne der StPO dar und ist daher als Mittel des Strengbeweises nicht zulässig. … In vielen Fällen dürfte den Aussagen der Polizeizeugen nur geringer Beweiswert zuzusprechen sein.“24 Ähnlich argumentiert Sommer, der die besondere Rolle erläutert und aus seiner Verteidigersicht zu speziellen Vernehmungstechniken bei der Einvernahme von Polizeibeamten rät.25 Jansen hat mehrseitige Fragenkataloge für die Vernehmung von Polizeibeamten veröffentlicht, die sowohl die Vernehmungssituation26 als auch die Protokollierung27 betreffen.28

      396Auch der 40. Strafverteidigertag hat im Frühjahr 2016 das Thema problematisiert; seine Arbeitsgemeinschaft 3 beschäftigte sich mit den Polizeizeugen unter folgender Prämisse: „Der Polizeizeuge ist ein professioneller Zeuge, der kraft Gesetzes zur Objektivität (§ 160 Abs. 2 StPO) verpflichtet sein soll. Mit diesem normativen Vertrauensvorschuss geht er in die Hauptverhandlung.

      397Den gängigen Beurteilungskriterien von Zeugen – etwa Aussagegenese und -motivation – entzieht sich der polizeiliche Zeuge faktisch. Was das Kriterium der Aussagekonstanz angeht, ist diese schon deshalb nicht mehr festzustellen, weil der polizeiliche Zeuge eine vermeintliche Vorbereitungspflicht, mindestens aber ein Recht zu einer solchen hat.

      398Dass der polizeiliche Zeuge zudem gleichsam neutral und ohne Interesse am Verfahrensausgang entsprechend der normativen Vorgabe des § 160 Abs. 2 StPO seine Bekundungen tätigt, verleiht seiner Aussage weitere Autorität und erübrigt scheinbar eine Motivationsanalyse. Dagegen steht die täglich zu besichtigende forensische – allerdings prozessual schwer greifbare – Wirklichkeit, in der Polizeibeamte durchaus ein Interesse haben, Gerichte zu bewegen, ihre Arbeitshypothesen und -ergebnisse hinsichtlich der Schuld des Angeklagten zu teilen und diesen einer Verurteilung zuzuführen.

      399Daneben gibt es allerdings auch ein mögliches Feld der Aussagemotivation polizeilicher Zeugen, das für alle Verfahrensbeteiligten regelmäßig ein Dunkelfeld bleibt: Welche polizeiinternen formellen und informellen Konsequenzen zeitigt eine polizeiliche Aussage, die Fehler bei den Ermittlungen, Belehrungen etc. wahrheitsgemäß offenlegt für den Polizeibeamten? Es dürfte außer Frage stehen, dass dies relevante Faktoren für die Beurteilung auch inhaltlicher Aussagemotive polizeilicher Zeugen sind.“

      400Eine im Jahr 2016 erschienene Veröffentlichung von Gerst präsentiert auf knapp 600 Seiten Vernehmungssituationen und Vernehmungstechniken – auch bezogen auf Berufszeugen wie Polizeibeamte.29

       4.5.2Professionalität

      401Polizeibeamte neigen dazu, sich mit ihren Verfahren zu identifizieren, mit der Folge, dass in der Hauptverhandlung „ihr“ Fall zur Entscheidung steht;30 demgemäß empfinden sie einen Freispruch oder eine Einstellung des Verfahrens als (persönliche) Niederlage.

       Beispiel:

      402Exemplarisch für diese Einstellung dürfte die bei der Rückkehr zur Dienststelle häufig gestellte Frage „Hast du gewonnen oder verloren?“ sein.

      403Eine derartige Sichtweise ist in doppelter Hinsicht unzutreffend: Zum einen verkennt


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