Vernehmungen. Heiko Artkämper

Vernehmungen - Heiko Artkämper


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extremen Ausnahmefällen die Möglichkeit, sich eines Rechtsbeistandes zu bedienen, mit in die Überlegung einbeziehen.

      –Konkrete Vorbereitung als „Muss“.

      –Versuch, ein konkretes Erinnerungsbild aufleben zu lassen; Hilfestellungen leisten die Lektüre der Akten, Gespräche mit den Kollegen und ggf. auch eine Ortsbesichtigung.

      –Einschränkungen des Prozessstoffes etwa durch die Abschlussverfügung und Anklage der Staatsanwaltschaft berücksichtigen.

      –Kritisch die Ermittlungen nach eigenen Fehlern durchleuchten, um sich so auf entsprechende Fragestellungen vorbereiten zu können.

      –Ggf. schriftliche Unterlagen (auch eigene Notizen, die später in einen Einsatzbericht eingeflossen sind) sichten und bereitlegen.

      –Mit der ungewohnten Rolle als Zeuge (nicht Vernehmer) identifizieren.

      –Sich klarmachen, dass Ziel einer Hauptverhandlung nicht die Verurteilung des angeblichen Täters, sondern ein rechtsstaatliches Verfahren ist, bei dem ein Freispruch keine Niederlage darstellt.

      –Sich gedanklich auf einen geschlossenen Bericht, der zu Beginn der Vernehmung erfolgt, vorbereiten.

      –Auf das persönliche Outfit achten.

       4.5.5.2Verhalten im Gerichtsgebäude

      435Bezüglich des Verhaltens im Gerichtsgebäude gilt:

      –Unmittelbar vor dem Gerichtssaal und in den Verhandlungspausen Kontaktaufnahmen zu anderen Verfahrensbeteiligten (auch mit dem Staatsanwalt über die Sache) vermeiden.

      –Keine Äußerungen zum Verfahrensgegenstand und zum gewünschten Ergebnis.

      –Wahrgenommene Kontaktaufnahmen (Absprachen?) anderer Zeugen dem Gericht mitteilen.

       4.5.5.3Vernehmung

      436Während der eigentlichen Vernehmung ist zu beachten:

      –Bei der Wahrheit bleiben (auch bezüglich der Vorbereitung).

      –Sich selbst nicht überfordern, da niemand jedes Detail erinnern kann.

      –Sich nicht überschwänglich in Sicherheit wiegen.

      –Ruhig, sachlich und neutral bleiben.

      –Contenance und Höflichkeit bewahren.

      –Keine Konfrontationsstellung einnehmen.

      –Streitgespräche vermeiden, sich aber auch nicht unterbrechen lassen.

      –Stress und intellektuelle Leistungsfähigkeit stehen in einem engen Verhältnis zueinander. Daher muss der Beamte versuchen, Stresssituationen in der Hauptverhandlung zu vermeiden bzw. diese ggf. abbauen (Atem- und Ablenkungstechniken).

      –Klar ansprechen, was konkretes Erinnerungsbild und daher exakt wiedergebbar ist.

      –Gedächtnislücken offenlegen (und nicht etwa zu verschließen suchen).

      –Ggf. Weichmacher einbauen („soweit ich mich erinnern kann“).

      –Tatsachenfeststellungen und Schlussfolgerungen sprachlich exakt trennen.

      –Keine rechtlichen Wertungen vornehmen.

      –Werturteile vermeiden und – sofern dies nicht möglich ist – sie tatsachengestützt begründen.

      –Die Grenzen der Aussagegenehmigung im Hinterkopf haben.

      –Suggestivsituationen erkennen und vermeiden.

      –Fragen (des Staatsanwalts und des Verteidigers) in Blickrichtung auf das Gericht beantworten.

      –Vorsicht bei rollenfremden Fragen.

      –Keine Gegenfragen stellen.

      –Bei der Häufung von Fragen und/oder einer nicht verstandenen Fragestellung den Vorsitzenden um Erläuterung bitten.

      –Keine provokativen Fragen beantworten, sondern Schweigen (oder den Vorsitzenden um Hilfe bitten).

      –Keine Fragen wie „aus der Pistole geschossen“ beantworten.

      –Sich nicht überraschen lassen.

      –Tatsächliche Fehler einräumen.

      –Ggf. das Gericht bitten, mitgeführte Unterlagen verwenden zu dürfen.

      –Ggf. das Gericht um kurze Pausen (Unterbrechungen) bitten.

      –Ggf. das Gericht bei unzulässigen Fragen um Entscheidung ersuchen.

       4.5.5.4Nachbereitung

      437Nach seiner Vernehmung sollte der Beamte nicht fluchtartig den Gerichtssaal verlassen und bei unerwünschtem Ausgang auf „die Justiz“ schimpfen. Zu einer sinnvollen und lehrreichen Nachbereitung gehören

      –Anwesenheit beim Plädoyer des Staatsanwalts und bei der Urteilsverkündung, da hier die Leistung des Zeugen gewürdigt wird.

      –Selbstkritische Reflektion des eigenen Verhaltens im Ermittlungsverfahren und vor Gericht im Hinblick auf das Ergebnis.

      –Weitergabe der Erfahrungen und Informationen an Kollegen.

      –Ggf. Gespräche mit der Staatsanwaltschaft und dem Gericht.

       4.6Der Polizeibeamte als Sachverständiger35

      438Die Tätigkeiten und Wirkungsfelder von Sachverständigen unterschiedlicher Fachrichtungen haben in den vergangenen Jahrzehnten im Rahmen des Strafverfahrens ständig an Bedeutung gewonnen, was auch auf neue Erkenntnisquellen der zugrundliegenden Wissenschaften zurückzuführen ist. Die Bereiche der Einschaltung von Sachverständigen, die von Staatsanwaltschaft und Gericht im Falle mangelnder eigener Sachkunde beauftragt werden, sind mannigfaltig – der Einsatz reicht von Fragen der Altersbestimmung bei Beschuldigten über DNA-Gutachten und Schuldfähigkeitsbegutachtungen bis hin zu Verkehrsunfallrekonstruktionen. Insbesondere weil eine Vielzahl kriminaltechnischer Untersuchungen durch Polizeibehörden durchgeführt wird, sind Polizeibeamte immer wieder als Sachverständige im Strafverfahren tätig und zunehmend auch Angriffen der Verteidigung ausgesetzt. So beschäftigen sich Verteidiger vor allem in Verfahren der Schwerkriminalität durchaus selbst eingehend mit der zugrunde liegenden Materie, lassen sich fachkundig beraten, holen Gegengutachten ein und stellen – teilweise auch unzulässige – Fragen, mit denen sich der Polizeibeamte auseinandersetzen muss.

      439Unter einem Sachverständigen wird grundsätzlich eine Person verstanden, die auf einem bestimmten Fachgebiet mit einer besonderen Sachkunde ausgestattet ist. EuroExpert, die European Organisation for Expert Associations, definiert den Begriff des Sachverständigen wie folgt: „Der Sachverständige ist eine unabhängige integre Person, die auf einem oder mehreren bestimmten Gebieten über besondere Sachkunde sowie Erfahrung verfügt. Der Sachverständige trifft aufgrund eines Auftrages allgemeingültige Aussagen über einen ihm vorgelegten oder von ihm festgehaltenen Sachverhalt. Er besitzt ebenfalls die Fähigkeit, die Beurteilung dieses Sachverhaltes in Wort und Schrift nachvollziehbar darzustellen.“

Praxistipp:
440 Das bedeutet jedoch nicht, dass der Sachverständige über wissenschaftliche Kenntnisse verfügen muss – Sachverständiger
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