Vernehmungen. Heiko Artkämper

Vernehmungen - Heiko Artkämper


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oder eben ein „ganz gewöhnlicher Polizeibeamter“.

      441Im Rahmen des Strafprozesses wird – unabhängig von der Sachkunde – jedoch nur als Sachverständiger tätig, wer aufgrund eines behördlichen Auftrages handelt, also von Gericht, Staatsanwaltschaft oder Polizei entsprechend herangezogen wird. Von der Verteidigung beauftragte Gutachter sind zunächst lediglich als sachverständige Zeugen zu bewerten.

       4.7Abgrenzung zum Zeugen

      442Die Funktion des Polizeibeamten als Sachverständiger ist grundsätzlich von der des Zeugen zu unterscheiden. Da die Pflichten und Rechte eines Zeugen von denen eines Sachverständigen erheblich abweichen, ist eine klare Zuordnung erforderlich, in welcher prozessualen Funktion eine Aussage erfolgt, wobei insbesondere Polizeibeamte, die als Zeuge geladen worden sind, sich aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse häufig unerwartet in einer Doppelrolle wiederfinden. Insoweit ist eine Begriffsklärung notwendig: Während der Zeuge über Wahrnehmungen aussagt, die er entweder mit besonderer Sachkunde ohne behördlichen Auftrag als sachverständiger Zeuge (vgl. § 85 StPO) oder ohne besondere Sachkunde mit oder ohne behördlichen Auftrag gemacht hat, ist Sachverständiger derjenige, der über Wahrnehmungen aussagt, die er im Auftrag des Gerichts, der Staatsanwaltschaft oder der Polizei aufgrund seiner Sachkunde gemacht hat.36

       Beispiel:

      443Wenig problematisch ist die Rollenzuordnung, wenn ein Beamter des BKA oder des LKA ein Gutachten zur Identität daktyloskopischer Spuren oder Werkzeugspuren erstatten soll – er (oder seine Behörde) wird dann selbstverständlich als Sachverständiger tätig. Schwieriger wird die Einordnung jedoch, wenn ein Polizeiarzt, der eine Blutprobe entnommen hat, nicht nur über den Eingriff und den Zustand des Beschuldigten während der Blutentnahme berichten soll (insoweit Sachverständiger), sondern auch über die bei dieser Gelegenheit gemachte geständige Einlassung des Beschuldigten.

      444Hinsichtlich der Angaben des Beschuldigten ist der Arzt nämlich als Zeuge zu vernehmen und entsprechend zu belehren.

       Beispiel:

      445Gleiches gilt für den Polizeibeamten, der als Zeuge über seine Wahrnehmungen hinsichtlich einer Trunkenheitsfahrt aussagt, sodann aber vom Gericht über die technische Funktionsweise eines Atemalkoholgerätes befragt wird.

      446Besteht ein behördlicher Auftrag, ist für die Einordnung letztlich maßgebend, über welche Art von Tatsachen eine Aussage erfolgt. Es ist zu unterscheiden zwischen Anknüpfungstatsachen, Befundtatsachen und Zusatztatsachen. Die beauftragende Behörde stellt dem Sachverständigen zunächst die sog. Anknüpfungstatsachen zur Verfügung, also die Umstände, von denen der Sachverständige in seinem Gutachten auszugehen hat. Der Sachverständige teilt sodann ggf. die Befundtatsachen mit, also die Wahrnehmungen, die er nach dem Inhalt des Auftrags aufgrund seiner Fachkunde gemacht bzw. ermittelt hat, um zu seinen Schlussfolgerungen zu gelangen. Befundtatsachen sind also beispielsweise naturwissenschaftliche Wahrnehmungen des Sachverständigen am Körper oder Verhalten einer Person oder am Tatort bzw. an Tatgegenständen. Insoweit wird der Gutachter ausschließlich in der Rolle des Sachverständigen tätig. Anders liegt der Fall, wenn der Polizeibeamte im Rahmen der Erfüllung seines Auftrages durch gezielte Ermittlung oder zufällig Wahrnehmungen macht, für die es nicht seiner besonderen Sachkunde bedarf, sondern die auch ein Nichtsachverständiger hätte machen können. Insoweit ist eine Vernehmung des Beamten als Zeugen notwendig, um diese Tatsachen ordnungsgemäß in den Strafprozess einzuführen.

Praxistipp:
447 Obwohl die Unterscheidung insbesondere im Hinblick auf Belehrungs- und Ablehnungsfragen, Vereidigung, Aussagegenehmigung sowie Entschädigung immens bedeutsam ist, lassen Staatsanwaltschaft und Gerichte insoweit nicht selten die notwendige Präzision vermissen und stellen dem als Zeugen vernommenen Polizeibeamten Fragen, die er nur als Sachverständiger beantworten kann oder auch umgekehrt. Ergeben sich für den Beamten daher Zweifel, in welcher Funktion er tätig wird, sollte er sich – auch zum eigenen Schutz hinsichtlich des Umfangs der Aussagegenehmigung – an seinen Auftraggeber, also die Staatsanwaltschaft oder das Gericht, wenden und um Klärung ersuchen.

      1Vgl. dazu Füllkrug, Die strafprozessuale Verwertung von Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen, Kriminalistik 2020, 255 f.

      2Vgl. dazu auch: Hassemer, Grenzen des Wissens im Strafprozess, ZStW 2009, 829 ff.

      3Bei Kollegialgerichten wird das Verfahren einem der Beisitzer als Berichterstatter zugewiesen, der dann auch später den Urteilsentwurf absetzen muss.

      4S. Rn. 126.

      5Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 253 StPO Rn. 3 m. w. N.

      6BGH StRR 2013, 217 f.; StRR 2012, 306 f.

      7BVerfG 2 BvR 504/08 und 2 BvR 1193/08, wistra 2010, 299.

      8BGH NJW 1994, 2839; OLG Jena StRR 2011, 391 f.

      9BGH StRR 2012, 304 f.

      10OLG Bamberg StRR 2013, 185 f.; wie hier: BGH NStZ 2004, 347; vgl. auch BGH, Beschluss vom 6.6.2019 – StB 14/19.

      11LG Kiel StV 2017, 21.

      12Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 52 Rn. 5 m. w. N.; Bosch, Die strafprozessuale Regelung von Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrecht, Jura 2012, 33 ff.; Ebner/Müller, Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 StPO bei in der Bundesrepublik Deutschland geschlossener „Imam-Ehe“?, NStZ 2010, 657 (659).

      13Vgl. dazu BGHSt 45, 342, aber auch Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 52 Rn. 5.

      14BGH NJW 2012, 3192.

      15OLG Hamm, Beschl. vom 28.5.2019 – 4 RBs 147/19, StRR 12/2019, 21 f.

      16Zu den Zeugen mit ärztlichem Schweigerecht ausführlich unter Rn. 1300.

      17BGH Beschluss vom 20.12.2011 – 1 StR 547/11.

      18Vgl. Artkämper/Jakobs, Rn. 212 ff.; BGH StRR 2013, 217 f.

      19BGH StRR 2012, 307 f.; StRR 2012, 303 f.

      20Umfassend dazu: Artkämper/Jakobs, Polizeibeamte als Zeugen vor Gericht, 2. Aufl. 2019.

      21Möglicherweise sind darüber hinaus Nebenkläger und deren Nebenklägervertreter und Sachverständige anwesend.

      22Vgl. dazu die weiteren Nachweise bei Müller, S. 13.

      23Zur aktuellen Streitlage vgl. Seydel/Vesper, Konfliktverteidigung, der kriminalist 4/2020, 6 ff. einerseits und Andersen/Abel/Harms, der kriminalist 7–8/2020, 29 ff. andererseits; ferner: Theune, Polizeibeamte als Berufszeugen im Strafverfahren, 2020.

      24Hof, Polizeizeugen – Zeugen im Sinne der StPO?, HRRS 2015, 277, 286.

      25Sommer, Effektive Strafverteidigung, 3. Aufl. 2016 Rn. 1390 ff.

      26Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie, Rn. 152 ff.

      27Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie, Rn. 279 ff.

      28Vgl. auch die Fragenkataloge bei Müller S. 104 und Habschick S. 680.

      29Gerst, Zeugen in der Hauptverhandlung, 2016.

      30Müller, S. 45; vgl. auch die bei v. Prondzinski, … nicht verwandt und nicht verschwägert, DPolBl 4/2011, S. 2 angesprochene Studie, nach der etwa 20 % der Beamten einen Freispruch als Niederlage der Polizei begreifen und ¼ der Befragten Freisprüche missbilligen, wenn sie den Beschuldigten aufgrund der polizeilichen Ermittlungen für überführt halten. Auch wenn diese Umfrage 1975 veröffentlicht wurde, dürfte sich das


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