Das Mainzer Schloss. Группа авторов

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besonderen Form adeliger bzw. fürstlicher Denkmalpflege sprechen und hierin eine wichtige Grundlage der modernen staatlichen Denkmalpflege erkennen!

      Mit diesen Prämissen der adelig-fürstlichen Erinnerungskultur lässt sich auch die Bewahrung der Mainzer Martinsburg erklären, wobei in Mainz noch der besondere Symbolcharakter als Erinnerung an die Mainzer Stiftsfehde von Bedeutung gewesen sein dürfte.37 Die überlieferten Quellen machen darüber hinaus sogar explizit deutlich, dass die alte Martinsburg das architektonische Sinnbild für die mit dem Erzbistum und Erzstift verbundene Landesherrschaft war, deren Rechte nach damaliger Rechtsauffassung materiell mit der Burg als Mittelpunkt des Territoriums verbunden waren.38 So betitelt ein gedrucktes Gratulationsschreiben, das anlässlich des Mainzer Stadteinzugs des neuen Erzbischofs Lothar Friedrich von Metternich-Burscheid am 13. März 1673 erschien, das steinnern Schloß/ zu Mayntz ahm Rhein=Strom als Schmuck deß Landes, in dessen Mauern in Gestalt des Erzbischofs das Liecht deß Ertzstifftes […] wohnt.39 Und nach der Aufhebung des Erzbistums durch Napoleon wies 1819 der Historiker Franz Joseph Bodmann – mit Blick auf die Inbesitznahme der Martinsburg durch einen neuen Fürstbischof als Höhepunkt der zeremoniell bedeutsamen Inthronisationsfeierlichkeiten – darauf hin, dass die feyerliche Überantwortung dieser […] Burg […] das Symbol der Besitzergreifung der gesammten erzstift. Landen, und der Stadt Mainz gewesen war.40

      Ungeklärt bleibt allerdings, weshalb sowohl in Mainz als auch in Wien bei den an die alten Burganlagen angefügten Neubauten die Form der auffällig langgestreckten Flügelbauten gewählt wurde. In Mainz sind es zwei Flügel: der unter Kurfürst Georg Friedrich von Greiffenclau 1628 begonnene Südostflügel und der unter Kurfürst Anselm Franz von Ingelheim 1687 begonnene und erst sehr spät, 1752, unter Kurfürst Johann Friedrich Carl von Ostein vollendete Nordwestflügel. Der Grund für die Errichtung langgestreckter Flügelbauten ist in neuen, gegenüber dem 15. und 16. Jahrhundert deutlich veränderten Raumansprüchen zu sehen, die nicht nur die Größe der Räume betraf, sondern vor allem auch deren Abfolge. Raumgröße und Raumabfolge wiederum waren nicht einfach nur dem Wunsch nach mehr Platz und Komfort geschuldet, sondern besaßen ihre Ursache in der repräsentativen und zeremoniellen Funktion eines Residenzschlosses als Regierungs- und Verwaltungsgebäude für den Fürsten und seine Regierung, bei nichtgeistlichen Fürstenherrschaften auch noch für die Familie des Fürsten. Und nicht zu vergessen ist die Funktion als Empfangsgebäude und Gästehaus für mehr oder minder hochrangige (Staats-)Gäste, die je nach Rang und Titel angemessen empfangen und unter Umständen auch für mehrere Nächte untergebracht werden mussten.41 Vor allem im 17. Jahrhundert hatte sich der Raumbedarf für diese vielfältigen Funktionen enorm gesteigert, was insbesondere den Bereich der Empfänge, Audienzen und der Unterbringung der Gäste betraf. Hier mussten die deutschen Fürsten sich seit dem 17. Jahrhundert zunehmend an den Maßstäben des französischen Königshofes und seines Zeremoniells sowie Protokolls orientieren, selbst wenn die jüngere Residenzenforschung nachweisen konnte, dass die deutschen Fürstenhöfe das französische Vorbild nur in eng begrenztem Umfang übernahmen.42 Im Vergleich zu den Ansprüchen des französischen Hofes wie sie in Paris oder später in Versailles zelebriert wurden, blieben die deutschen Höfe – selbst des Kaisers in Wien – immer noch bescheiden!

      Abb. 21: Bamberg, Neue Residenz, Ansicht vom Domplatz

      Abb. 22: Wien, Hofburg mit 1665 angebautem Leopoldinischem Trakt, Kupferstich, Ausschnitt aus Daniel Suttinger: Türkische Belagerung, 1683

      Zu den von Frankreich her übernommenen Raumansprüchen gehörte die dort schon seit längerem übliche Einrichtung von mehrräumigen Appartements, die sowohl aus der Aneinanderreihung als auch der Verbindung mehrerer Räume bestanden. Zu den charakteristischen Bestandteilen dieser Appartements gehörten mindestens eine den Haupträumen vorgelagerte Anti-Chambre, ein Vorzimmer, in dem der Fürst beispielsweise seinen Gast – je nach Rang und Status – warten lassen oder ihm entgegenkommen konnte, sowie das Audienzzimmer und ein Kabinettraum. Letzterer war ein besonders exklusiver und zumeist kleinerer Raum, in den nur hochrangige oder besonders umworbene Gäste geführt und dort im Rahmen eines „privater“ gehaltenen Zeremoniells empfangen wurden.43

      Über alle diese Räume sollte offensichtlich auch das Mainzer Kurfürstenschloss durch den Anbau zunächst des neuen Südostflügels von 1628 ff. verfügen und dabei nicht nur dem französischen Vorbild folgen, sondern in besonderer Weise auch dem Vorbild des kaiserlichen Hofes in Wien, der das französische Raumsystem bereits adaptiert und dabei zugleich modifiziert hatte. Wie ein Blick auf den aus der Zeit um 1700 überlieferten Grundriss (Taf. 24) des Mainzer Schlosses zeigt,44 befand sich im ersten Obergeschoss des Ostflügels neben dem Gardesaal (Salle des Gardes) und dem für die herrschaftlichen Essen vorgesehenen „Tafelzimmer“ auch das Appartement des Kurfürsten (Abb. 23)45, das, und darauf sei hier ausdrücklich hingewiesen, nicht einfach nur eine Privatangelegenheit war, sondern vor allem staatsrepräsentativen Zwecken diente. Dieses Appartement bestand aus insgesamt sieben Räumen, die sich in eine linke und rechte Raumfolge gliederten. Betreten wir das Appartement – wie es für die Gäste vorgesehen war – vom Tafelzimmer aus, dann betrat man zunächst das Vorzimmer, die Anti-Chambre, um von dort weiter in das Audienzzimmer zu gelangen, sofern der Kurfürst einen dort zu empfangen gedachte. Wer bis ins Audienzzimmer gelangt war, konnte – vorausgesetzt der Rang und die politische Bedeutung waren hoch genug – darauf hoffen, weiter in die Kabinetträume und das kurfürstliche Schlafzimmer vorgelassen zu werden, das nicht nur praktische, sondern auch zeremoniell-repräsentative Aufgaben zu erfüllen hatte. Linkerhand des Schlafzimmers befand sich der Raum für den Kammerdiener, was der französischen „Garderobe“ entsprach. Vom Schlafzimmer aus gelangte man in einen ersten exklusiven Kabinett-Raum, der den Gast zugleich – sofern er dort Zugang erhielt – auf den repräsentativen Höhepunkt dieser Raumfolge vorbereiten sollte: ein „Spiegel-Zimmer“. Entsprechend der damals in Frankreich aktuellen Mode waren die Wände dieses Raumes mit vielen kleinen Spiegeln verkleidet, auf denen, so darf vermutet werden, auf Konsolen wertvolle Stücke aus der Kunstkammer oder aber – in späteren Zeiten – auch ostasiatische Porzellane präsentiert wurden. Und noch eine weitere Auszeichnung erfuhr dieser Raum: Wie auch das benachbarte Oratorium besaß er einen Eckerker, aus dem sich einstmals sicherlich sehr schöne Aussichten auf den Rhein und den Burggraben boten, während man heute aus diesen Räumen auf die mehrspurige Rheinstraße blickt und der Rhein hierdurch und durch die anschließende Uferpromenade nur noch entrückt wahrgenommen werden kann. Ob das Mainzer Spiegelzimmer auch schon 1628 vorgesehen war oder erst eine Veränderung des späten 17. Jahrhunderts darstellt, lässt sich nicht mehr sicher rekonstruieren, da wir über keine Grundrisse des frühen 17. Jahrhunderts verfügen, sondern nur über diejenigen um 1700. Die von Lothar Franz von Schönborn gegründete Spiegelmanufaktur in Lohr kann jedenfalls nicht unbedingt als terminus post quem gelten, wäre es doch für den Fürstbischof möglich gewesen, Spiegelglas aus anderen Manufakturen (so etwa aus Paris) zu beziehen. Neben diesen vor allem zeremoniell genutzten Räumen gab es auch noch ein für Andachtszwecke vorgesehenes Oratorium, das entweder direkt vom Audienzzimmer aus oder über das Spiegelzimmer erreicht werden konnte.

      Wie sehr es für die Mainzer Kurfürsten notwendig war, die Raumfolgen stets auf einem für die Staatsgeschäfte aktuellen Niveau zu halten, belegt im Übrigen die Planungsvariante eines Grundrisses für das erste Obergeschoss des erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts realisierten Nordflügels. Dieser Grundrissentwurf (Taf. 30) stammt aus einem größeren nicht verwirklichten Projekt von 1749, für dessen zeichnerischen Entwurf Anselm Franz Freiherr von Ritter zu Groenesteyn verantwortlich zeichnete. Bei diesem Projekt war auch für die Martinsburg ein Neubau vorgesehen, der aber – vermutlich aus den oben genannten Gründen – nie umgesetzt wurde.46 Wer sich in diesen Grundriss vertieft, wird feststellen, dass hier um die Mitte des 18. Jahrhunderts komplette Parade-Appartements vorgesehen waren, die einen Vergleich mit den zeitgleichen


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