LOVE YOUR NEIGHBOUR. David Togni

LOVE YOUR NEIGHBOUR - David Togni


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möchte ich sein und bleiben. Etwas zieht mich mit aller Leidenschaft zu dieser Idee hin: Ich will Klamotten entwerfen. Ich will ein Modelabel gründen und es wird LOVE YOUR NEIGHBOUR heißen, Liebe deinen Nächsten. Wow! Doch eins ist ganz klar: Bei dem, was ich vor mir sehe, geht es um viel mehr als Klamotten! Etwas kann in Brand gesetzt werden, wenn sich das Feuer ausbreitet und viele ergreift. Die Mode ist nur Teil eines Lifestyles, der von einer bedingungslosen Liebe geprägt wird. Yes, hier geht es um radikale, gebende Nächstenliebe. Ich weiß, diese Bewegung wird sich immer weiter ausbreiten. Coole Mode wird ein Trittbrett dafür bieten, Türöffner sein! Glasklar steht es mir vor Augen, alle Bilder zusammen ergeben komplett Sinn. Bäääm – ich bin völlig begeistert!

      Als ich schließlich die Augen aufschlage, drehe ich mich benommen zum Nachttisch. Der Blick aufs Handy sagt mir, es ist acht Uhr. Krass, was war das denn? Der nächtliche Traum steht noch völlig real vor mir, die Bilder, das Flackern, die Begeisterung und der Frieden in mir! Tief drinnen weiß ich, das war mehr als ein Traum. Da hat Gott zu mir gesprochen. Mal eben so im Schlaf hat er mir eine Art Businessplan geschenkt. Innerlich beginne ich zu beben, weil ich spüre, Gott hat mir einen Auftrag gegeben und ich muss ihn einfach umsetzen. Das ist meine Chance. Denn wenn ich Gottes Plan für dieses Modelabel nicht verwirkliche, macht es vielleicht irgendwann jemand anderes.

      Ohne Frage brenne ich schon jetzt dafür! Der Wunsch, etwas in dieser Welt zu verändern, war über die letzten Wochen immer stärker in mir gewachsen. Die Sehnsucht wurde von Tag zu Tag stärker und drängender. Keinesfalls wollte ich am Ende meines Lebens feststellen, dass ich zu bequem oder zu ängstlich gewesen war, um etwas zu bewirken. Und jetzt war sie wie aus heiterem Himmel da: die Chance, radikal einen Unterschied zu machen. Die Liebe weiterzugeben, die ich selbst von Gott erfahren hatte. Die mich befähigte, die Vision umzusetzen und einen positiven Lifestyle zu prägen, der Menschen mitreißt. Ein Leben zu leben, das Auswirkungen hat und Wellen schlägt. Noch völlig geflasht stehe ich schnell auf und schalte meinen Laptop an.

      Um Viertel nach acht sitze ich euphorisch am Mac und recherchiere im Internet. Mir ist es ernst – ich will sofort loslegen, keine Zeit verlieren. Ja, mit T-Shirts werde ich starten. Während ich mich fiebrig durchs Netz klicke, suche ich nach Großhändlern und vergleiche Angebote: Qualität, Schnitt und Preis. Dass es Basic T-Shirts sein sollen, ist für mich keine Frage – schwarz und weiß. Schlicht, klassisch und gut zu kombinieren. Nach wenigen Stunden habe ich bei circa 25 Anbietern aus ganz Europa Mustershirts bestellt.

      Verrückt, das alles. Nach dem letzten Klick klappe ich glühend vor Begeisterung das Notebook zu und gehe noch ganz beschwingt in den Keller, um einige Übungen für meinen Rücken zu machen. Empfindlich erinnert mich der Schmerz an die Herausforderungen, die ich gerade durchlebe. Vor anderthalb Jahren habe ich eine große Rückenoperation mit Reha hinter mich gebracht, die den Beginn einer langen Leidenszeit markieren sollte. Seit knapp zwei Jahren gelte ich als 100 Prozent arbeitsunfähig und frage Gott bereits seit Langem, wohin es mit meinem Leben gehen soll. In den letzten Monaten bin ich oft stundenlang durch die Natur rund um Schaffhausen und am Rhein entlangspaziert oder auf meine Waldlichtung gestiegen, wo ich viel Zeit im Gebet verbracht habe. Dabei spürte ich, wie zunehmend eine Kruste von mir abbröckelte, die sich in den schwierigen vergangenen Jahren um mein Herz gelegt hatte. Endlich begann ich mich wieder mehr zu spüren. Das, was mich wirklich ausmachte, was Gott in mich hineingelegt hatte. Ganz tief in mir war eine vertraute Sehnsucht aufgeflammt. Ja, ich kannte sie. Aber zu lange war sie von der Hektik, den Schmerzen und Herausforderungen meines Lebens zugekleistert gewesen. Jetzt wurde sie wieder freigelegt. Die viele Ruhe und die einsamen Spaziergänge wirkten wie ein Blasebalg auf glimmende Kohlen – die Sehnsucht fing neu Feuer: Ich wollte einen Unterschied machen in dieser Welt. Mit und für Gott wollte ich Großes wagen.

      Im Lauf der vergangenen Wochen waren meine Gedanken immer mehr gebündelt und wie auf einen Brennpunkt hin fokussiert worden. Dass der Traum gerade zu diesem Zeitpunkt kam, ist sicher kein Zufall. Meine Sinne waren hellhörig und vorbereitet. Und da lag die Vision eines Nachts genau auf mich zugeschnitten vor mir und wartete nur darauf, umgesetzt zu werden. Was für ein Geschenk!

      An diesem Morgen im Mai 2013 wurde ein Schalter in mir umgelegt. Ganz praktisch Nächstenliebe zu leben, war längst Teil meines Lebens. Das war nicht neu. Doch der Traum von LOVE YOUR NEIGHBOUR zeigte mir, wie dieser Lifestyle multipliziert werden konnte. Yes, ich brenne dafür, dass Liebesradikalität, krasse Großzügigkeit und bedingungslose Annahme zu einem Lebensstil werden, zu einer immer größeren Bewegung anwachsen, die zunehmend mehr Menschen erfasst und unsere Welt wärmer und heller macht. Und das mit Style und Mode! Das hat mein Herz im Traum verstanden.

      Sehr viel mehr weiß ich im Moment nicht. Wie, was, wann, wo, mit wem, Budgetplanung, Businessziele …? Keine Ahnung. Der Typ, der sich zwei Jahre lang hinsetzt und eine Strategie ausarbeitet, bin ich nicht. O Mann, da würde ich vorher anstauben und fünf andere Dinge starten. Nein, ich glaube und vertraue darauf, dass, wenn Gott so klar gesprochen hat, er auch weiterhin zeigen wird, wohin die Reise geht. Schritt für Schritt. An mir ist es, einfach nur zu vertrauen. Der Plan aus dem Traum reicht mir vorerst.

      Ganz ohne Finanzen geht es natürlich nicht. Von meinem Gesparten nehme ich 3800 Franken als Startkapital. Für die Modebranche ist das ein Witz, das ist mir völlig klar. Mit 16 hatte ich schon einmal einen Online-Fashion-Store gestartet mit Surfer- und Skatermode – als Projekt meiner Abschlussarbeit an der Schule. Immerhin hatte ich hierfür 20 000 Franken Startkapital – ohne Zinsen geliehen von einer Frau, die das Unternehmerische in mir fördern wollte. Mein kleines Lager hatte ich im Keller unseres Hauses eingerichtet, doch nach einiger Zeit hörte ich wieder damit auf. So lukrativ war es nicht, aber eine super erste Erfahrung in der Branche.

      Nun holt mich meine Leidenschaft für Mode wieder ein. Nur diesmal ist es grundlegend anders; diesmal ist eine himmlische Vision der Auftakt, keine schnöde Abschlussarbeit.

      Während ich also auf die bestellten Mustershirts warte, stürze ich mich in die Designs. Ein fertiges Logo habe ich im Traum nicht gesehen, aber es ist klar, dass LOVE YOUR NEIGHBOUR auf die Shirts muss. So setze ich mich an den Tisch, nehme Bleistift und Block zur Hand und lege los. Frei aus mir heraus zeichne ich eine Skizze nach der anderen. Dann experimentiere ich am Computer mit Schriftarten herum, die für ein Logo infrage kommen. Nach kurzer Zeit schon bin ich voll im Flow – eine Idee nach der anderen schießt hervor und ich bringe sie zu Papier. Mich juckt es im Kopf und in den Fingerspitzen. In vollen Zügen genieße ich es, dass ich eine so herrliche Aufgabe umsetzen kann. Wie elektrisiert arbeite ich weiter. Ein Faible für Fashion habe ich schon, seit ich denken kann. Diese Faszination hat mich auch zu einigen Modeljobs gebracht, sodass ich auch die Welt der Shootings kenne. Jetzt selbst Mode zu entwerfen, das ist einfach ein Traum!

      Nachdem einige Skizzen und Schriftzüge vor mir liegen, die mich überzeugen, frage ich Leon, einen guten Freund und tollen Künstler, ob er die groben Entwürfe mit mir umsetzt. So schicken wir unsere Ideen hitzig hin und her, Leon gestaltet sie weiter, schickt sie zurück, wir optimieren, er zeichnet ins Reine. Unsere Köpfe rauchen durch die Telefonleitungen und vor den Bildschirmen. Schließlich sitzt es. Zufrieden sehen wir, wie sich aus den Ideen das erste Design für LOVE YOUR NEIGHBOUR herausgeschält hat: ein Anker, um den herum sich der Schriftzug auf einem Banner windet. Tief dankbar und einfach nur glücklich lehne ich mich in den Stuhl zurück und lasse meinen Kopf in den Nacken fallen. Wow, die Vision nimmt Gestalt an.

      Dass Obdachlose so deutlich Teil des „Businessplans“ sind, überrascht mich überhaupt nicht. Seit meiner Kindheit versetzt es mir einen Stich ins Herz, wenn ich in der Fußgängerzone Bedürftige auf der Erde hocken sehe, die resigniert oder vom Leben entmutigt mit hängenden Schultern auf den Asphalt blicken. Menschen, die sich abends nicht in ein warmes Bett kuscheln können, umgeben von Wänden und einem Dach, die Sicherheit und Schutz vor Regen bieten. Sondern die umherirren, oft jede Nacht an einem anderen Ort schlafen und heimatlos sind. Sicherlich bewegt mich das auch, weil ich mit meiner Familie und auch später so oft umgezogen bin, dass ich mich selbst entwurzelt und ohne richtige Heimat fühle.

      Ein extrem einschneidendes Erlebnis hatte ich, als wir wieder einmal wegzogen und ich mit meinen Geschwistern zum letzten Mal vom Schulgebäude weglief. Wir waren traurig, alles hinter uns zu lassen und erneut ins Ungewisse zu starten. Da riefen uns ein paar Kinder nach:


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